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Was dem ÖHB-Team auf die Weltspitze noch fehlt

EM-Abrechnung! Neben vielen guten Dingen sind auch Probleme augenscheinlich geworden:

Das war sie, die Handball-EM 2020 - zumindest aus österreichischer Sicht. Das ÖHB-Nationalteam schließt ein durchaus gelungenes Heim-Großevent auf dem historisch besten achten Rang ab.

Eine makellose Vorrunde gegen drei Gegner auf Augenhöhe, ein Unentschieden gegen Weißrussland, zwei knappe Niederlagen gegen die Handball-Riesen Kroatien und Spanien und eine klare Pleite gegen Deutschland: Österreich ist noch nicht an den Top-Nationen dran, hat aber zeitweise mit ihnen mitgespielt und gegen die Gegner auf Augenhöhe gut performt.

Um zumindest das Nationalteam weiter im Fokus halten zu können, wird es aber langfristige Erfolge und dementsprechend auch Entwicklungen brauchen: Mit der ersten Qualifikations-Phase für die Weltmeisterschaft 2021 in Ägypten wartet die nächste große Aufgabe schon im April.

LAOLA1 fasst die Erkenntnisse zusammen, die auf ÖHB-Seite lehrreich waren - und wo die weitere Entwicklung hingehen wird müssen:

Die Kader-Breite ist das Hauptproblem

22.000 Mitglieder zählt der ÖHB, Österreich darf sich mit dieser Zahl sicher nicht als "Handball-Nation" bezeichnen. Mit so einer überschaubaren Zahl an Aktiven und einer schmalen Basis ist es auch nicht leicht, an der Spitze der 16 besten Spieler des Landes für die notwendige Breite zu sorgen.

Die Physis wurde schon zur Mitte des Turniers zu einem oft angesprochenen Punkt, die Müdigkeit bei sieben Spielen binnen zwölf Tagen im 48-Stunden-Rhythmus früh schlagend. "Das ist für den Körper nicht normal", bestätigte Nikola Bilyk, der beim THW Kiel mit Bundesliga- und Champions-League-Aufgaben eigentlich einen intensiven Rhythmus kennt. "Wir haben gegen Weißrussland mit Leuten über 40, 50 Minuten gespielt, die am gleichen Tag zu Mittag nicht gehen konnten", meinte auch Torhüter Thomas Bauer.

Drei Viertel der CL-Spieler auf einem Bild
Foto: © GEPA

Zwar war dieses Problem allen Nationen, die es in die Hauptrunde schafften, gemeinsam, das Problem verschärfte sich bei Österreich aber durch die ungleiche Verteilung der Verantwortung und Spielzeiten. Mit Ausnahme der Torhüter-Position lief in allen sieben Spielen die gleiche Starting Seven auf (Robert Weber, Janko Bozovic, Gerald Zeiner, Nikola Bilyk, Seppo Frimmel und Fabian Posch), wobei vor allem Bilyk und Bozovic als absolute Leistungsträger wenige Pausen bekamen.

Auch qualitativ war der Leistungs-Abfall nicht riesig, aber doch bemerkbar, kam einmal die "zweite Reihe" zum Zug. Angesichts der Tatsache, dass sich die Hälfte des Kaders aus Spielern der spusu LIGA rekrutierte, auf diesem Niveau wenig verwunderlich. Top-Nationen konnten im Bedarfsfall nahtlos Qualität von der Bank bringen, besonders Deutschland bewies in diesem Punkt hohe Überlegenheit.

Ales Pajovic zeigte in seinen ersten zehn Monaten viel Bemühen, die unmittelbare Auswahl durch die Berücksichtigung verschiedener Spieler für die Lehrgänge zu verbreitern, das ist aber nur ein Schritt zur Bekämpfung eines Symptoms, dessen Auslöser sich so bald nicht ändern werden - Österreich bräuchte einfach mehr Handball-Aktive. Der Output, sich unter den besten acht Nationen Europas zu finden, ist angesichts dessen überproportional.

Es braucht Erfahrung im Tagesgeschäft

Wenn die Qualität in der ganzen Mannschaft nicht durchgehend hoch ist, wird die "Speerspitze" noch wichtiger. Mit Thomas Bauer (Porto), Nikola Bilyk (Kiel), Seppo Frimmel und Lukas Herburger (beide Schaffhausen) ist nur ein Viertel des ÖHB-Kaders bei Champions-League-Klubs engagiert. Österreichs beste Klubs sind mitunter sogar in der Position, für Europacup-Aufgaben mangels Budget und Infrastruktur gleich abzusagen.

Und so wichtig Großturniere für die internationale Erfahrung sind: Dabei handelt es sich um eine Handvoll Spiele in einem kurzen Zeitraum, die Qualifikation dafür ist auch nicht selbstverständlich.

Eichberger empfahl sich für höhere Aufgaben
Foto: © GEPA

Die Performances gegen die späteren Halbfinalisten Kroatien und Spanien waren aber gute Nachrichten. In beiden Spielern führten nur kleine Fehler dazu, die Favoriten nicht ganz fordern zu können - das Potenzial ist also vorhanden.

"Wir haben nicht viele Legionäre, das ist ein großes Problem. In Slowenien gibt es 46 Spieler in der Champions League, wir haben vier. Das ist schon ein großer Unterschied", verwies Pajovic auf sein Geburtsland, in dem die Handball-Spitze bei einer Einwohnerzahl von zwei Millionen Menschen dennoch weit über jener von Österreich steht.

Die Hoffnung: Dass die guten Leistungen der EM 2020 Türen für einige Spieler öffnen konnten. "Huthi (Lukas Hutecek, Anm.) ist vielleicht noch zu jung, aber Eichi (Thomas Eichberger, Anm.) und Tobi (Wagner, Anm.) könnten schon jetzt bei einem guten Verein spielen."

Bilyk kann Verantwortung tragen - aber nicht alleine

Als Superstar im Team wurde von Nikola Bilyk viel verlangt - und er lieferte viel ab. Besonders in der Gruppenphase, wo er etwa gleich zum Start gegen Tschechien mit satten zwölf Toren beeindruckte und lange um die Torschützen-Krone des ganzen Turniers mitkämpfte. Ein Top-3-Platz am Ende der EURO ist mit seinen 46 Treffern im Bereich des Möglichen, von den noch im Turnier vertretenen Teams hat der beste Torschütze Jure Dolenec (Slowenien) 14 Tore Rückstand, die er in zwei Spielen aufholen müsste.

Bilyk trug einen großen Teil der Last
Foto: © GEPA

Der ÖHB-Kapitän hat unter Berücksichtigung der schwindenden Kräfte ein überragendes Turnier gespielt. Als er von Pajovic geschont wurde - gegen Deutschland - kam das Team unter die Räder, was aber nicht der Hauptgrund dafür war.

Gemeinsam mit einem in nie dagewesener Form befindlichen Janko Bozovic war der Rückraum durch ihn die große Waffe. Passend, dass ausgerechnet Bilyk das Tor zum 36:36 gegen Weißrussland machte. Auffällig war aber: Teams, die dazu die Mittel hatten, konzentrierten sich in ihren Abwehr-Bemühungen auf Bilyk und hatten damit Erfolg, dem ÖHB-Team wehzutun - ähnlich, wie es Österreich gegen Nordmazedonien mit Kiril Lazarov tat. Im Handball wird es schnell zum Problem, wenn sich ein Team auf einen überragenden Spieler stützt.

Als Leader machen Bilyks jugendliche 23 Jahre viel Mut, dass sogar noch Entwicklungs-Potenzial vorhanden ist. In Sachen Output auf dem Spielfeld sind eher seine Kollegen gefordert, für mehr Gleichgewicht in diesem Bereich zu sorgen.

Darum macht die EM 2020 mehr Mut als 2010

Bei allen Schwachpunkten des Status quo gibt es auch Anlass zur Hoffnung auf weitere Steigerungen - noch mehr, als es nach der EM 2010 der Fall war, die mit fünf sportlichen Qualifikationen für Großereignisse die erfolgreichste Dekade des ÖHB-Männer-Teams einläutete.

Während damals eine Mannschaft mit gestandenen Stars mitten in der Blüte ihres Schaffens auftrat, die schon wenige Jahre später einen Generationen-Wechsel erzwang, finden sich viele Spieler erst am Anfang ihres Schaffensweges, der einen weiteren Umbruch diesen Ausmaßes noch länger nicht notwendig macht.

Pajovic muss noch mehr Zeit bekommen
Foto: © GEPA

Dazu hat Ales Pajovic seine Arbeit mit der Mannschaft gerade erst beginnen können. Erst seit Ende März kann er seine Vorstellungen auf das ÖHB-Team übertragen, zu wenig Zeit, um für die EURO 2020 schon alles eingetrichtert zu haben. Auf menschlicher Ebene waren die Auswirkungen mehr als nur spürbar, nachdem die Beziehung zwischen Mannschaft und Vorgänger Patrekur Johannesson nicht mehr am Höhepunkt war.

Seine Devise "Schritt für Schritt" wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zunehmends entfalten, während die Arbeit mit Athletiktrainer Harald Horschinegg schon größere Auswirkungen gezeigt hat und manchem Spieler auf individueller Ebene Fortschritte ermöglichte. Dass binnen eines Jahres die zwei miesen Turniere der Vorjahre (EM 2018, WM 2019) vergessen wurden, macht frohen Mutes für die nächsten Aufgaben.

Und wer weiß: Vielleicht begeistert(e) das ÖHB-Team nun doch mehr Jugendliche, den Handball-Sport für sich selbst in Erwägung zu ziehen. Solche Auswirkungen wären dann erst im nächsten Jahrzehnt zu spüren. 

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