Noch fast drei Wochen hat Dominic Thiem Zeit, um seinen klaren Aufwärtstrend bis zum Beginn der French Open weiter zu steigern.
Bei den Challengerturnieren diese Woche in Mauthausen und danach in Bordeaux will sich der 29-jährige Niederösterreicher möglichst viel Matchpraxis und Selbstvertrauen holen, und sich auch wieder vermehrtem Druck aussetzen.
Denn die Erwartungshaltung ist bei ihm selbst, aber spätestens seit dem Auftritt gegen Stefanos Tsitsipas in Madrid Ende April auch bei den Fans gestiegen.
Das 6:3,1:6, 6:7(5) war bitter, aber dennoch ein Schub für Thiem. "Das Match war top. Es hat mir auch richtig gut getan, zu sehen, wie gut ich wieder spielen kann.
"Habe quasi befreit aufspielen können
Aber gleichzeitig waren auch viele Sachen, die noch nicht hundertprozentig gepasst haben", blickte Thiem bei einem Medientermin am Sonntagabend im Parkhotel in Hagenberg im Mühlkreis zurück.
Ob er nicht lieber in Rom als in Mauthausen gespielt hätte? Das verneint Thiem, denn bei den Matches gegen Holger Rune, Taylor Fritz oder Tsitsipas sei die Situation auch einfacher gewesen.
"Ich habe nichts zu verlieren gehabt, habe quasi befreit aufspielen können." In Mauthausen ist er Topfavorit. "Sicher sind die Erwartungen auch hoch da." Will er wieder auf den ganz großen Bühnen zuschlagen, muss er mit dem Druck des Favoriten auch wieder umgehen lernen.
Die Basis für das neue Selbstvertrauen wurde maßgeblich in den vergangenen vier Wochen gelegt. Seit Monte Carlo arbeitet Thiem mit Neo-Coach Benjamin Ebrahimzadeh (43) zusammen.
Ebrahimzadeh wählt "direkten Weg"
"Die Intensität, der Umfang ist wieder viel höher geworden." Was Thiem unter anderem gefällt: "Dass er mir die Dinge gerade ins Gesicht sagt, wenn was nicht funktioniert."
Nach einem langen Gespräch in Estoril war Thiem inspiriert vom Deutsch-Iraner. "Er hat mir alles gesagt, was nicht funktioniert, wie ich wieder an mein Leistungslimit kommen kann plus ein paar andere Sachen, die er in mein Spiel einbauen würde. Da hat es bei mir auch sofort Klick gemacht, ich wollte es unbedingt probieren."
Nach einem Beispiel für den Input befragt, gab Thiem bereitwillig Auskunft. "Ein Beispiel ist die Platzposition. Ich habe seit Indian Wells und Miami wieder richtig auf den Ball draufgehackt mit voller Intensität und er hat gesagt, da sieht man auch, dass das Handgelenk wieder richtig gut ist.
Aber es bringt relativ wenig, wenn ich jeden Ball auf der gleichen Höhe nehme." Thiem hat sich einige Matches mit Ebrahimzadeh auf Video angeschaut und mit früher verglichen. "Da habe ich selbst gesehen wie gravierend der Unterschied ist."
Intensität nun deutlich erhöht
Also das auch zuletzt von Thomas Muster bekrittelte Stellungsspiel mit zu langem Verweilen weit hinter der Grundlinie. Seit Beginn der Zusammenarbeit wurden nicht nur Intensität und Stundenanzahl drastisch nach oben geschraubt, ein Umstand der Thiem auch zwei bis drei Kilo an Gewicht gekostet hat. Es wurde sehr an der Vorhand, seinem wichtigsten Schlag gearbeitet.
"Ja, wir haben die Vorhand aus allen Positionen trainiert. Das war eine der positivsten Sachen im Match gegen Tsitsipas, dass ich da wieder sehr viel umlaufen habe. Ich habe viele Punkte mit der Vorhand kontrolliert und dominiert." Dabei gehe es gar nicht so sehr um Winner, sondern die Kontrolle. "Und auch die Daten und Statistiken haben viel Positives gezeigt", spricht Thiem die Spin-Umdrehungen und die Geschwindigkeiten an. Fazit: "Die Vorhand wird immer besser."
