Mit sportlichen Großereignissen geht eine hohe Erwartungshaltung einher. Nicht nur bezüglich des Abschneidens des Gastgebers, sondern auch langfristiger Effekte.
Dass ein solches Event nach Österreich geholt werden kann, besitzt abseits des Wintersports Seltenheit. Mit der EURO 2020 ist dieses Kunststück im Handball binnen zehn Jahren schon zum zweiten Mal gelungen.
Und die vergangenen zehn Jahre lassen dem ÖHB viel Grund zum Optimismus, zumindest auf sportlicher Ebene eine weitere große Chance vor der Nase zu haben, die am Freitag gegen Tschechien ihren Anfang finden soll.
Ein unvergleichliches Jahrzehnt
Die EM 2010 markierte den Startschuss für ein Erfolgs-Jahrzehnt. Für fünf weitere Großereignisse – drei Weltmeisterschaften und zwei Europameisterschaften – konnte sich Österreich in der Folge aus eigener Kraft qualifizieren.
Zum Vergleich: Vor der EURO 2010, an der das ÖHB-Team als Gastgeber automatisch teilnehmen durfte, waren die Weltmeisterschaften 1938, 1958 und 1993 die einzigen Turniere, bei denen Österreich dabei war – in der gesamten Handball-Geschichte des Landes.
Dabei wurde gleichzeitig ein Generationenwechsel vollzogen, von der Mannschaft 2010, die den starken neunten Platz einfuhr und für eine Handball-Euphorie sorgte, sind mit Thomas Bauer und Robert Weber nur mehr zwei Spieler auch 2020 dabei.
Elf der 14 Spieler, die seither nicht mehr im ÖHB-Nationalteam zu sehen sind, traten bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts zurück.
Vom Wischer zum Superstar
An ihre Stelle traten neue Gesichter, auch wenn die wenigsten schon solche Stars, wie etwa Viktor Szilagyi einer war, sind. Mit Lukas Hutecek war der jüngste Spieler im aktuellen Aufgebot bei der letzten Heim-EM neuneinhalb Jahre alt.
Auch Österreichs aktuelles Aushängeschild, Nikola Bilyk, hatte seinen 13. Geburtstag noch nicht lange hinter sich. Für den jetzigen Kapitän war die EM ein Erlebnis, welches das Handball-Feuer unauslöschlich gemacht haben dürfte.
"Wir sind auch für die Fans da, wollen, dass Kinder in die Halle kommen, sich Autogramme holen und mit uns über die Sportart reden. Wenn sich danach viele entscheiden, Handball-Profis werden zu wollen, taugt uns das auch, denn irgendwann werden wir auf der Tribüne sitzen."
"Ich war als Wischer dabei. Man hat die Stars hautnah erleben dürfen. Was du vorher nur im Fernsehen gesehen hast, hattest du dann vor dir stehen", erinnert sich der 23-Jährige bei LAOLA1 zurück.
Die Effekte nach der Endrunde seien auch als Jugendlicher schnell spürbar gewesen: "Nach der EM war große Euphorie. Man hat gemerkt, dass mehr Leute zu den Spielen gekommen sind. Das wollen wir auch schaffen. Wir müssen Konstanz reinbringen und schauen, dass der Handball nach jedem Turnier an Popularität gewinnt."
Denn der neunte Platz 2010 wurde danach nie wieder erreicht, die jüngste EM 2018 (15.) und die WM 2019 (19.) waren sportliche Enttäuschungen.
Die (noch) natürliche Grenze des Wachstums
Trotzdem: Die regelmäßige Qualifikation allein ist "keine Selbstverständlichkeit" wie Sportdirektor Patrick Fölser festhält.
"Das ist etwas, was wir anderen Ballsportarten voraushaben. Aber es ist harte Arbeit, das zu bewältigen, weil wir nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die wir gerne hätten und vielleicht auch verdient hätten", moniert der Verantwortliche, 2010 selbst noch als Spieler dabei.
Trotz regelmäßiger Highlights auf Nationalteam-Ebene obliegen nämlich den Vereinen infrastrukturell gewisse Wachstumsgrenzen. So musste der Meister in jüngerer Vergangenheit schon für die Qualifikation zur Champions League absagen, weil die infrastrukturellen Gegebenheiten einfach nicht da waren – Probleme, die mit anderen Hallensportarten geteilt werden und einen Vorstoß in diese sportlichen Sphären verunmöglichen.
Während eine Hälfte des EM-Kaders im Ausland spielt und teilweise CL-Erfahrung sammeln darf, ist die andere in der spusu LIGA engagiert und sammelt im Tagesgeschäft keine vergleichbaren Eindrücke.
Auch für die EM muss auf die Stadthallen in Wien und Graz zurückgegriffen werden, obwohl in der Murstadt jüngst mit dem Raiffeisen Sportpark eine nagelneue Halle geschaffen wurde, die für ein Großereignis mit knapp 3.000 Zuschauern Kapazität natürlich zu klein ist.
Die Saat der Begeisterung streuen
Bei der EM selbst soll das vor tausenden Zuschauern in der Wiener Stadthalle vergessen sein. Die Vorgabe lautet, in hoffentlich knapp zwei Wochen – beim anvisierten Ziel des Hauptrunden-Einzugs – die Saat der Handball-Begeisterung bei jenen zu streuen, die nicht so oft damit in Berührung kommen.
"Wir Spieler wollen zeigen, was Handball für ein toller Sport ist. Dass man hier mit den Fans tolle Sachen erleben kann. Es ist etwas ganz anderes als im Fußball-Stadion, man ist viel näher dabei", verspricht Thomas Bauer.
"Wir sind auch für die Fans da, wollen, dass Kinder in die Halle kommen, sich Autogramme holen und mit uns über die Sportart reden. Wenn sich danach viele entscheiden, Handball-Profis werden zu wollen, taugt uns das auch, denn irgendwann werden wir auf der Tribüne sitzen", spricht der Keeper von den Zielen abseits des sportlichen Abschneidens.
Denn nur, wenn in noch einmal zehn Jahren auf eine ähnlich erfolgreiche Dekade zurückgeblickt werden kann, werden sich die Rahmenbedingungen kontinuierlich verbessern können. In Sachen Team-Kader und Status der Sportart.
Eine einmalige Chance für einen großen Sprung beginnt schon am Freitag gegen Tschechien. Und vielleicht wischt der nächste Nikola Bilyk zwischendurch über das Parkett der Wiener Stadthalle.