Olympia 2024
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Beendet ein Sechseck die chinesische Tischtennis-Herrschaft?

Der Schwede Truls Möregardh setzt in Paris zur Sensation an. Es ist nicht seine erste. Wie es dazu kam und was sein sechseckiger Schläger bringen soll.

Beendet ein Sechseck die chinesische Tischtennis-Herrschaft? Foto: © getty

China gegen… nein, nicht China. Schweden.

Im Männer-Finale des olympischen Tischtennis-Turniers von Paris 2024 (Sonntag, ab 14:30 Uhr im LIVE-Ticker) könnte die chinesische Dominanz ein Ende finden.

Letztmals holte 2004 ein Nicht-Chinese Einzel-Gold. Seit dem Triumph des Südkoreaners Ryu Seung-min gingen nicht nur alle Titel an China, sondern gleich auch noch alle Silbermedaillen. Seit 2008 waren vier Olympia-Finali en suite eine rein chinesische Angelegenheit.

Zumindest die letzte Serie ist definitiv vorbei. Dank Truls Möregardh. Einem 22-jährigen Schweden mit einem ungewöhnlichen Schläger: Sechseckig statt rund.

Erinnerungen an die 90er-Jahre

Aktuell lebt ein traditionelles Nationenduell neu auf. Ab den späten 80ern biss sich China immer wieder die Zähne an Schweden aus – vertreten durch die Allzeit-Legenden Jan-Ove Waldner, Jörgen Persson und Mikael Appelgren.

25 Jahre nach dieser Ära gelingt der historisch größten Tischtennis-Nation Europas langsam wieder der Anschluss. Matthias Falck wurde 2019 Vize-Weltmeister, Möregardh selbst machte es ihm 2021 nach. Beide Male war es eine Sensation.

2021 wurde das Doppel aus Kristian Karlsson und Falck Weltmeister, 2023 gelang dann auch der Mannschaft mit dem Europameistertitel der erste große Erfolg seit 21 Jahren.

Die Schweden sind wieder in der Breite stark, dabei schließt sich auch ein Kreis. Denn die Erfolge seit 2021 gehen auch auf das Konto von Jörgen Persson, der im Herbst zuvor das Amt als Nationaltrainer antrat.

Er konnte es selbst nicht fassen

Nun findet der schwedische Weg zurück an die Spitze seinen vorläufigen Höhepunkt in Möregardhs Teilnahme am olympischen Tischtennis-Finale.

Es ist ein kleines Märchen, denn so wirklich am Zettel hatte die aktuelle Nummer 26 der Welt im Vorfeld niemand. Spätestens in der Runde der letzten 32 änderte sich das schlagartig.

 

(Text wird unterhalb fortgesetzt)

Da nahm Möregardh mal eben Wang Chuqin aus dem Turnier. Die Nummer 1 der Welt, die Nummer 1 des Turniers. Nachdem schon so lange kein Chinese mehr bei Großereignissen strauchelte.

Möregardh selbst war danach völlig außer sich, konnte das Erreichte nicht fassen.

Es war ein Erfolg, der ihn beflügelte. Im Halbfinale schlug er den Brasilianer Hugo Calderano, als Nummer 6 der Welt auch kein Unfähiger.

Nicht sein erstes Märchen

So überraschend Möregardhs Tischtennis-Märchen auf den ersten Blick auch scheinen mag, auf den zweiten ist es das gar nicht.

Nicht nur wegen der vorangegangenen Sensation bei der Weltmeisterschaft 2021 in Houston, als der Schwede auf dem Weg ins Finale gleich sechs höher eingestufte Spieler schlug.

Damals war Möregardh gerade einmal Nummer 77 der Welt. Noch nie zuvor bestritt ein so hoch klassierter Spieler ein WM-Endspiel. Fan Zhendong war dann eine zu hohe Hürde – ausgerechnet der Finalkontrahent am Sonntag in Paris.

Nur ein Österreicher war (später) jünger

Trainer Persson war selbst ein Großer: Weltmeister 1991
Foto: © getty

Doch Möregardh war schon zuvor eines der Tischtennis-Wunderkinder, die in den letzten Jahren so zahlreich aus dem Boden schossen.

Mit 14 war er 2016 der jüngste Spieler, der jemals ein Champions-League-Spiel bestritt – ehe ihm mit Julian Rzihauschek ein Österreicher diese Rekordmarke abluchste.

Schon mit 16 war klar: Möregardhs Weg geht Richtung Tischtennis-Profi. Dafür beendete er sogar seine schulische Laufbahn nach den Pflichtjahren. Mit vollster Unterstützung seiner Eltern.

Der Lohn kam schnell: Noch im selben Jahr wurde der Schwede mit dem Team WM-Dritter. Im Anschluss an dieses frühe Ausrufezeichen wechselte Möregardh auf Vereinsebene nach Japan.

Bereits einmal die Nummer 1 Europas

Auch in Sachen Weltrangliste hat der Youngster schon einmal ganz oben hingeschnuppert. 2022 arbeitete er sich bis auf Rang drei nach vorn, die damalige Europameisterschaft nahm er als Topgesetzter in Angriff.

Erst danach ging es wieder einen Schritt zurück, eben bis zur jetzigen Sensation in Paris. Sein Potenzial hat Möregardh aber längst angedeutet.

Ob es reicht, auch den letzten ganz großen Schritt bei Olympia zu machen, wird sich weisen. Möregardh ist aber einer jener Männer, die China mittelfristig öfter herausfordern werden.

Das soll der Sechseck-Schläger bringen

Und was hat es nun eigentlich mit dem sechseckigen Schläger auf sich, den Möregardh verwendet?

Das ungewöhnliche Spielgerät hört auf den Namen "Cybershape" und ist eine Idee des schwedischen Tischtennis-Ausrüsters "Stiga". Ja, auch Rasenmäher dieser Marke gibt es.

Die Form eines Schlägers ist in den Regeln nämlich nirgends vorgeschrieben, die bekannte ovale Form hat sich lediglich über Jahrzehnte etabliert.

In der Theorie soll die sechseckige Variante eine größere optimale Trefferfläche, den "Sweetspot", bieten – der sich im Vergleich zu runden Schlägern auch um einige Millimeter nach oben verschiebt. Dorthin, wo der Durchschnittsspieler den Ball öfter trifft.

Material ist eine "Cash Cow"

Am Ende des Tages wird es vor allem ein guter Marketing-Gag sein, wie ihn sich Tischtennis-Hersteller sehr oft einfallen lassen. Die "Cybershape" ist bei weitem nicht die einzige vermeintliche Innovation, die in den letzten 20 Jahren unter das Volk gebracht wurde.

Tischtennis ist ein beliebter Breitensport – und beim Material ist viel Geld zu machen. Überhaupt, wenn es einen Vorteil verspricht.

Eins hat Möregardh aber bewiesen: Schlechter ist sein ungewöhnlicher Schläger bestimmt auch nicht. Er reicht immerhin für WM- und Olympia-Finali. Vielleicht sogar zum ersten schwedischen Olympia-Gold seit Jan-Ove Waldner in Barcelona 1992.

Letztendlich kommt es aber wohl doch am meisten auf denjenigen an, der den Schläger in der Hand hält. "Stiga" darf sich trotzdem auf explodierende Verkaufszahlen freuen.

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