Die ÖHB-Frauen haben mit der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2021 im Dezember in Spanien ein kräftiges Ausrufezeichen gesetzt.
Auf dem Weg zur Heim-Europameisterschaft 2024 scheint zum rechten Zeitpunkt eine vielversprechende Entwicklung im Gange zu sein, nachdem die Damen zuletzt im Schatten der Erfolge und regelmäßigen Turnier-Qualifikationen der Männer standen.
Mit Erwin Gierlinger gibt es auf sportlicher Sicht ein Bindeglied zwischen beiden Teams: Der 44-Jährige fungiert sowohl unter Ales Pajovic bei den Herren, als auch unter Herbert Müller bei den Damen als Co-Trainer der ÖHB-Nationalteams.
In dieser Funktion hat der vielfältig ausgebildete Betreuer nicht nur perfekte Einblicke in den Aufbau und Erhalt des Levels der Männer, sondern kann auch den Status quo und die weiteren Hoffnungen für das Frauen-Team gut einschätzen. Es steht der Auftakt in die EM-Qualifikation an, die mit den letzten beiden EM-Vierten Dänemark und Rumänien eine Mammutaufgabe bereithält.
Im LAOLA1-Interview spricht Gierlinger über die Erfolgsfaktoren, Potenziale und Hoffnungen des ÖHB-Teams sowie die Rolle der WHA als Basis für die Entwicklung des Frauen-Handballs:
EM-Qualifikation: Österreich - Rumänien, Sonntag (10.10.) ab 17:55 Uhr LIVE auf LAOLA1>>>
LAOLA1: Der Damen-Handball soll an die Erfolge anknüpfen, die die Herren in den letzten zehn Jahren hingelegt haben. Mit der Qualifikation für die Weltmeisterschaft ist es jetzt schnell gelungen, einen großen Schritt zu setzen. Wo stehen die ÖHB-Frauen gerade?
Erwin Gierlinger: Es ist jetzt fast schneller gegangen, als wir erwartet haben. Die Mannschaft ist gewachsen, individuell und als Mannschaft. Wir haben eine tolle Mischung aus jungen, sehr talentierten Spielerinnen am Anfang ihrer Entwicklung, die eine spannende Karriere vor sich haben - und aus Spielerinnen in Top-Ligen, die schon viel erlebt haben. Dass die Anzahl an Legionärinnen in Top-Ligen, die jede Woche gegen Top-Gegner spielen, schon so hoch ist, ist vielleicht unter dem Radar. Spielerinnen wie Johanna Reichert, Katharina Pandza, Nina Neidhart... das erinnert mich an den Anfang bei den Männern. Ich denke, dass wir eine spannende und erfolgreiche Zeit bei den Mädels haben werden. Es ist in weiterer Folge immer auch eine Frage der Auslosung und der Verletzungsfreiheit. Das haben wir bei den Herren auch - dass es Schlüsselspieler gibt, die es braucht, um überraschen zu können.
LAOLA1: Mit Dänemark, Rumänien und den Färöer-Inseln ist die Quali-Gruppe zur EURO 2022 eine Hammer-Aufgabe. Gibt es Chancen?
Gierlinger: Wir müssen eine Top-Nation im direkten Duell schlagen. Man wird sehen, ob wir schon so weit sind. Nach den Polen-Spielen (im WM-Quali-Playoff, Anm.) bin ich frohen Mutes, weil gerade im ersten Spiel die routinierten Spielerinnen sicher nicht am Limit spielen konnten, aber die jungen Spielerinnen schon bereit waren, in die Bresche zu springen. Diese neue Breite, die macht Mut. Dennoch wird die Qualifikation eine sehr schwierige. Wir hoffen, dass wir trotzdem noch ein zweites Großereignis vor der EURO 2024 mitnehmen können.
(Text wird unter dem VIDEO fortgesetzt)
LAOLA1: Wie wichtig ist die WHA für das Nationalteam?
Gierlinger: Extrem wichtig! Wahrscheinlich haben Johanna Reichert vor zwei Jahren nicht viele auf dem Zettel gehabt. Aber da sieht man, wie gut zuerst in Korneuburg, dann Atzgersdorf gearbeitet wurde. Auch sonst darf nicht vergessen werden: Alle Legionärinnen sind in Österreich entwickelt worden. Auch eine Nina Neidhart oder eine Kathi Pandza haben das Handballspiel in Österreich erlernt. Ich glaube, dass wir bei Männern und Frauen in der Lage sind, punktuell schon sehr gute Spielerinnen und Spieler zu entwickeln. Das nächste Ziel wäre, dass wir in der Breite mehr Qualität schaffen. Das ist, was uns zu den Top-Nationen fehlt. Die können Ausfälle leichter kompensieren. Bei einer WM, wo an zwei Tagen hintereinander gespielt wird, macht es einen großen Unterschied, wie breit der Kader wirklich ist.
LAOLA1: In der WHA gibt es mit Hypo Niederösterreich immer einen Top-Favoriten. Was sind die Vor- und Nachteile für das Nationalteam?
Gierlinger: Die Entwicklung war schon in den letzten Jahren so, dass die Diskrepanz nicht mehr ganz so groß ist. Atzgersdorf hat mehrmals angeklopft und gezeigt, dass sie um Titel mitspielen wollen. Was für die Entwicklung besser wäre? Die Dinge sind eben, wie sie sind. Natürlich ist es von Vorteil, möglichst viel Qualität in einem Kader zu haben, um sich mit den Besten zu messen. Andererseits ist auch der permanente Wettkampf sehr förderlich. Ich denke, dass die Mischung jetzt gut passt. Letztes Jahr war die Liga ja schon eine knappe Angelegenheit. Der Zuschauer weiß, dass eine Überraschung möglich ist.
