Peter Seisenbacher ließ am Montag seinen Prozess platzen!
Der Judo-Doppelolympiasieger, der sich unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen im Wiener Straflandesgericht verantworten hätte müssen, tauchte unentschuldigt nicht auf. Auch Verteidiger Bernhard Lehofer war von der Abwesenheit Seisenbachers überrascht.
"Vielleicht hat er den Flieger versäumt. Vielleicht ist er erkrankt", mutmaßte der Anwalt, der den Angeklagten auch telefonisch nicht erreichen konnte.
Lehofer habe zuletzt "vor einigen Tagen" Kontakt mit Seisenbacher gehabt und sei davon ausgegangen, dass dieser wie zugesichert erscheinen wird.
"Ohne den Angeklagten tun wir uns schwer", vertagte Richter Christoph Bauer schließlich die Verhandlung auf unbestimmte Zeit - "zur Ausforschung und Stelligmachung des Angeklagten", wie er formulierte.
Justiz-Entscheidung steht noch aus
Wie die Justiz auf das unentschuldigte Fernbleiben von Peter Seisenbacher reagieren wird, war am Montagvormittag noch unklar. Sollte der Judo-Olympiasieger keine plausiblen Gründe für sein Nichterscheinen nachliefern, könnte ihm passieren, dass er mit einem Europäischen oder Internationalen Haftbefehl zur Festnahme ausgeschrieben wird.
Dem Vernehmen nach lagen dem Gericht vorerst keine Informationen vor, ob Seisenbacher, der derzeit als Judo-Trainer der Herren-Nationalmannschaft in Aserbaidschan tätig ist, überhaupt die Reise nach Wien angetreten hat.
Wo er sich aktuell befindet, konnte auch sein Verteidiger Bernhard Lehofer nicht beantworten, der - was eher ungewöhnlich erscheint - unmittelbar vor dem Verhandlungstermin offenbar keinen Kontakt mit seinem Mandanten hatte.
Weder die Staatsanwaltschaft Wien noch das Landesgericht für Strafsachen waren auf APA-Anfrage zu einer offiziellen Stellungnahme bereit, aber sollte es weiter kein Lebenszeichen von Seisenbacher geben, ist davon auszugehen, dass sich die Justiz zum Handeln veranlasst sehen wird.
Experten kritisieren nicht vorgenommene U-Haft
Hinter vorgehaltener Hand hatten sich einige Rechtsexperten schon bei der Anklageerhebung gewundert, dass seitens der Justiz eine mögliche U-Haft für Seisenbacher nicht angedacht wurde. Immerhin liegen zumindest seine beruflichen Interessen im vorderasiatischen Aserbaidschan.
Dass Seisenbacher auf die Idee kommen könnte, sich bei einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren der Strafverfolgung zu entziehen, wies die Wiener Anklagebehörde Anfang Oktober zurück. "Es gibt keinen Anhaltspunkt für Fluchtgefahr", meinte damals Behördensprecherin Nina Bussek auf Anfrage der APA.
Nur weil ein Tatverdächtiger beruflich viel im Ausland unterwegs sei, könne nicht angenommen werden, dass er sich nicht dem Verfahren stellen wird. Bisher habe Seisenbacher Ladungen übernommen und keinen Anlass zur Vermutung gegeben, er könnte sich einer allfälligen Verhandlung entziehen wollen.
Außerdem sprachen auch seine in Wien lebende betagte Mutter, um die sich Seisenbacher kümmert, und der Umstand, dass er als Trainer der Nationalmannschaft darauf angewiesen ist, sich auch außerhalb von Aserbaidschan frei bewegen zu können, dagegen, dass er einen Haftbefehl riskieren wird.
Sollte tatsächlich ein Haftbefehl ausgestellt werden, ist die Frage, ob dieser vollzogen werden kann. Ein Auslieferungsabkommen mit Aserbaidschan besteht seit Anfang 2006.
Gefallener Olympia-Held
Peter Seisenbacher hatte bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 1984 Gold geholt. Indem er vier Jahre später diesen Olympiasieg bei den Spielen in Seoul wiederholte, was bis dahin noch keinem Judoka gelungen war, sicherte er sich einen Platz in der Sportgeschichte. 1989 beendete er seine aktive Laufbahn, fungierte zunächst als Generalsekretär der österreichischen Sporthilfe und etablierte sich schließlich als Trainer und Funktionär im Judo-Sport.
Für die von ihm betreuten Kinder und Jugendlichen war er weit mehr als ein Trainer. Im Bewusstsein seiner herausragenden sportlichen Erfolge und seiner Verdienste um den Judo-Sport sahen einige von ihnen in Seisenbacher - seit 1996 Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich - eine Art Zweitvater, den man uneingeschränkt bewunderte und nicht infrage stellte.
Das könnte eine Erklärung dafür sein, weshalb einige junge Frauen erst Jahre nach den inkriminierten Übergriffen zur Staatsanwaltschaft gingen und gegen ihren ehemaligen Trainer Anzeige erstatteten. Der Anklage zufolge war ein Mädchen erst neun, als Seisenbacher an ihm Interesse entwickelte. Der Ex-Judoka war mit dem Vater der Schülerin befreundet. Über diese Schiene hatte die Kleine in dem Verein zu trainieren begonnen, in dem Seisenbacher tätig war.
Die Anklage
Laut Anklage soll Seisenbacher - damals 37 Jahre alt - 1997 die Neunjährige erstmals bedrängt haben. Von 1999 an - das Mädchen war elf - kam es nach Angaben der Betroffenen zu geschlechtlichen Handlungen, die als schwerer sexueller Missbrauch einer Unmündigen qualifiziert sind. Die Schülerin soll bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs wiederholt missbraucht worden sein.
Im Sommer 2004 soll sich der Ex-Judoka einem weiteren, damals 13 Jahre alten Mädchen zugewandt haben, das er ebenfalls als Trainer in der Kindergruppe in seinem Judo-Verein kennengelernt hatte. Auch mit diesem Mädchen kam es gemäß der Anklage zu sexuellen Handlungen.
Auf einem Judo-Sommerlager soll Seisenbacher im August 2001 versucht haben, einem dritten Mädchen näher zu kommen. Die 16-Jährige wehrte ihn ihrer Darstellung zufolge aber ab. Für die Staatsanwaltschaft stellt sich dieser Vorgang als versuchter Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses dar.
Keine öffentliche Stellungnahme
Nicht von der Anklage umfasst ist dagegen eine angeblich intime Beziehung, die Seisenbacher vom Sommer 2001 bis Ende 2002 zu einer weiteren 16-Jährigen geführt haben soll. Grund: Die Staatsanwaltschaft bezieht sich in ihrer Anklage auf das "ausdrückliche Einverständnis" der damals zwar noch nicht Volljährigen, aber nicht mehr Unmündigen. Daher wurde in diesem Punkt von der Anklagebehörde kein Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses angenommen.
Der Angeklagte, für den die Unschuldsvermutung gilt, hat sich zu den Vorwürfen bisher nicht öffentlich geäußert. Seisenbacher werde das erst im Rahmen der Hauptverhandlung tun, zu der er "selbstverständlich kommen wird", wie Verteidiger Lehofer Anfang Oktober der APA versichert hatte.
Die Causa Seisenbacher war aufgrund der Prominenz des Verdächtigen berichtspflichtig. Der Anklageentwurf wurde von der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) und von dem von Justizminister Wolfgang Brandstetter eingerichteten Weisungsrat geprüft und genehmigt.