Die Handball-EM 2018 in Kroatien geht los! Und mit dem Auftaktspiel gegen Weißrussland (Fr., 18:00 Uhr) wartet auf die ÖHB-Nationalmannschaft gleich das gefühlte Finale im Kampf um den Aufstieg in die Hauptrunde.
In einer Gruppe mit Weltmeister Frankreich und Vizeweltmeister Norwegen wird das direkte Duell der Außenseiter mit großer Wahrscheinlichkeit gleich darüber entscheiden, wer nach den drei Gruppenspielen wieder nach Hause fahren muss.
Weißrussland ist (noch) kein attraktiver Name im europäischen Handball – der Einschätzung als Gegner auf Augenhöhe ist allerdings ein wenig rot-weiß-roter Optimismus beigemischt.
LAOLA1 erklärt in neun Punkten, welche Voraussetzungen in der Partie herrschen:
1. Der große Star fehlt…
Eines hat Weißrusslands Team mit Österreich gemeinsam: Der lange Jahre bekannteste Spieler ist in jüngster Vergangenheit abhandengekommen. Siarhei Rutenka hat seine Karriere beendet, sein Nachname ist durch Bruder Dzianis noch im Kader zu finden. Weißrussland setzt aktuell, ähnlich wie das ÖHB-Team, auf eine Mischung aus Routine und Jugend. Auch bei Österreich werden Einzelspieler wie Nikola Bilyk und Robert Weber nicht alleine für den Erfolg sorgen können.
2. …die Qualität nicht
Trotz dieser Tatsache kann Weißrussland auf fast allen Positionen mit viel individueller Qualität beeindrucken, die ein starkes Kollektiv ergibt. Rund ein Drittel des Kaders wird von Vorzeige-Klub und Champions-League-Teilnehmer Meshkov Brest gestellt, ein weiteres Drittel von SKA Minsk, zumindest im EHF-Cup dabei. Dazu kommen drei Spieler, die bei Zaporozhye in der Ukraine werken – in der vergangenen CL-Gruppenphase nur einmal geschlagen. Trotz der Deutschland-Legionäre kann die ÖHB-Truppe hier nicht annähernd mithalten: Da Janko Bozovic bei Sporting Lissabon auf dem Abstellgleis steht, kommt nur Nikola Bilyk mit dem THW Kiel zu regelmäßigen CL-Einsätzen.
3. ÖHB-Nachteile abseits des Flügels
Trotz Bilyk: Im Rückraum ist Weißrussland ein deutlicher Qualitätsvorteil zu attestieren. Barys Pukhouski ist mit 758 Treffern Rekordtorschütze seines Landes und Leistungsträger bei Zaporozhye, auch Siarhei Shylovich hat über 400 Treffer im Nationaltrikot vorzuweisen. Dazu kommen Uladzislau Kulesh, sozusagen der Nikola Bilyk Weißrusslands, der schon mit 19 bei der EM in Polen spielte, und Dzmitry Nikolenkau, der bei Insidern als gefährlicher Schlagwerfer bekannt ist. Am Kreis ist Artsem Karalek ein kommender Star, er spielt demnächst bei Kielce in Polen Champions League, auch Backup Maxim Babichev ist als Zaporozhye-Legionär stärker einzuschätzen als die österreichischen Positionskollegen, die zum Teil noch in der spusu HLA werken. Verstärkung bekommt die relativ unerfahrene Truppe überraschend von Vitas Ziura. Der 38-Jährige kehrt einen Tag vor dem Start in die EM ins Team zurück.
4. Der Bundesadler hebt die Flügel
Vorteil Österreich! Zwar sind der 21-jährige Andrei Yurynok und Dzianis Rutenka (beide von Meshkov Brest) keine Nasenbohrer, mit Robert Weber hat das ÖHB-Team aber einen der torgefährlichsten Spieler der Deutschen Bundesliga auf der rechten Seite. Wenngleich links der belarussische Rekord-Nationalspieler Ivan Brouka von Yurynok verdrängt wurde, ist Sebastian Frimmel ein genauso großes Zukunftsversprechen. So lässt sich auch der Ausfall von Raul Santos kompensieren.
