Im College Football aufzuzeigen, ist eine undankbare Sache. Die Belohnung: Das Handicap, die eigene NFL-Laufbahn als Hoffnungsträger einer Verlierer-Franchise zu beginnen.
Als erster Draft-Pick sind schon viele Spieler daran gescheitert, diese Erwartungshaltung zu erfüllen – mitunter auch deswegen, weil sie ewig in einem "Verlierer-Umfeld" gefangen bleiben. Von den letzten 20 Nummer-1-Picks tragen nur zwei Super-Bowl-Ringe: Eric Fisher und Eli Manning.
Matthew Stafford könnte sich am Sonntag ein dritter Mann in diese Riege gesellen, bei dem noch vor etwas mehr als einem Jahr alle Anzeichen darauf deuteten, dass er nie auch nur in die Nähe einer Super Bowl kommen könnte.
Denn die Detroit Lions sind vielleicht der Inbegriff einer Verlierer-Franchise. Noch ohne Super-Bowl-Titel schafften sie seit Staffords Draft 2009 nur vier "Winning Seasons" und drei Playoff-Einzüge, seit 2018 haben sie auch den letzten Platz der NFC North gepachtet.
Aus wenig schon viel gemacht
Dass Stafford in Michigan landete, war sogar der einzigen komplett sieglosen Saison eines Teams in der Geschichte geschuldet: 2008 betrug die Bilanz 0-16. Mehr Verlierer geht nicht.
Doch die Los Angeles Rams lösten ihn im Jänner 2021 aus den Fängen der Lions. Im Austausch mit Jared Goff sahen sie im nun 34-Jährigen ein fehlendes Puzzleteil, den verpassten Super-Bowl-Sieg von 2019 ausgerechnet jetzt, im eigenen und brandneuen SoFi Stadium nachzuholen. Ein Schritt fehlt noch zur Vollendung des Plans, die Cincinnati Bengals sind in Super Bowl LVI die letzte Hürde.
Und diese Hoffnung der Rams kam nicht von ungefähr: Stafford bewies schon in Detroit, ein Könner zu sein. An dem die hoffnungslose Situation der Lions sicher nicht lag.
So schnell wie er erreichte kein anderer Quarterback der NFL-Geschichte die Marken von 20.000, 30.000, 40.000 und 45.000 Passing Yards. 2021 führte er mit 435 Completions die NFL an – obwohl Detroit nur vier Spiele gewann.
Und dann war es einfach genug
Und dennoch flog Stafford stets unter dem Radar. Geschuldet durch das Umfeld, in dem selbst Playoff-Einzüge Seltenheit waren. Wodurch auch seine eigene Reputation litt.
Einige Verletzungen taten ihr übriges. Schon 2010 bremste ihn eine schwere Schulterblessur samt Operation dermaßen aus, dass ihn der Playoff-Einzug im Folgejahr zum "Comeback Player of the Year" qualifizierte.
Es war nur der erste von zahlreichen Charaktertests, die es auch im privaten Bereich gab – mit dem Hirntumor seiner Frau Kelly vor drei Jahren.
Das Prädikat "verschwendete Karriere" wäre ohne einen persönlichen Kurswechsel angebracht gewesen. Und doch muckte Stafford, der auch abseits des Spielfelds als zurückhaltend gilt, gerne unter dem Radar fliegt und keine großen Töne spuckt, nie auf.
Aber zwölf Jahre in Detroit waren dann einfach genug. Einen erneuten Rebuild und den vierten Head Coach tat er sich nicht mehr an, wollte einen Trade – und bekam die neue Chance.
Die mitsamt Jared Goff – seines Zeichens immerhin auch ein Quarterback, der die Rams schon in die Super Bowl führte – nach Detroit geschickten beiden Erstrunden-Picks waren eine deutliche Ansage, was L.A-Coach Sean McVay samt Staff an Hoffnungen in Stafford setzten.
Rams und Stafford: Ungleiche Kombi, die funktioniert
Das schrille und laute Los Angeles als richtiges Umfeld für den zurückhaltenden Stafford? Der Trade wurde interessiert, aber nicht unkritisch beobachtet. Doch die Probe auf’s Exempel bestand er schon im ersten Anlauf.
Zwölf Siege und fünf Niederlagen nahmen die Rams aus der Regular Season mit, Stafford kam mit 4.886 Passing Yards an seinen persönlichen Karriere-Bestwert an, jenen in Sachen Completion Percentage stellte er ein (67,9 Prozent). Erst zum zweiten Mal in seiner Karriere beendete er die Saison mit einem dreistelligen Passer Rating von 102,9.
Nach zwölf Siegen und fünf Niederlagen gingen die Rams nicht als Top-Favorit in die Playoffs, agierten in drei Spielen aber abgebrüht. Insbesondere in den Divisionals, als in einer Nervenschlacht Tom Bradys Karriere effektiv beendet wurde.
Auch daran hatte Stafford seinen Anteil, denn er gilt als Mann für entscheidende Sekunden: Inklusive den Spielen gegen Tampa Bay und San Francisco war es der 43. Game Winning Drive unter der Führung des seit Montag 34-Jährigen, so viele verbuchte kein anderer Quarterback seit 2009. Eine Qualität, die auch in der Super Bowl entscheidend sein könnte.
Keiner musste so lang warten
Dort ist er der erfahrene Part des Quarterback-Duells "Routine gegen junges Blut", das in Stafford gegen Burrow seine x-te Auflage erfährt. Kein erster Draft-Pick war so schnell in einer Super Bowl wie Burrow - kein anderer musste so lang darauf warten wie Stafford.
Unter mehr Druck steht eindeutig Zweiterer. Weniger, weil ein Rams-Triumph ausgerechnet im eigenen Stadion die richtige Kulisse wäre. Die Fans laufen den Rams auch fünf Jahre nach der Re-Relocation noch nicht die Türen ein, trotz siegfähigen Teams und der modernsten Sport-Arena der Welt. Wahrscheinlich ist nicht einmal weit hergeholt, dass mehr Menschen in Detroit ihrem "verlorenen Sohn" die Daumen drücken, endlich die Früchte seiner Karriere voll sportlichem Leid zu ernten.
Aber Staffords Trade, für den starke Zukunfts-Aktien nach Detroit geschickt wurden, war ein Sinnbild für ein Team, das den Erfolg jetzt braucht - und dafür viel investiert hat. Sonst könnte sich Stafford bald mit einem weiteren Rebuild konfrontiert sehen.
Ein ganz großer Erfolg in einer Karriere, die viel Talent mit wenig Höhepunkten beschenkte, wird nicht mehr so wahrscheinlich wie diesen Sonntag.