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Saint-Denis: Das versteckte Herz der Olympischen Spiele 2024

Das größte städtebauliche Projekt der Olympischen Spiele von Paris findet in Saint-Denis statt und transformiert die Problemzone der Großregion tiefgreifend.

Saint-Denis: Das versteckte Herz der Olympischen Spiele 2024 Foto: © getty

Das größte städtebauliche Vorhaben der Olympischen Spiele von Paris findet streng genommen nicht in Paris statt.

Das Olympische Dorf, das Schwimmsportzentrum und das Medienzentrum wurden in Saint-Denis errichtet. Die Problemzone der Großregion Paris liegt im nördlichen Nachbar-Departement Seine-Saint-Denis.

"Dadurch hat sich der ganze Stadtteil völlig verändert", sagt Jan Horst. Der Deutsche ist einer der Partner des Architekturbüros chaixetmorel. mit Hauptsitz in Paris.

Chaixetmorel: Ein Architekturbüro mit internationaler Präsenz

Das 1983 von Philippe Chaix und Jean-Paul Morel gegründete Studio chaixetmorel., zu dessen vier Partnern der Österreicher Walter Grasmug gehört, hat auch Standorte in Berlin und Wien.

In der österreichischen Hauptstadt wurden bereits vier Projekte realisiert, darunter das Viertel "Zwei plus" an der Trabrennbahn, das Bürogebäude VIE an der Erdberger Lände und ein Wohnbau am Wildgarten in Meidling.

In Frankreich, wo man u.a. Konzert- und Veranstaltungshallen, ein Fußballstadion und einen Museumsumbau errichtet hat, konnte man im Zuge eines stark umkämpften Wettbewerbs eines der Großprojekte im Olympischen Dorf an Land ziehen.

Saint-Denis: Eine Stadt im Wandel

Saint-Denis ist eine Stadt mit über 100.000 Einwohnern und heute weniger wegen ihrer gotischen Kathedrale als für das 1998 eröffnete Stade de France bekannt, das 2024 auch als Olympiastadion fungiert.

Vor allem aber gilt Saint-Denis wegen der Drogenkriminalität und seit 2005 wegen seiner Jugendunruhen als Paradebeispiel für das explosive, soziale Gemisch in den Banlieues, den Vororten von Paris.

Die Olympischen Spiele sollen eine grundlegende Umgestaltung bringen, bei der Industriezonen in Wohnviertel umgewandelt, großzügige neue Fußgängerbrücken bisher durch Autobahnen und Bahnstrecken getrennte Stadtteile miteinander verbunden und neue Infrastruktur-Angebote geschaffen werden.

"Der Masterplan für das Olympische Dorf hat das Gelände in fünf Sektoren aufgeteilt. Jeder Sektor hat einen koordinierenden Architekten. Wir haben ein richtig großes Stück abbekommen und sind die koordinierenden Architekten für Sektor B, zugleich dort auch planende Architekten von fünf Gebäuden mit insgesamt 68.000 Quadratmetern", erläutert Jan Horst gegenüber der APA die Rolle von chaixetmorel.

Nachhaltigkeit und Nachnutzung

Es ist seinem Büro gelungen, aus der Anfangsphase des 20. Jahrhunderts stammende Industriebauten als Trainings- und Serviceeinrichtungen in den am Ufer der Seine gelegenen Campus zu integrieren und die Neubauten nicht nur in Holzhybridbauweise zu errichten, sondern Materialien aus notwendigen Abbrüchen teilweise wiederzuverwenden.

"In der Planung hat man großen Wert auf Nachhaltigkeitskonzepte gelegt." Die Verantwortlichen rühmen sich, den CO2-Fußabdruck gegenüber vergleichbaren Projekten um 40 Prozent reduziert zu haben.

Eines der Schlüsselworte heißt Nachnutzung.

"Im olympischen Dorf sind 2.800 Wohnungen entstanden, bieten also Platz für 8.000 bis 9.000 Bewohner. Während der Spiele werden hier rund 14.000 Athleten untergebracht", sagt Horst, der auch weiß, aus welchen Ländern die Bewohner der von ihm und Kollegen geplanten Sportlerunterkünfte kommen: "In unserem Sektor werden die Delegationen Südkoreas, Südafrikas und USA beherbergt, dazu noch mehrere kleinere Delegationen."

Zukunftspläne und Herausforderungen

In die von chaixetmorel. errichteten Neubauten werden nach einer Umbauphase von weiteren zehn Monaten Büros des Innenministeriums einziehen.

"Die erste Nutzung dauert ein paar Wochen, die zweite dann vermutlich mehr als 20 Jahre. Das war eine spezielle Herausforderung." So hat man etwa für die Nasszellen ein eigenes, standardisiertes System entwickelt. Das soll den raschen Ausbau und die geplante Wiederverwendung in Flüchtlingsunterkünften erleichtern.

"Grand Paris" heißt das schon lange verfolgte Urbanismus-Projekt, das durch Olympia möglicherweise einen entscheidenden neuen Schwung erhalten hat.

Es soll das Zentrum von Paris und die angrenzenden Vorstädte besser verbinden. Sinnbild ist der "Grand Paris Express", der im neuen Bahnhof Saint-Denis-Pleyel seine wichtigste Umsteigestation erhalten soll.

Ein Blick in die Vergangenheit und Gegenwart von Saint-Denis

Wie trist die jüngste Vergangenheit in Saint-Denis und den angrenzenden Stadtvierteln ausgesehen hat, kann man gut anhand des neuen Buches von Anne Weber nachvollziehen.

Für "Bannmeilen. Ein Roman in Streifzügen" lässt die seit vier Jahrzehnten in Paris lebende deutschen Autorin ihr erzählerisches Ich mit einem Freund, der einen Film über die Umgestaltung der Banlieues im Zuge von Olympia drehen soll, Ausflüge durch Saint-Denis und andere Städte im berüchtigten "Département 93" unternehmen - als weiße Frau nur möglich in Begleitung eines farbigen Mannes.

Dabei schärft sich auch ihr Blick.

Scheinbar unbeteiligt herumlungernde Jugendliche entpuppen sich als "chouffeurs", bezahlte Aufpasser an den Eingängen zu den Drogen-Umschlagplätzen. Sie stößt auf die unglaubliche Geschichte des in Algerien geborenen Renault-Arbeiters Boughera El Oualfi, der 1928 für Frankreich Gold im Marathonlauf holte und Jahrzehnte später ermordet wurde.

Sie findet aber auch Leerstellen: Verlassene, hässliche, unfreundliche Orte unter Autobahnbrücken oder auf Fabriksarealen, an denen kürzlich noch Menschen unter Bedingungen lebten, die so gar nicht in die schöne, neue Erzählung von Saint-Denis passen.

"Die Bewohner sind ausquartiert worden. Hier, in unmittelbarer Nähe des Olympischen Dorfes, waren sie noch unerwünschter als anderswo. Eben noch lebten diese Menschen neben uns; am frühen Morgen wurden sie abtransportiert."

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