VIDEO - Das weißrussische Team ausführlich analysiert:
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5. Im Tor keine Difference Maker
Jene Position, über die sich bei Weißrussland am wenigsten sagen lässt. Ivan Matskevich und Vitali Charapenka teilen sich die Arbeit im Nationalteam auf, Ersterer kommt bei Meshkov Brest aber nur zu Gelegenheitseinsätzen. Bei Österreich hat Thomas Bauer aktuell ähnliche Schwierigkeiten, sich bei seinem französischen Klub Massy Essonne durchzusetzen.
6. Der angesehene Taktik-Fuchs
Das Gesicht der Weißrussen? Der Trainer! Iouri Chevtsov trainiert sein Heimatland seit 2009. Davor steht eine beachtliche Karriere an deutschen Seitenlinien. Bei Lemgo (Double-Sieger 1997), Essen (EHF-Pokalsieger 2005) und den Rhein-Neckar Löwen hat sich der 58-Jährige, als Spieler sowjetischer Weltmeister und Olympiasieger, auch international einen Namen als Taktik-Fuchs gemacht.
Patrekur Johannesson hat einen besonderen Bezug zu Chevtsov. Er war von 2001 bis 2003 als Spieler unter dem Weißrussen tätig und kennt seine Methoden aus nächster Nähe. "Iouri ist einfach ein guter Trainer – und ein guter Mensch. Jeder hat großen Respekt vor ihm", so Österreichs Teamchef. An diesem Respekt dürfte sich nichts geändert haben: Flüchteten die stärksten Spieler zuvor in andere Staatsbürgerschaften, bleiben sie nun Weißrussen – und mit Siarhei Rutenka kehrte der ehemalige Star des Landes anno 2010 sogar aus Slowenien zurück.
7. Mehr Erfahrung bei Endrunden
Dank dieser Voraussetzungen hat Weißrussland unter Iouri Chevtsov einen beachtlichen Sprung hingelegt. Seit er im Amt ist, wurden sechs von neun möglichen Endrunden erreicht, außer bei der WM 2015 überstand man auch immer die erste Turnier-Phase. Österreich war im gleichen Zeitraum bei der EM 2010 Gastgeber und qualifizierte sich 2014 sportlich, dazu kommen die Weltmeisterschaften 2011 und 2015.
VIDEO - Was für Österreich spricht? Le Schladi im Tor!
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8. Weißrussland beweist Form
Wie unangenehm die Weißrussen zu bespielen sein können, haben sie in der Qualifikation gezeigt: Belarus hat sich in einer Gruppe mit den hoch eingeschätzten Polen, Serbien und Rumänien als Gruppensieger durchgesetzt. Die einzige Niederlage kassierte man zum Auftakt gegen Rumänien, umgekehrt beeindruckte man mit klaren Erfolgen in Serbien und gegen Polen, in den jeweiligen Rückspielen wurde remisiert. Österreich war hinter Gruppensieger Spanien auf einen Erfolg im "Endspiel" gegen Bosnien-Herzegowina angewiesen.
Auch die unmittelbare Vergangenheit lässt von Weißrussland mehr erwarten: Während Österreichs Team vor der Endrunde auf eine kurze, intensive Vorbereitung in der Südstadt setzte und sich mit zwei Tests gegen Tschechien begnügte, haben die Weißrussen seit 29.12. fünf Spiele in den Beinen. Zwar verlor man gegen Qualifikations-Gegner Polen zwei Mal, gegen Japan und Argentinien blieb man aber erfolgreich. Mit Spanien wurde ein EM-Mitfavorit zumindest gefordert. Weißrussland ist eingespielt, das ÖHB-Team konnte in den letzten beiden Auftritten auch wegen schmerzhafter Ausfälle nicht beeindrucken.
9. Der Außenseiter – auch für die Buchmacher
Das Head-to-Head ist wenig aussagekräftig, das letzte Duell liegt fünf Jahre zurück (eine deutliche 22:33-Niederlage für Österreich beim Yellow Cup in Winterthur). Für die Buchmacher ist das ÖHB-Team jedenfalls klarer Außenseiter, die Quote für einen rot-weiß-roten Sieg ist etwa 2,5-mal so hoch wie jene für Belarus. 600 österreichische Fans werden in Porec einen neuen Auswärtsrekord aufstellen – und versuchen, mit dem Faktor "gefühlter Heimvorteil" in diese Ausgangssituation zu funken.