LAOLA1: In der Herren-Liga spielen viele Vereine hauchdünn getrennt um den Titel mit. Wie kann eine Entwicklung in diese Richtung bei den Frauen angestoßen werden?
Gierlinger: Es ist viel im Entstehen. Es gibt Förderungen für den Frauenbereich und das Anstreben, gewisse Dinge zu professionalisieren. Etwa die Video-Analyse. Am Ende des Tages ist es auch eine Finanzierungsfrage, Video-Systeme zu zahlen, Jugendtrainer zu engagieren und so weiter. Aber das muss der nächste Schritt sein. Vielleicht ist der Zusammenschluss der Handball-Ligen in Österreich jetzt eine Möglichkeit. Die Mädels selber trainieren genau wie die Burschen, da gibt es keinen Unterschied! Sie haben die gleiche Leidenschaft, investieren sehr viel in den Sport.
LAOLA1: Der Versuch, das alles unter eine Marke zu bringen, und das neue ÖHB-Präsidium – wo liegen Chancen und Möglichkeiten? Was sind die Wünsche?
Gierlinger: Es wird jetzt gewisse Förderungen sehr wahrscheinlich geben. So, dass man die Vereine auch im athletischen Bereich unterstützen kann, wo wir – unabhängig vom Geschlecht – im Vergleich zur internationalen Spitze noch nicht ganz dort sind. Da gibt es zu den Top-Nationen noch Luft nach oben. Es ist auch eine Sache von Videoanalyse, nicht nur die Vorbereitung auf den Gegner, sondern auch die Frage: Wo kann ich mich individuell verbessern, wo taktisch? Da haben wir Entwicklungspotenzial, das wir in den nächsten Jahren ausschöpfen werden.
LAOLA1: Wo kann sich die Entwicklung im Damen-Handball in den nächsten Jahren an jener der Herren orientieren?
Ich denke, dass diese Mannschaft für das europäische Mittelfeld bereit ist. Ausschläge nach oben wie unten wird es geben, da ist bei Teams in diesem Bereich viel von Auslosung, Momentum und Verletzungen abhängig. Uns ist bewusst, dass es Rückschläge geben wird.
Gierlinger: Ein Nikola Bilyk war in den Anfangsjahren seiner Team-Karriere sehr jung, aber es war schon erkennbar, dass es eine große Laufbahn werden kann. Wir haben jetzt auch bei den Mädels einige Spielerinnen, die sehr jung sind, aber bei denen das sichtbar ist. Dazu hatten wir bei den Herren in der Anfangsphase noch einen Viktor Szilagyi, bei den Frauen jetzt eine Sonja Frey. Insofern sind da Parallelen in den Voraussetzungen. Der Rest ist eine "self-fulfilling prophecy": Mit Erfolg ist mehr Aufmerksamkeit da, damit mehr Finanzkraft und mehr Möglichkeiten.
LAOLA1: Welches Potenzial steckt generell im österreichischen Damen-Handball? Die Herren sind bei der letzten EM auf dem achten Platz gelandet. In welchem Zeitraum kann sich so ein Erfolg bei den Damen einstellen?
Gierlinger: Ich denke, dass diese Mannschaft für das europäische Mittelfeld bereit ist. Ausschläge nach oben wie unten wird es geben, da ist bei Teams in diesem Bereich viel von Auslosung, Momentum und Verletzungen abhängig. Uns ist bewusst, dass es Rückschläge geben wird. Aber die Qualität der Mannschaft und auch, was ich in der täglichen Arbeit erlebe – Fokus, Begeisterung und die Aufbruchsstimmung in der Mannschaft – da denke ich, dass einiges möglich sein wird. Es wird auch unsere Aufgabe sein, die Mädels auf zusätzliches mediales Interesse zum Heimturnier hin vorzubereiten. Es wird auch zu sehen sein: Der Wettkampfmodus mit vielen Spielen knapp hintereinander ist ein ganz anderer. Wie verkraften wir das? Bei den Männern gab es jetzt schon viele Großturniere. Die wissen, was auf sie zukommt: Von der Anreise zum Team-Hotel, dem ganzen Rundherum, Pressekonferenzen, den Aufgaben bei einem Turnier, die man abseits der Handballtrainings hat. Bei den Frauen ist es etwas Neues. Wie werden wir beim ersten Turnier damit umgehen? Es ist wichtig, diese Erfahrung schon vor der Heim-EM zu machen, um bereit zu sein.
LAOLA1: Kann man jetzt die Spielerinnen in der WHA sehen, die bis 2024 die Stars sein werden?
Gierlinger: Auf jeden Fall! Da sind vom Alter her genau jene Spielerinnen dabei, die jetzt aufzeigen und sich entwickeln können, um 2024 für Furore zu sorgen. Bei Atzgersdorf etwa wurde durch den Abgang von Jojo Reichert eine Lücke offen, die einer anderen Spielerin die Chance gibt, sich zu zeigen. Vielleicht entwickelt sich auch der Fokus des Spiels anders. Das wünschen wir uns, denn es gibt wie immer Positionen, wo wir im Nationalteam gut und breit besetzt sind - und Positionen, wo wir hoffen, dass noch jemand einschlägt.