Die Marihuana-Sperre von US-Sprinterin Sha'Carri Richardson hat die Debatte über das bestehende Cannabis-Verbot im Sport erneut entfacht.
Die amerikanische Sportprominenz und progressive Medien erklärten sich solidarisch mit der 21-Jährigen, die als der neue Star am Leichtathletik-Himmel gilt und nun den 100-Meter-Lauf bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio verpasst. Selbst die hohe Politik beschäftigt das Thema mittlerweile.
Richardsons Sperre war am vergangenen Freitag bekanntgeworden. Sie räumte kurz darauf den Marihuana-Konsum in einem "Zustand emotionalen Schmerzes" nach der - von einem Reporter überbrachten - Nachricht vom Tod ihrer leiblichen Mutter ein: "Ich entschuldige mich dafür, dass ich während dieser Zeit nicht wusste, wie ich meine Emotionen kontrollieren oder mit meinen Emotionen umgehen sollte. Ich bin ein Mensch", führte die 21-Jährige zudem als Entschuldigung an. "Aber es wird nie einen Steroid-Missbrauch in Verbindung mit Sha'Carri Richardson geben."
So kurz vor Olympia schlägt der Fall in den USA hohe Wellen. "Schuldig, ein Mensch zu sein", urteilte die "Washington Post" über Richardson, der eine veraltete Richtlinie nun genau das einbringe, was sie eigentlich hätte vermeiden wollen: Schmerz. "Sha'Carri Richardson ist der (Trauer)Bewältigung schuldig, nicht des Dopings.", schrieb die Zeitung. Im starren Olympia-System werde sie nun vorschnell als Betrügerin behandelt, die sie nicht sei.
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Einen wissenschaftlichen Konsens darüber, dass Marihuana leistungssteigernd im Sport wirkt, gibt es nicht. Substanzen, die für die Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) infrage kommen, werden nach drei Kriterien beurteilt: ob sie leistungssteigernd wirken, ob sie die Gesundheit schädigen und ob sie dem Geist des Sports widersprechen. Erst kürzlich hat die WADA den Strafrahmen für Athleten, die außerhalb des Wettkampfs positiv auf Freizeitdrogen getestet werden, von zwei Jahren auf ein bis drei Monate reduziert.
Solidarität von anderen Sportlern
Solidaritätsbekundungen für die "The Rocket" genannte Athletin, die im April zur sechstschnellsten Frau aller Zeiten avancierte (10,72 Sek.), trudelten quer über alle Sportarten ein. Nicht wenige davon artikulieren in Zeit der zunehmenden Legalisierung in den USA ihr Unverständnis. Der frühere Basketball-Star Dwyane Wade etwa warf Bundesstaaten mit restriktiven Marihuana-Gesetzen Doppelmoral vor. "Die Mehrheit von euch Gesetzesmachern raucht doch selbst Marihuana und investiert wahrscheinlich sogar in THC-Unternehmen", meinte der dreifache NBA-Champion.
Star-Quarterback Patrick Mahomes von den Kansas City Chiefs bezeichnete die Folgen für Richardson überhaupt als "Müll". "Lasst sie einfach nur laufen." Richardsons Branchenkollege und Sprint-Olympiasieger Michael Johnson sagte: "Ich weiß nicht, warum Marihuana verboten ist. Vielleicht aus einem guten Grund, vielleicht auch nicht. Ich wünschte, das Verbot würde ausgesetzt, bis man Gründe für beides kennt."
Selbst US-Präsident Joe Biden hatte das Thema bei einer Routine-Pressekonferenz zu kommentieren. "Regeln sind Regeln", betonte Biden. "Ob die Regeln aber so bleiben sollten, ist ein anderes Thema." Bidens Sprecherin, Jen Psaki, merkte zudem an: "Sha'Carri Richardson ist eine inspirierende junge Frau, die persönlich viel durchgemacht hat. Es ist ihr gelungen, eine der schnellsten Frauen der Welt zu sein - und das ist auch ein wichtiger Teil der Geschichte."
Ganz ausgeträumt ist Richardsons Olympia-Traum noch nicht. Eine Teilnahme an der 4x-100-m-Staffel der Frauen wäre zeitlich möglich. Ob sie starten darf, hat der amerikanische Verband USATF und das Nationale Olympische Komitee USOC noch nicht entschieden.