In der hitzig geführten Debatte um die Zulassung von zwei zuvor vom Weltverband disqualifizierten Boxerinnen für die olympischen Frauen-Wettbewerbe hat das IOC vor einer Eskalation gewarnt.
"Wir dürfen daraus keinen Kulturkampf machen, sondern müssen an die Menschen denken, die von Falschinformationen betroffen sind", sagte IOC-Sprecher Mark Adams. Die Diskussion um das Geschlecht von Imane Khelif aus Algerien und Lin Yu-Ting aus Taiwan sei "ein Minenfeld".
Die Athletinnen könnten seelische Schäden erleiden, ergänzte Adams. Khelifs erster Kampf in Paris hatte am Donnerstag für viel Aufsehen gesorgt. Die 25-Jährige hatte im Vorjahr das WM-Finale nicht bestreiten dürfen, weil der vom IOC nicht mehr anerkannte Weltverband IBA bei ihr erhöhte Werte des männlichen Sexualhormons Testosteron festgestellt hatte.
Blick hinter die Kulissen: So hausen die Olympia-Stars
Kein einender Konsens in der Genderdebatte
Das IOC ließ Khelif genau wie Yu-Ting jedoch für die Sommerspiele zu. "Sie wurde als Frau geboren, lebt als Frau, boxt als Frau und ist nach ihrem Pass eine Frau", begründete IOC-Sprecher Adams die Entscheidung.
Khelif hatte zum Olympia-Auftakt nach 46 Sekunden durch technischen K.o. gegen die Italienerin Angela Carini gewonnen (Alle Infos >>>). Im Anschluss begann eine heftige Debatte um Khelifs Teilnahme. "Wissenschaftlich gesehen ist das kein Kampf eines Mannes gegen eine Frau", betonte Adams.
Es gebe keine einfache Erklärung in dieser Frage, weder wissenschaftlich noch politisch gebe es einen Konsens in der Geschlechterdebatte. "Wenn ein gemeinsames Verständnis erreicht wird, wären wir die Ersten, die danach handeln würden", sagte der IOC-Sprecher.
Das im Pass angegebene Geschlecht sei für viele Sportarten maßgeblich für die Zulassung zu den Wettbewerben. Im Boxen sei das Regelwerk schon bei Olympia 2016 in Rio und 2021 in Tokio so wie in Paris angewendet worden. Auf Testosteron wurde im Vorfeld nicht getestet.
Carini: "Respektiere diese Entscheidung"
Die unterlegene Carini äußerte indes ihr Unverständnis über die Geschlechtsdebatte. "Wenn sie nach Meinung des IOC kämpfen darf, respektiere ich diese Entscheidung", sagte die 25-Jährige der "Gazzetta dello Sport". Sie habe versucht, die Diskussion auszublenden. "Diese Kontroversen haben mich auf jeden Fall traurig gemacht und es tut mir leid für die Gegnerin, die auch nur hier ist, um zu kämpfen", sagte Carini.
IOC-Präsident Thomas Bach äußerte sich gegenüber der Nachrichtenagentur ANSA: "Sie ist eine Frau, die seit sechs Jahren auf internationalem Niveau an Wettkämpfen teilnimmt", sagte der 70-Jährige über Khelif und betonte nach einem Treffen mit Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni: "Wir waren uns einig, dass wir in Kontakt bleiben und den wissenschaftlichen Hintergrund klären und verbessern wollen, um die Situation verständlicher zu machen."
Carini hatte die Debatte zunächst selbst durch ihr Verhalten befeuert. Nach dem Ende des Kampfes gab es den üblichen Handschlag nicht. Dies sei jedoch ein Missverständnis gewesen. "Das war keine absichtliche Geste, ich entschuldige mich bei ihr und bei allen. Ich war wütend, weil die Olympischen Spiele für mich vorbei waren. Ich habe nichts gegen Khelif, wenn ich sie noch einmal treffen würde, würde ich sie umarmen", sagte Carini.
Zweiter Schlag von Khelif für Carini wie ein Schock
Mit ihrer Aussage, es sei nicht fair, sei nicht Khelif gemeint gewesen. Der zweite Schlag von Khelif sei für sie wie ein Schock gewesen: "Ich habe aufgegeben, da stimmte etwas nicht. Es war nicht geplant, es war eine instinktive Entscheidung."
Nach Auffassung der rechten Regierungschefin Italiens, hätte Khelif nicht zu den Sommerspielen zugelassen werden sollen. "Man muss in der Lage sein, auf gleicher Augenhöhe zu kämpfen. Von meinem Standpunkt aus war es kein Wettbewerb unter Gleichen", sagte Meloni. "Ich denke, dass Athleten, die männliche genetische Merkmale haben, nicht zu Frauenbewerben zugelassen werden sollten."