Seit gut 15 Jahren und 5 Monaten steht Karl Stoss an der Spitze des Österreichischen Olympischen Komitees (ÖOC).
Bei der Präsidiums- und Vorstandswahl am Montag im Rahmen einer ordentlichen ÖOC-Hauptversammlung in Wien tritt der 68-jährige Vorarlberger nach vier Amtszeiten nicht mehr an. Gemäß der Wahlliste soll das aktuelle ÖOC-Vorstandsmitglied Horst Nussbaumer zum Nachfolger gewählt werden. Im APA-Interview zog Stoss Bilanz und nahm auch zu einigen anderen Aspekten Stellung.
Frage: Herr Stoss, Sie stehen unmittelbar vor dem Ende Ihrer Amtszeit. Wie hat sich in diesen rund 15 Jahren die olympische Bewegung aus Ihrer Sicht entwickelt?
Karl Stoss: "Es ist eine sehr kraftvolle Bewegung - die Mehrstufigkeit mit den Jugendspielen, mit den kontinentalen Spielen und natürlich mit den großen Spielen. Es ist das Besondere und Wichtige, dass wir unserer Jugend zeigen, dass es ohne Disziplin und Leistungsbereitschaft nicht geht, erfolgreich zu sein. Das hat sich gewaltig geändert, dass man diese Dinge in den Vordergrund gestellt hat und ich glaube, man wird das in Zukunft noch viel mehr müssen.
Wir erleben in vielen Stufen eine Erosion des Vertrauens. Das gilt für Regierungen, für NGOs, aber auch für sportliche Veranstaltungen. Wir müssen die Werte aufzeigen, dass es sich lohnt, sauberen Sport und Fairplay zu praktizieren und umzusetzen. Da sind wir auf einem guten Weg, da hat sich viel getan."
(Interview wird unterhalb fortgeführt)
Olympia-Sprüche: "Hoffe, dass alle der Reihe nach krepieren"
Frage: Sie sind noch bis zu den Winterspielen 2030 IOC-Mitglied. Wo liegen in diesen noch fünf Jahren Ihre Aufgaben?
Stoss: "Das olympische Sport-Programm, das wird uns weiter beschäftigen - wie wir die Spiele noch attraktiver machen können. Ich bleibe in der 'Future Host Winter Games Commission' Chairman. Wir machen uns auch schon seit längerer Zeit Gedanken, wie man Spielen die Komplexität nehmen, sie vereinfachen kann. Es wird immer mehr und wir stoßen da an Grenzen und Möglichkeiten.
Dann bin ich in einer Einheit gegen Manipulation und Match-Fixing - das ist ein sehr wichtiges Thema, sei es über Wetten oder andere Auftritte. Da freue ich mich auf die Zukunft, gemeinsam auch mit Kirsty diese Themen zu bearbeiten und zu vertiefen."
Frage: Wie sehen Sie das IOC aufgestellt nach der Wahl von Kirsty Coventry zur Nachfolgerin von Präsident Thomas Bach?
Stoss: "Das IOC steht sehr gut da. Die Olympischen Sommer- und Winterspiele sind bis 2034 vergeben. Sehr viele Spiele sind vergeben, da kann Kirsty einmal in Ruhe und ohne Druck arbeiten. Das IOC hat auch eine absolute Stärke, was die finanzielle Basis betrifft. Es wurden wieder einige große Verträge abgeschlossen. Für die nächsten vier Jahre haben wir genügend Mittel, um unsere Programme fortzusetzen.
Da gibt es sehr viele Maßnahmen und auch Neuerungen, die während der Präsidentschaft von Thomas Bach initiiert wurden. Wir haben große Herausforderungen - Stichwort AI. Da wird einiges auf den Sport zukommen mit Artificial Intelligence. In Summe kann Kirsty Coventry voll auf Kontinuität setzen, muss keine Revolution veranstalten, sondern eine Evolution. Es gibt immer Bedarf, etwas besser zu machen, etwas anders zu machen. Aber es ist kein dringender Handlungsbedarf. Sie übernimmt in einem sehr guten Fahrwasser."
Frage: Waren Sie überrascht, dass die Wahl Coventrys in einem Durchgang über die Bühne gegangen ist?
Stoss: "Da waren wir alle überrascht. Es gab doch sehr starke Mitbewerber. Aber man muss sagen, Respekt, gleich auf ersten Anhieb die Mehrheit zu erreichen. Das ist gut, weil dann sind die Fronten klar. Dann gibt es auch keine großartigen langen Streitereien."
