Am 27. Oktober wird Österreichs Sportler des Jahres 2016 gekürt.
Mit Marcel Hirscher, Dominic Thiem, Christian Fuchs, Jakob Pöltl und Lukas Weißhaidinger haben zwar noch fünf Kandidaten Chancen, alles deutet jedoch auf einen Zweikampf zwischen den beiden Erstgenannten hin.
Hirscher oder Thiem? Schon in den User-Kommentaren der vergangenen Tage konnte man sehen, dass Österreichs Sportlandschaft in dieser Frage gespalten ist.
Auch bei LAOLA1 gehen diesbezüglich die Wogen hoch, weshalb sich die Redakteure Matthias Nemetz und Christian Frühwald ein Streitgespräch lieferten:
Christian Frühwald: Bei allem Respekt vor Christian Fuchs, Jakob Pöltl und Lukas Weißhaidinger - die Entscheidung über den Sportler des Jahres 2016 wird zum Duell zwischen Marcel Hirscher und Dominic Thiem. Und angesichts der traditionellen Wintersport-Affinität unseres Landes befürchte ich, dass Thiem - trotz seiner sensationellen Erfolge in diesem Jahr - nur zweiter Sieger werden wird. Für mich völlig unbegreiflich!
Dominic Thiem stürmte hingegen mit gerade einmal 22 Jahren auf Platz sieben der Tennis-Weltrangliste, gewann vier große ATP-Turniere und erreichte das Halbfinale bei den French-Open - und das alles in einer absoluten Weltsportart, die nicht nur von einer Handvoll Nationen ernsthaft betrieben wird.
Matthias Nemetz: Ich gebe dir recht, ein Zweikampf zwischen Thiem und Hirscher bahnt sich an. Der Ski-Star wird ihn für sich entscheiden und zum dritten Mal zu Österreichs Sportler des Jahres gewählt werden. Allerdings nicht wegen der Wintersport-Affinität unseres Landes, sondern ob seiner sensationellen Leistungen.
Frühwald: Natürlich hat auch Marcel Hirscher ein starkes Jahr abgeliefert, aber am Ende muss man abseits aller Emotionen einfach nur die Zahlen sprechen lassen. Was hat er schlussendlich gewonnen? Den Gesamtweltcup und zwei kleine Kristallkugeln. Eine tolle Leistung, aber auch nichts Sporthistorisches aus österreichischer Sicht. Dominic Thiem stürmte hingegen mit gerade einmal 22 Jahren auf Platz sieben der Tennis-Weltrangliste, gewann vier große ATP-Turniere und erreichte das Halbfinale bei den French-Open - und das alles in einer absoluten Weltsportart, die nicht nur von einer Handvoll Nationen ernsthaft betrieben wird.
Nemetz: Wenn wir schon die Fakten sprechen lassen, dann richtig. Nichts Sporthistorisches? Da bist du falsch informiert. Er hat als erster Skifahrer der Geschichte zum fünften Mal (!!!) in Folge den Gesamtweltcup gewonnen. Das hat vor ihm noch niemand geschafft, also ist es historisch. Thiem hat hingegen Platz sieben der Weltrangliste und das French-Open-Halbfinale erreicht, ein gewisser Thomas Muster war einst die Nummer eins der Welt und hat in Paris gewonnen. Also genau genommen hat er nichts Sporthistorisches erreicht, Hirscher schon. Der hat dazu noch die kleine Kugel für den Riesentorlauf-Weltcup geholt und im Gesamtweltcup 1.795 Punkte gesammelt - so viel wie nie zuvor in seiner Karriere. Überhaupt hat nur Hermann Maier 1999/2000 mehr Zähler in einer Saison (2.000) gesammelt. So gesehen war es sogar die beste Saison in Hirschers Karriere. Was soll er denn noch alles tun? Er kann nichts dafür, dass keine WM oder Olympische Spiele auf dem Programm standen. Apropos Olympische Spiele: Wo war Dominic Thiem, während andere rot-weiß-rote Sportler im August in Rio um Medaillen für Österreich gekämpft haben?
Frühwald: Bei Olympischen Spielen ist der große Unterschied zwischen Welt- und Randsportarten eben gut zu erkennen: Während bei letzteren der Stellenwert extrem hoch ist, nehmen Fußballer, Golf-Pros oder Tennis-Spieler die Jagd nach olympischen Edelmetall meist nur als nette Draufgabe wahr, wenn es gut in den eigenen Terminkalender passt. Die Prioritäten liegen einfach anders. Es gibt keinen Tennis-Spieler auf der Welt, der einen Grand-Slam-Titel für Olympia-Gold eintauschen würde. Doch kommen wir zu Hirschers historischem fünften Gesamtweltcupsieg in Folge: Eine wahrlich beeindruckende Leistung, vor der auch ein Hermann Maier oder ein Ingemar Stenmark nur den Hut ziehen können. Dafür gebührt ihm nach seiner Karriere auch mit Sicherheit die Auszeichnung für sein Lebenswerk. Der Sportler des Jahres wird allerdings für seine Leistungen in einem bestimmten Kalenderjahr geehrt. Wenn Thiem das Jahr 2020 zum fünften Mal in Folge in den Top 10 beendet, macht es diese Leistung auch nicht besser oder schlechter als jene in dieser Saison. Und zum Vergleich: Jürgen Melzer hatte im Jahr 2010 eine ähnliche bzw. sogar etwas schlechtere Bilanz, als er souverän zum Sportler des Jahres gekührt worden ist. Thiem könnte es heuer sogar noch als erster Österreicher seit Thomas Muster zum ATP World Tour Finale im Einzel schaffen.
