„Das sind die Olympischen Spiele, die mich vom Rudel trennen werden“, sagt Usain Bolt.
Rio 2016, das wird die letzte große Show des schnellsten Mannes, den es je gegeben hat. 100 Meter, 200 Meter, 100-Meter-Staffel – drei Mal Gold sind das Ziel. Das ist ihm 2008 in Peking und 2012 in London gelungen, jetzt soll ihn das Triple-Triple endgültig unsterblich machen.
„Ich bin älter und es wird schwerer. Aber immer, wenn ich mich wirklich schlecht gefühlt habe, habe ich mich daran erinnert, dass ich das schaffen muss“, sagt der Jamaikaner.
Bei der Leichtathletik-WM 2017 in London ist dann das große Auslaufen angesagt. In England wird er nur noch die 100 Meter bestreiten, dann ist endgültig Schluss. Die Konkurrenz wird aufatmen.
"Acht Jahre jeden Sprinter zerstört"
„Er hat acht Jahre lang jeden Sprinter dieser Welt psychisch und physisch zerstört“, bringt es Donovan Bailey, 100-m-Olympiasieger von 1996, auf den Punkt. Acht Jahre, in denen Bolt alles überstrahlt hat. Rennen mit dem 29-Jährigen wirkten oft, als würde ein Turnlehrer gegen Volksschulkinder laufen.
Elf Hundertstel Sekunden liegen zwischen Bolts Weltrekord (9,58 Sekunden) und den Zeiten der beiden Männer, die ihm bisher am nächsten gekommen sind – Yohan Blake und Tyson Gay. Über eine Strecke von 100 Meter sind das Welten. Ob jemals einer kommen wird, der noch schneller laufen kann? Wahrscheinlich. Ob das schon in den kommenden Jahren sein wird? Unwahrscheinlich.
Bolt ist eine Ausnahmeerscheinung. Wenngleich er technisch nicht perfekt ist – er trägt seine Brust zu hoch, seine Schultern wippen zu viel nach oben und unten. Und seine Starts sind oft richtig schlecht.
Die Schritte und der Kopf
Doch wenn Bolt dann läuft, ist er unschlagbar. Das hat nicht zuletzt mit seiner Körpergröße von 1,95 Meter zu tun. Bolt benötigt zwischen 40 und 41 Schritte für 100 Meter, bei den anderen Top-Sprintern sind es 42,5 bis 46 Schritte. „Wir laufen denselben Rhythmus, aber seine Schritte sind einfach viel größer“, ärgerte sich Gay einmal.
Neben seiner physischen Ausnahmestellung hat Bolt noch eine zweite ganz große Stärke – seinen Kopf. Kaum ein anderer Athlet geht mit Druck derart gut um. Rund 75 Rennen hat er seit 2008 bestritten, die Niederlagen kann man an einer Hand abzählen. Nur einmal war er nicht da, als es um Gold ging: 2011 in Daegu musste er WM-Gold über die 100 Meter Landsmann Yohan Blake überlassen, nachdem er wegen eines Fehlstarts disqualifiziert wurde.
Es ist diese Aura der Unbesiegbarkeit, die seine Konkurrenten vor dem Start förmlich in Ehrfurcht erstarren lässt. Das jüngste Beispiel dafür ist die WM 2015 als Bolt über die 100 Meter Justin Gatlin in 9,79 Sekunden nur um eine Hundertstel Sekunde besiegen konnte. Gatlin war davor schon schnellere Zeiten gelaufen, vermochte seine Topform an diesem Abend aber nicht auf die Bahn zu bringen.
Journalist rappt für Bolt:
(Artikel wird unter dem Video fortgesetzt)
Das sagenhafteste Rennen der Sprint-Legende war jenes am 16. August 2008, als er bei den Spielen von Peking die Welt mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund hinterließ, nachdem er das 100-Meter-Finale in 9,69 Sekunden für sich entschieden hatte.
Doch es war nicht nur die unglaubliche Zeit, es war die Art und Weise, in der er das Rennen zu Ende brachte. Rund 15 Meter vor dem Ende stellte er den Sprint ein, schlug sich auf die Brust und überquerte die Ziellinie mit weit ausgebreiteten Armen. Und eines seiner Schuhbänder war auch noch offen.
Die Begründung eines Mythos
Wie schnell Bolt gelaufen wäre, hätte er an diesem Abend durchgezogen, ist eines der größten Leichtathletik-Rätsel, die nie geklärt werden, gleichzeitig aber auch den Mythos Bolt begründet. „Die Leute haben sich gefragt, wie schnell ich sein hätte können. Genau damit habe ich ihre Aufmerksamkeit erregt“, sagt Bolt. „Ich habe so etwas noch nie gesehen“, erinnert sich Michael Johnson noch gut an diese Vorstellung.
Vier Tage später musste der ehemalige US-Sprinter mitansehen, wie Bolt in 19,30 Sekunden seinen Weltrekord über 200 Meter brach. Zwölf Jahre hatte die Fabelzeit von 19,32 Sekunden, die Johnson 1996 in Atlanta auf die Bahn hämmerte, gehalten. Experten hatten damit gerechnet, dass Johnsons Weltrekord Jahrzehnte Bestand haben würde. 2009 in Berlin zeigte Bolt mit 19,19 Sekunden, was alles möglich ist.
Diesen Weltrekord noch einmal zu brechen, ist das erklärte Ziel des 29-Jährigen in Rio, er spricht sogar von einer Zeit unter 19 Sekunden. Sollte ihm das – durchaus überraschend – tatsächlich gelingen, wird nach seinem Karriereende trotzdem die Frage bleiben, wie gut Bolt sein hätte können.
"Ich mag das Training nicht"
Fakt ist, dass Bolt zwar 2002 als 15-Jähriger bei der Junioren-WM in Kingston über die 200 Meter ein erstes ganz dickes Ausrufezeichen gesetzt hat, sich in den Jahren danach aber nur sehr langsam weiterentwickelte. Es bedurfte viel Mühe seines Trainers Glen Mills, der ihn 2004 unter seine Fittiche nahm, um dem Youngster zu vermitteln, dass Talent nicht ausreicht, um ein ganz Großer zu werden.
„Er hat keine Leidenschaft für harte Arbeit“, sagt Mills. Bolt verpasst keine Gelegenheit, um Medien mitzuteilen, dass er faul ist. „Die Leute glauben das zwar nicht, aber es ist wirklich so. Ich mag das Training nicht“, so Bolt.
Fakt ist auch, dass der Körper des Sprinters wesentlich fragiler ist, als er bei all den Muskelpaketen wirkt. Der Rücken macht regelmäßig Probleme und seit Teenagertagen macht ihm der hintere Oberschenkel zu schaffen. Die vergangenen Jahre waren von Verletzungspausen und Wettrennen gegen die Zeit, um rechtzeitig zu Großveranstaltungen fit zu werden, geprägt. Die erste Hälfte 2016 lief nicht anders, Bolt konnte nicht einmal bei den jamaikanischen Trials antreten.
„Ich hatte nie eine perfekte Saison. Keine Saison ohne Verletzungen, in der alles glatt gelaufen ist und ich sehen konnte, wie schnell ich laufen kann“, so der Superstar.
Es hat dennoch gereicht, um zum größten Sprinter aller Zeiten aufzusteigen. Und gleichzeitig zu einem der größten Showmen, die die Leichtathletik je gesehen hat. Es ist das Gesamtpaket Usain Bolt, das ihn so einzigartig macht. Jetzt steht die letzte große Show an.