Noch gar nicht zufrieden ist er mit dem Returnspiel. Im Videostudium des Tsitsipas-Matches war Thiem "fast schockiert, wie viele Returnfehler ich gemacht habe, auf Aufschläge, die natürlich gut sind, aber die ich am Schläger habe und einfach rein müssen".
Auch neuer Physio an Bord
Nicht nur Ebrahimzadeh ist neu im Team, sondern auch der Physio. Der Linzer Mathias Kapl versteht laut Thiem nicht nur sein Handwerk, auch die Chemie stimmt.
Dies sei vielleicht sogar das wichtigste. "Weil keiner ist so nah bei mir wie der Physio im wahrsten Sinn des Wortes. Man redet dann quasi über alles um 1, 2 in der Früh am Behandlungstisch, da kommen alle Themen auf. Deshalb ist das so wichtig, dass die menschliche Beziehung passt."
Schon weit länger, also schon seit dem Vorjahr, arbeitet Thiem auch mit einem Mentaltrainer zusammen. Dessen Namen möchte Thiem allerdings nicht nennen. Früher hatte er das Thema Mentaltraining immer kategorisch abgelehnt. Der Grund für den Meinungsumschwung?
"Die Zeiten ändern sich, die letzten drei Jahre waren extrem ereignisreich, da ist viel passiert. Es hat auch eine große Entwicklung auf der menschlichen Seite gegeben. Da habe ich meine Meinung zu dem Thema geändert, speziell seit der Zeit nach dem US-Open-Sieg." Schon um die French Open 2022 herum habe er das Gefühl gehabt, er brauche etwas und müsse etwas ändern.
Thiem könne Bruder Moritz voll vertrauen
Geändert hat er schließlich vergangenen Februar auch das Management. Thiem verabschiedete sich vom spanischen Kosmos-Team. Bruder Moritz führt nun die Geschäfte für Thiem.
"Ganz ehrlich, viel hat sich nicht verändert, weil seit Kosmos das übernommen hatte, ist der Moritz immer dabei gewesen, war voll im Team mit dabei und hat viele Aufgaben schon gehabt. Wie ich mit Kosmos aufgehört habe, hat sich dann nicht viel verändert." Dem eigenen Bruder könne er zu hundert Prozent vertrauen.
Nur wochenweise wie zuletzt vor Madrid oder demnächst in der Woche vor den French Open ist der in Miami lebende Kubaner und Fitnesscoach Duglas Cordero dabei.
"Er ist so ein grundpositiver Mensch im Training als auch im Match. Er ist top, ich kenne ihn ja seit 2019." Sein Vater Wolfgang trainiert eigentlich nur noch bei derzeit seltenen Heimtrainings in Traiskirchen oder Oberpullendorf mit dem vierfachen Major-Finalisten.
"Hoffe, dass es sich ausgeht"
Zwei der vier Grand-Slam-Finali hat Thiem (sowie zwei zusätzliche Halbfinali) in Roland Garros erreicht. Für das am 28. Mai beginnende Event ist Thiem aktuell als zweiter Spieler außerhalb des Hauptbewerbs. Lieber wäre es ihm, so reinzurutschen, als auf eine Wildcard hoffen zu müssen, gestand Thiem. "Jeder sagt, es sollte sich ausgehen, aber es war in Australien genauso und am Ende war ich nicht drinnen. Ich hoffe, dass es sich so ausgeht."
Gelingt es Thiem, sich weiter sukzessive zu verbessern wie in den vergangenen Wochen, dann wird er sich bald wieder jene Aura erarbeiten, die er schon hatte: Nämlich, dass keiner - schon gar nicht auf Sand - gern gegen ihn spielen will. "Dafür sind noch viele Partien wie in Madrid nötig. Die war sicher ein guter Schritt."
Angesprochen auf die Aussage von Tennis-Legende Thomas Muster, wonach Thiem bei Fortsetzung des Trends bis Jahresende wieder Top 40 oder 30 stehen konnte, widerspricht Thiem auch da nicht. "Ja, wenn ich so weiterarbeite wie in letzten vier Wochen, konstant das Pensum halten kann und der Körper mitspielt, glaube ich auch, dass sich das ausgehen kann."