So gesehen war es sogar die beste Saison in Hirschers Karriere. Was soll er denn noch alles tun? Er kann nichts dafür, dass keine WM oder Olympische Spiele auf dem Programm standen.
Nemetz: Gut gekontert. Der Olympia-Spruch war zugegeben auch eher Provokation als ernst gemeintes Argument. Ich habe auch in keinster Weise irgendetwas gegen Dominic Thiem. Ich zolle seinen Leistungen allerhöchsten Respekt. Er hat es in einer Weltsportart ganz nach oben geschafft, das ist genial! Aber Marcel Hirscher hatte einfach eine herausragende Saison, hat Geschichte geschrieben und hielt noch dazu dem immensen Druck, der auf ihm lastete, stand. Eine ganze Nation erwartete Siege und Kristallkugeln von ihm. Er hat in der letzten Saison das Maximum herausgeholt, mehr wäre nicht gegangen. Bei Dominic Thiem kann man das so nicht sagen. Bis zur Jahresmitte war er voll auf Kurs, alles lief perfekt. Danach rutschte er (auch durch Verletzungen) in ein kleines Loch. Außerdem hat man das Gefühl, dass trotz der sensationellen Erfolge noch etwas mehr gegangen wäre. Bei Hirscher wäre nicht mehr gegangen, daher ist er mein Sportler des Jahres.
Frühwald: Das Momentum ist kurioserweise wirklich auf Seiten von Marcel Hirscher, obwohl dieser erst in diesen Tagen in die neue Weltcup-Saison startete. Die durchwachsene zweite Jahreshälfte (die allerdings auch ein durch Verletzung abgebrochenes US-Open-Achtelfinale und ein Metz-Endspiel beinhaltete) hatte Thiem allerdings vor allem körperlichen Problemen "zu verdanken". Inwiefern hier also mehr hätten gehen sollen, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Um noch einmal auf das Beispiel von Jürgen Melzer zurückzukommen: Dieser hatte damals das Momentum auf seiner Seite. Während Melzer erst mit dem French-Open-Halbfinal-Einzug so richtig in Schwung kam, war es für Thiem der vorläufige Höhepunkt eines unglaublichen Erfolgslaufs. Und noch ein Wort zur angeblichen Druck-Situation von Marcel Hirscher: Bei der Heim-WM in Schladming oder den Olympischen Spielen in Sotschi stand er sicherlich mehr im Fokus als in einer normalen Weltcup-Saison. Wie gesagt: Marcel Hirscher hat in der vergangenen Saison alles gegeben und auch fast alles rausgeholt, was es zu holen gab. Das hat allerdings auch Billard-Ass Albin Ouschan - und der hat es als Welt- und Europameister nicht einmal in die Top 5 geschafft. Das Argument der Sportarten-Gleichberechtigung der Wintersport-Fraktion ist also ein einseitiges.
Nemetz: Wie oft kommst du denn noch mit der Ungleichberechtigung? Du hast recht, auch Albin Ouschan hätte sich mehr Aufmerksamkeit verdient, weil es sicher nicht einfach ist, im Billard Weltklasse zu sein. Aber das ist eine andere Baustelle, auch dafür kann Hirscher nichts. Für mich gibt es keine Ungleichgewichtung, auch wenn es die vielleicht für manch einen Journalisten gibt. Hirscher war in der letzten Saison in seiner Sportart der Beste der Welt. Und zwar klar. Ob das jetzt eine Weltsportart ist oder nicht, ist nebensächlich. Seit wann spielt es bei der Wahl zum österreichischen Sportler des Jahres eine Rolle, wie groß die Sportart weltweit gesehen ist? Skifahren ist in Österreich geschichtlich gesehen wichtig und hat einen hohen Stellenwert. Ob man das mag oder nicht, es ist einfach so. Und die Wahl findet in Österreich statt. Deshalb wird Hirscher womöglich nie Laureus Weltsportler des Jahres (wenn es ein Skifahrer schafft, dann vermutlich er), aber unter den Sportlern ist er in Österreich die Nummer eins. Wenn es Hirscher nicht gäbe, wäre Thiem mein Sportler des Jahres. Aber es gibt Hirscher, und er hatte eine grandiose Saison. Die wohl beste (nicht erfolgreichste, aber beste) seiner Karriere und sollte deshalb am 27. Oktober die Trophäe für den Sportler des Jahres entgegennehmen.
Frühwald: Ich gebe dir recht, dass es wahrscheinlich so kommen wird. Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Skifahrer-Bonus in Österreich nur schwer zu kompensieren ist. Für mich bleibt trotzdem Dominic Thiem der Sportler des Jahres. Knapp vor Marcel Hirscher. Aber lassen wir uns überraschen, wie sich schlussendlich unsere Kollegen entscheiden. Ich bin gespannt!