Die Reifeprüfung in der Schweiz hat Felix Gall mit seinem ersten Profisieg und weiteren Spitzenleistungen bravourös bestanden.
Nun folgt als ultimative Herausforderung seine erste Tour de France. Bei seinem Debüt trägt der Osttiroler noch keine Kapitänsverantwortung. Der 25-Jährige bekleidet im AG2R-Rennstall eine geschützte Helferrolle, er wird also Chancen für die Jagd auf Etappenerfolge erhalten.
Seine zweite Grand-Tour nach dem Giro 2022 soll weiteren Aufschluss bringen, ob er künftig auch bei den Dreiwochen-Rundfahrten in den Kampf um das Gesamtklassement einsteigen wird. Heuer setzt man in seiner französischen Equipe noch auf den Australier Ben O'Connor, Gall soll auf einzelnen Teilstücken glänzen.
"Er ist unser Leader, ich bin eher für Etappen vorgesehen, daran hat sich nicht wirklich etwas geändert. Ich werde mir die eine oder andere heraussuchen, wo ich es probieren werde", sagte Gall zur Teamtaktik.
"Brauche mich nicht zu verstecken"
Die Vorzeichen sind aufgrund seiner jüngsten Kletter-Leistungen günstig. "Ich habe gesehen, was möglich ist. Ich brauche mich nicht zu verstecken. Ich war ich in der Schweiz schon überrascht, ich hatte auch am Ende im Finale noch bessere Werte als sonst frisch im Training. Das war schon ein großer Sprung, das Höhentrainingslager hat richtig gut gewirkt", betonte Gall im Gespräch mit der APA - Austria Presse Agentur.
Deshalb könne er auch die große Schleife durch Frankreich hoffnungsvoll angehen. "Mit dieser Vorbereitung sollte es passen. Ich glaube nicht, dass ich ein Problem haben werde, ich habe eine gute Basis gelegt. Wenn ich das konservieren kann, dann stehe ich bei der Tour in Topform am Start."
Gall gibt sich gelassen, weiß aber um die bei der Tour besonders starke Konkurrenz. "Ich lasse es auf mich zukommen - doch es ist die Tour, da stellt jedes Team die besten Leute, mit der besten Vorbereitung."
Mäder-Tod beschäftigt Gall weiterhin
In den Tagen seit der Tour der Suisse hatten Erholung und Formerhaltung Priorität, Ablenkung fand er bei einigen Golfrunden. Galls Anspannung hält sich noch in Grenzen.
"Noch bin ich nicht aufgeregt. Jeder sagt, dass die Tour verrückt ist, was das ganze Rundherum betrifft. Aber noch bin ich entspannt. Es kommt dann wahrscheinlich, wenn ich Mitte der Woche anreise." Durch den anspruchsvollen Auftakt im Baskenland wird es gleich voll zur Sache gehen. "Die erste Etappe in Bilbao ist schon recht knackig. Ich denke, dass das ganz interessant wird.".
Die zu Beginn der Tour stets besonders hohe Nervosität im Feld fürchtet auch Gall. "Die erste Woche ist leider oft geprägt von vielen Stürzen." Diesbezüglich beschäftigt ihn unverändert auch der tödlich verlaufene Unfall von Gino Mäder in der Schweiz.
"Ich habe versucht, dass wir das mit Kollegen, Freunden, der Familie und einem Psychologen besprechen, und man das dann verarbeitet." Die Sturzgefahr sei ohnehin quasi ein ständiger Begleiter, es gelte im Rennstress mit Geschwindigkeiten von bis zu 100 km/h instinktiv richtig zu handeln. "Im entscheidenden Moment im Rennen darfst du eh nicht so viel nachdenken."
Verbesserungspotenzial beim Zeitfahren
Mögliche Auswirkungen im Fahrverhalten werden die ersten gefährlichen Abfahrten der Tour zeigen. "Man wird das glaube ich erst im Rennen sehen. Für viele von uns, die bei der Tour de Suisse waren, wird das schon noch im Hintergrund mitspielen."
Gedanken an seine künftige Ausrichtung will er sich erst nach dieser Saison machen. "Im Moment fühle ich mich bei einwöchigen Rundfahrten wohl. Spätestens die nächsten zwei, drei Jahre werden zeigen, ob das das Hauptaugenmerk wird oder ich doch auf die dreiwöchigen Rundfahrten gehe."
Im Zeitfahren wartet jedenfalls viel Arbeit auf ihn. In der Schweiz verlor er auf der Schlussetappe im Kampf gegen die Uhr viel Zeit und wurde auf Platz acht durchgereicht.
Grund dafür sei ein Taubheitsgefühl in den Unterschenkeln, das die übliche Leistungserbringung auf der Zeitfahrmaschine mit der speziellen Körperhaltung verhindert.
Für die Tour ohne Gesamtwertungsambitionen sei das aber nebensächlich, so Gall. Auf längere Sicht nicht. "Wir müssen schauen, dass wir das in den Griff bekommen. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, weil heuer lässt sich das nicht mehr lösen."