"Absolut! Da gebe es durchaus einige Kandidatinnen. Es soll aber nicht das Geschlecht im Vordergrund stehen, sondern die besten Leute mitwirken. Wenn das zufällig eine Frau ist, umso besser."
Frage: Als IOC-Mitglied bleiben Sie im ÖOC-Vorstand. Sehen Sie das als gute Basis, sich im IOC weiter für ÖOC-Anliegen einzusetzen?
Stoss: "Ich bin (im ÖOC, Anm.) nicht mehr in führender Position, das wollte ich eigentlich. Ich wollte mich etwas zurücknehmen, es in jüngere, in andere Hände geben. Ich habe das große Glück, dass ich gesund und körperlich fit bin, dass ich mir meine Zeit selber einteilen kann. Deswegen auch mein Wunsch, nicht mehr anzutreten. Das ist nicht, weil ich das Kind ÖOC weglegen möchte, sondern ich glaube, ich habe es mit meiner Mannschaft toll aufgepeppelt.
Die IOC-Funktionen werden dann die einzigen sein, die ich neben meinem Privatleben noch auszufüllen habe. Aber ich stehe sehr gerne weiter zur Verfügung, will mich auch einbringen in die Anliegen, die es im ÖOC gibt, oder auch im IOC aus internationaler Sicht betrachtet."
Frage: Im IOC gibt es in der Präsidentschaft eine dreimonatige Übergangsphase, beim ÖOC nicht. Wie sehen Sie diese Thematik?
Stoss: "2009 wurde ich wirklich ins kalte Wasser geworfen, weil das ÖOC in einer ganz schlimmen Situation war mit dem 'Fall Jungwirth'. Ich wusste zu Beginn der Reise gar nicht genau, wo das genau wirklich hingeht, weil ich noch nicht die Internas kannte. Aber ich habe dann recht rasch erkannt, dass das ein wahnsinniger Sauhaufen war. Es gab nicht einmal eine vorhandene Buchhaltung, geschweige denn einen Beleg. Da gab es gar nichts. Das war ein irrer Aufwand, der mich an die Grenzen des Möglichen gebracht hat.
Und dann wieder möglichst rasch das Vertrauen der Sponsoren zurückzugewinnen. Weil wir brauchen auch finanzielle Mittel, um all das bestreiten zu können. Aber das haben wir Gott sei Dank auf die Reihe bekommen. Mir ist aber keine Minute eines Übergangs geblieben, sondern ich bin da gleich hineingestoßen worden. Da hat es Horst einfacher, weil er schon seit 2017 ÖOC-Vorstandsmitglied ist.
Er hat kaum bei einer Sitzung gefehlt. Er war immer dabei bei Olympischen Sommerspielen - er weiß, worum es geht. Und er hat mit Florian Gosch (künftiger ÖOC-Generalsekretär, Anm.) jemand, der genauso für Kontinuität steht. Er ist auch schon elf Jahre dabei. Das ist schon ein Vorteil."
Frage: Kirsty Coventry ist die erste Frau an der IOC-Spitze. Wäre die Zeit auch für die erste Frau an der ÖOC-Spitze schon reif?
Stoss: "Absolut! Da gebe es durchaus einige Kandidatinnen. Es soll aber nicht das Geschlecht im Vordergrund stehen, sondern die besten Leute mitwirken. Wenn das zufällig eine Frau ist, umso besser."
Frage: Welche waren die schönsten und die schlimmsten Momente in Ihrer Amtszeit?
Stoss: "Die allerschönsten Momente waren, dass ich bei 33 olympischen Veranstaltungen dabei sein durfte und dabei 287 österreichische Medaillen errungen wurden. Da freut man sich über jede einzelne Medaille, wenn man weiß, was das heißt, was ein einzelner Mensch, eine junge Athletin, ein junger Athlet investiert hat, um dahinzukommen. Das waren sicher die allerschönsten Momente in meinem Leben.
Der schlimmste war, dass man mich da so ins kalte Wasser geworfen hat und ich da so einen desolaten Zustand vorgefunden habe. Was negativ war für mich, war dieser schreckliche unverschuldete Busunfall in Baku bei den European Games von Synchronschwimmerin Vanessa Sahinovic. Das war ganz traurig. Oder mitten in der Nacht geweckt zu werden in Sotschi beim Dopingfall von (Langläufer Johannes, Anm.) Dürr.
Das war auch nicht wahnsinnig lustig. Und medial durch den Kakao gezogen zu werden mit der Nullnummer in London (2012, Anm.). Aber es ist so im Sport. Man kann nicht nur Erfolge haben, es gibt auch Niederlagen. Wenn man aus den Niederlagen lernt, dann ist es gut. Und das haben wir."