„Jürgen! Jürgen! Jürgen!“
Gänsehautstimmung in Kitzbühel. Mit lauten Sprechchören nehmen über hundert Kinder Jürgen Melzer in Empfang.
Fleißig schreibt der 35-Jährige Autogramme. Er nimmt sich Zeit für die Fans, auch wenn er mit einem leichten Schmunzeln zugibt: „Die Zuschauer waren heute natürlich nicht wegen mir da.“
Gekommen sind die meisten der 5.400 Menschen wegen Dominic Thiem. Den Top-Star und Turnier-Favoriten. Und diesen eliminierte der 13 Jahre ältere Routinier am Mittwochabend im Achtelfinale des Generali Open dank einer extrem konzentrierten Leistung in zwei Sätzen.
Melzer-Lob für faire Fans
„Wenn Dominic gegen Taro Daniel (Anm.: Erstrundengegner von Melzer) gespielt hätte, wäre das Stadion auch voll gewesen. So realistisch muss man sein“, weiß Melzer, der sich aber auch darüber freute, dass ihm die Thiem-Fans das Eliminieren ihres Idols nicht allzu übel nahmen.
„Es war schön zu sehen, dass die Leute sehr, sehr fair waren und das Tennis-Match genossen haben. Alle Punkte sind bejubelt worden. Es war eine unglaubliche Stimmung.“
Gewettet hätte er vor dem rot-weiß-roten Generationen-Duell wie so viele andere nicht auf sich. Kein Wunder: Schließlich feierte Melzer erst vor wenigen Wochen nach über zehn Monaten Verletzungspause wegen einer Schulter-Operation sein Comeback. Warum am Ende trotzdem die Nummer 421 der Welt gegen die Nummer neun triumphierte?
Sieg dank Taktik um Quäntchen Glück
„Dank einer perfekten Taktik und dem einen oder anderen Quäntchen Glück. Das gehört dazu, wenn man einen Top-10-Spieler schlagen will“, erklärte Melzer.
„Ich habe mein Spiel von Anfang bis Ende durchzogen. Meine Return-Taktik war natürlich ein bisschen Harakiri. Man kann seine Bälle beim Return nicht lang aufspringen lassen, sondern muss sie einfach früh nehmen. Die Hoffnung war, die Kugel vier Mal in einem Game gut am Schläger zu haben und gut zu retournieren. Das ist mir in beiden Sätzen zum Glück gelungen.“
„Außerdem habe ich versucht, die Ballwechsel kurz zu halten. Wenn ich mit ihm von hinten Ralleys spiele, bin ich zweiter Sieger.“
Erfahrung als Trumpf
Ein weiterer Faktor sei die größere Erfahrung gewesen. Er habe es schließlich selbst schon am eigenen Leib erfahren, wie schwierig es ist, als heimische Nummer eins und Turnier-Favorit in ein Heim-Event zu starten.
„Viel hat nicht für mich gesprochen, mit Ausnahme des Drucks, der auf seinen Schultern lastete“, so Melzer, der allerdings auch „relativ früh gesehen“ hat, „dass da etwas drin sein könnte. Er hat nie wirklich seine Return-Position gefunden und auch ein paar leichte Fehler gemacht.“
Bruder-Duell? "Grauslichstes Match!"
So schön der Erfolg über Thiem war, so schwierig wird sich die kommende Aufgabe am Donnerstag (ab 15:30 Uhr im LAOLA1-Ticker) gestalten: Im Viertelfinale kämpft er gegen seinen jüngeren Bruder Gerald um den Einzug ins Halbfinale.
Schon einmal gab es dieses Duell: In der ersten Qualifikationsrunde von Wimbledon 2015. Damals siegte der Ältere, der darüber auch heute noch sagt: „Es war eines der grauslichsten Matches meiner Karriere“, beschreibt er die Situation, einem so nahestehenden Menschen gegenüberzustehen. "Ich habe dem Kleinen meinen ersten Schläger geschenkt und versucht, all mein Wissen weiterzugeben.“
Die Situation sei diesmal aber etwas anders: “Wir stehen im Viertelfinale und können mit unserem Ergebnis bereits zufrieden sein. Ansonsten wird es natürlich weder für ihn, noch für mich besonders lustig werden.“
Auf jeden Fall wolle Jürgen Melzer auch dieses Match wieder „genießen“. Ein Zustand, der vor seiner Verletzung nicht immer der Fall. „Da habe ich ein bisschen die Freude am Spiel vermisst.“
Nach zehn Monaten harter Arbeit sei diese aber nun wieder größer als je zuvor. Sprechchöre wie in Kitzbühel tun ihr Übriges.
Aus Kitzbühel berichtet Christian Frühwald