Da ist es wieder! Dieses Grinsen.
Fast schon verschmitzt.
Auf alle Fälle vielsagend.
Fragt man Patti Johannesson nach der Rolle von Vytas Ziura in den bevorstehenden WM-Quali-Playoffspielen gegen Dänemark am Sonntag in Odense und am Mittwoch in Wien, gibt er zwar verbal zu Protokoll, dass er ihn als guten Abwehrspieler benötige, doch sein Lächeln verrät etwas mehr.
Nämlich, dass der 37-Jährige reaktiviert wurde, um Dänen-Bomber Mikkel Hansen die Lust am Spiel zu nehmen.
Na gut, soviel in ein Grinsen hinzuinterpretieren ist bestimmt zu einem Teil auch journalistischer Fantasie geschuldet. Fest steht jedoch, dass die Ausgangslage vor dem Tanz mit dem haushohen Favoriten das ihrige dazu beiträgt, die Kreativität der schreibenden Zunft zu katalysieren.
Die Rollen vor dem Kräftemessen sind klar verteilt:
Auf der einen Seite: die Dänen. Im Land des zweifachen Europameisters zählt Handball zu den Nationalsporten. Mit 165.000 gemeldeten Handballern sind die Skandinavier hinter Deutschland und Frankreich die drittgrößte nationale Föderation.
Auf der anderen Seite: wir – mit unseren gerade einmal 23.000 Aktiven. „Wir spielen hier umgekehrt Skifahren“, bringt ÖHB-Generalsekretär Martin Hausleitner die Relationen auf den Punkt.
Dorthin, wo es wehtut
Zahlen sind letztlich aber nur Zahlen, weshalb die Wahrheit bekanntlich auf dem Spielfeld liegt. Die Dänen können mit einer Star-Riege aufwarten, die bei den besten Klubs der Welt engagiert ist. Allen voran freilich Welthandballer Hansen. Der 28-Jährige, der sich heuer mit fast utopischen 21 Toren Vorsprung die Torjägerkrone in der Champions League sicherte, gilt als das Nonplusultra. Kommt der Superstar von Paris St.-Germain ins Rollen, sorgt er im Alleingang für den Unterschied.
Und genau hier kommt Ziura ins Spiel.
Trotz seines fortgeschrittenen Alters ist der Fiver kein Kind von Traurigkeit. Im Gegenteil: Seine Spielweise gilt – vorsichtig formuliert – als grenzwertig. Der gebürtige Litauer, der heuer zum bereits sechsten Mal zu Österreichs Handballer des Jahres gekürt wurde, geht dorthin, wo es wehtut.
„Er zählt zu den besten Verteidigern der Welt“, betont Johannesson gerne. Ist Ziura also tatsächlich die Geheimwaffe gegen Hansen? Es würde passen. In diesem Fall wie die – wohlgemerkt – SPRICHWÖRTLICHE Faust aufs Auge.
Wird er auch speziell für Hansen abgestellt werden? „Vielleicht nicht die ganze Zeit, aber er wird seine Aufgabe gegen ihn bekommen“, will sich Johannesson bezüglich seiner Deckungsvariante nicht in die Karten schauen lassen – und grinst wieder so vielsagend.
Man kennt sich
Für Ziura wäre das Herausdecken Hansens eine Aufgabe, in der er schon Übung hat. Bei vergangenen Großereignissen agierte er oft als vorgezogener Abwehrspieler. Dabei kreuzte er bei der EM-Vorrunde 2014 in Dänemark sogar schon die Klingen mit Hansen. Damals siegte der spätere Vize-Europameister allerdings mit 33:29. Hansen traf neun Mal.
Gut für die ÖHB-Sieben: Der Dänen-Bomber gilt nicht gerade als großer Kämpfer und Wühler. Vielmehr als Diva. Ein Auf-die-Zehen-Steigen in einem Match, welches kein „großes“ Endspiel ist, könnte Wirkung haben.
Die letzte Mission des Vytas Ziura – sie scheint förmlich greifbar.
Wenngleich Teamchef und Spieler nicht müde werden zu betonen, dass Dänemark nicht nur aus Mikkel Hansen besteht. Ein Star-Ensemble eben.
Einer, der ein Zeichen setzt
Ziura weiß nur allzu gut, dass er der Mann fürs Grobe ist. Er kennt seine Rolle, sieht deren Bedeutung jedoch ein wenig komplexer. „Viele sprechen immer nur vom bösen Vytas. Aber in einem Spiel geht es nicht nur um Offensive und Defensive. Viel spielt sich auf psychologischer Ebene ab“, erklärt Ziura. Der Gegner dürfe nicht glauben, dass er alles machen könne.
Dieser kleine Effekt kann in manchen Situationen schon den Unterschied zwischen treffen oder verwerfen ausmachen. Ziura verkörpert den Typen des im Fußball so oft zitierten „Aggressive Leaders“ perfekt. Einer, der vorne weggeht. Einer, der in schwierigen Situationen auch einmal ein Zeichen setzt.
„Seine Art, Handball zu spielen, ist sehr wertvoll für uns“, weiß Johannesson. Im Test gegen Deutschland (20:26) hatte der Teamchef genau so einen Typen vermisst. „Da hatten wir in den ersten zehn Minuten zu großen Respekt. Das darf uns gegen Dänemark nicht passieren.“
Und Johannesson weiß, wovon er spricht. Schließlich galt der 43-Jährige zu aktiven Zeiten selbst als knochenharter Verteidiger. Oder wie er es ausdrückt: „Ich war ein Spieler, der gerne den Kontakt zum Gegenspieler gesucht hat.“
Worte, die ihm mit besagtem Grinsen über die Lippen kommen.
Reinhold Pühringer
Wie wichtig Ziura für seinen Klub, die Fivers, ist, belegt dieses Video seines Treffers in letzter Sekunde im HLA-Halbfinale gegen Krems: