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Sebastian Coe: Denker, Lenker, Retter?

Sebastian Coe erklärt, warum Olympia in der Krise steckt und was gegen Doping-Skandal zu tun ist.

Sebastian Coe: Denker, Lenker, Retter?

Weltverbands-Präsident Sebastian Coe, sein europäisches Pendant Svein Arne Hansen und jede Menge heimische Sport-Prominenz.

Es war aller Ehren wert, welche Kapazunder der Österreichische Leichtathletik-Verband (ÖLV) zu seiner alljährlichen Gala, bei der er seine Athleten des Jahres ehrt, am Montag nach Wien lotste.

Coe, ein Schwergewicht der internationalen Sportpolitik, ließ es sich nicht nehmen, den neuen Preisträgern, 5.000m-Läuferin Jennifer Wenth und Diskuswerfer Lukas Weißhaidinger, zu gratulieren.

Zweifellos eine nette Abwechslung für Coe, der in seiner Funktion als IAAF-Präsident derzeit vornehmlich sein Talent als Trouble-Shooter unter Beweis stellen muss und eine ganze Sportart vor dem Super-GAU bewahren soll. Die schockierenden Enthüllungen um das systematische Doping in Russland, die in einen Wettkampf-Ausschluss aller russischen Leichtathleten mündete, erschütterten den Sport in seinen Grundfesten.

Als sei die Situation noch nicht düster genug, wurde mit Kenia ein weiterer Krisenherd akut. Im erfolgreichsten National-Verband der WM 2015 sollen Funktionäre erwischten Dopingsündern gegen Barzahlungen mildere Sperren in Aussicht gestellt haben.

Das Vertrauen in eine ganze Sportart wurde durch den Reißwolf gedreht. Mit seinem Wien-Besuch konnte Coe dieser Thematik nicht entfliehen, sprach wiederholt von einem „Heilungsprozess“, in dem man sich nun befinde.

„I am a runner!“

Besagter Heilungsprozess benötige jedoch Zeit, beschleunigen lasse er sich nämlich kaum. „Schließlich haben wir nicht das Recht, Vertrauen einzufordern“, so Coe. „Wir müssen es uns verdienen.“

In das Zentrum seiner Bemühungen stellt er die Athleten. Die deutsche Diskus-Ikone Robert Harting hatte in der Vergangenheit bereits das fehlende Vertrauen in die Funktionäre medienwirksam angeprangert, von der größer werdenden Kluft zwischen Sportlern und den Apparatschiks gesprochen.

Sebastian Coe mit den Preisträgern der ÖLV-Gala

Und genau hier will Coe ansetzen und untermauert dieses Ansinnen mit Herzblut aus seiner eigenen aktiven Karriere. „Ich sitze hier ebenfalls als Athlet“, betont der zweifache 1.500m-Olympiasieger (1980, 1985). „Nicht als Politiker, Geschäftsmann oder Olympia-Organisator. I am a runner!“

Russischer Ausschluss von Olympia und EM?

Ob die Olympischen Spiele in Rio tatsächlich ohne die russischen Leichtathleten stattfinden werden, konnte Coe nicht beantworten.

Diesbezüglich folgt am 10./11. März ein Council Meeting in Monaco, bei welchem Rune Anderson, Leiter des Kontrollgremiums der IAAF, über die Fortschritte im Anti-Doping-Kampf berichten wird. „Ich will seinem Report nicht vorgreifen“, meint Coe.

Wie Hansen bestätigt, gilt Ähnliches auch für die Europameisterschaften von 6. bis 10. Juli in Amsterdam. Der Europäische Verband (EAA) werde sich in der Causa Russland an die Verfahrensweisen der IAAF halten.

Die zentralen Fragen haben sich verändert

Mit oder ohne Russland genießen die Spiele unterm Zuckerhut für die IAAF aufgrund der hohen medialen Aufmerksamkeit höchsten Stellenwert.

Dass die Bewerber für die Ausrichtung Olympischer Spiele zurückgehen und die Vorbehalte gegenüber gigantistische Auswüchse sowie kommerzielle Ausbeutung der olympischen Bewegung zunehmen, ist Coe keineswegs entgangen. Der vierfache Weltrekordler sieht die Ursachen hierfür aber weniger im Sport, sondern in einem viel weiteren Kontext.

"Die Menschen heute stellen viel ausgereiftere Fragen und ich bin mir nicht sicher, ob wir diese so gut beantwortet haben, wie wir es hätten tun sollen."

Sebastian Coe

„Als OK-Chef der Spiele in London weiß ich, dass der anspruchsvollste Stakeholder des Sports die Menschen sind. Wenn ich den Job in London vor 20 bis 30 Jahren gemacht hätte, hätte es wahrscheinlich gereicht zu sagen, dass ich die weltweit besten Athleten unserer Generation zu uns hole“, schildert er. Doch das habe sich geändert. Bereits 2012 waren die Anforderungen wesentlich diffiziler.

„Die entscheidende Frage, die an mich vor einigen Jahren am öftesten herangetragen wurde, war ‚Wie?‘. Wie wollen wir die ganzen Gebäude realisieren? Wie wollen wir Millionen Leute durch unsere Stadt transportieren? Doch die Welt hat sich seither noch einmal weitergedreht und nun stellen die Menschen eine viel fundamentalere Frage – und die lautet ‚Warum?‘. Warum bauen wir für viel Geld ein Stadion für 80.000 Zuschauer und was fangen wir danach damit an?“

Dieses Warum sei insbesondere im Hinblick auf Fragen der Nachhaltigkeit entscheidend. „Die Menschen heute stellen viel ausgereiftere Fragen und ich bin mir nicht sicher, ob wir diese so gut beantwortet haben, wie wir es hätten tun sollen“, meint ein nachdenklicher Coe.

In der vom IOC verabschiedeten „Agenda 2020“ sieht der 59-Jährige jedoch bereits Antworten, warum jemand künftig Spiele ausgetragen soll.

Die Zeichen der Zeit

Die neuen Fragen seien laut Ansicht Coes letztlich die Fragen einer neuen Generation. „Junge Menschen sehen die Welt anders“, spricht der mehrfache Familienvater aus eigener Erfahrung und fordert einen Reflektionsprozess in sportlichen Organisationen.

„Junge Menschen vertrauen uns nicht, sie vertrauen unseren Institutionen nicht mehr. Wir müssen darüber nachdenken, in welcher Umgebung sie leben. Sie treten für jegliche Form von Anti-Diskriminierung ein, glauben an Fair-Play, bewahren sich gerne Individualität, mögen es gleichzeitig aber, sich in Netzwerken zusammenzuschließen“, umreißt er Wert-Vorstellungen eines neuen Zielpublikums.

Ansätze, die aufgrund akuter Themen im Moment jedoch noch in den Hintergrund treten. Hoffentlich nicht mehr lange.

Reinhold Pühringer

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