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Melzer: "Werde auch versuchen, (Thiem) zu helfen"

Quo vadis, Dominic Thiem? Jürgen Melzer über mögliche Verbesserungs-Ansätze und ein drohendes Karriere-Ende.

Melzer: Foto: © GEPA

Seit beinahe zwei Jahren schon versucht Dominic Thiem nach seiner schweren Handgelenksverletzung wieder in die Weltspitze aufzuschließen.

So richtig kommt der mittlerweile 30-jährige Niederösterreicher dabei aber nicht vom Fleck. Hart erkämpften Fortschritten wie das letztjährige Kitzbühel-Finale oder starke Leistungen gegen Top-Spieler folgen immer wieder überraschende Rückschläge.

Selbst in den einzelnen Matches hat Thiem vor allem mit seiner Konstanz zu kämpfen. Während er in einem Satz groß aufspielt, kann es in manchen Sätzen oder Games so gar nicht laufen.

Für die heimischen Tennis-Fans sind die Thiem-Matches als Zuschauer ebenfalls oft eine Achterbahnfahrt der Gefühle.

Auch Davis-Cup-Kapitän und ÖTV-Sportdirektor Jürgen Melzer verfolgt das Geschehen rund um Österreichs ehemalige Nummer drei der Welt intensiv mit.

So sah sich der ehemalige Weltranglisten-Achte auch das Erstrunden-Match Thiems bei den Australian Open gegen den kanadischen Spitzenspieler Felix Auger-Aliassime aufmerksam an.

Melzer: "Natürlich ist es im Kopf"

"Die ersten zwei bzw. eigentlich fast drei Sätze von Dominic waren eher bescheiden. Dann war das Match besser. Es ist immer irgendwie schade bei Dominic, weil du immer das Gefühl hast, dass eigentlich nicht viel fehlt, dass er einmal so eine 'Dreckspartie' gewinnt", meint Melzer über Thiems Auftaktmatch in Melbourne, bei dem er sich nach einem 0:2-Satz-Rückstand noch in einen entscheidenden fünften Durchgang kämpfte, dort aber schließlich den Kürzeren zog.

Kann Thiem körperlich nicht mehr mit der Weltspitze mithalten oder ist es doch eine Kopfsache, die ihm den Sprung nach vorne verwehrt?

"Natürlich ist es im Kopf", so Melzer. "Tennis spielen kann er ja. Auch in Australien hat er im vierten Satz richtig gut gespielt. Dann serviert er auf den Satz und das Game war dann ein Wahnsinn. Deshalb ist es ja so schade, dass er nicht diesen wichtigen Dreckssieg irgendwie einfährt. Es läuft einfach nicht rund. Zwischendurch ist es echt gut, aber er schafft es halt nicht, dass er das hält."

Hohe Anspannung sorgt für Fehler

Derartige Situationen seien im Tennis auch nicht sonderlich ungewöhnlich. Die Anspannung, die auf einem Spieler lastet, sei immens – und dadurch unterlaufen eben auch absoluten Weltklasse-Spielern einmal Fehler, die man normalerweise nicht für möglich halten würde. Vor allem bei langen Niederlagen-Serien sei das ein großes Problem.

"Wenn man mal gespielt hat, kennt man dieses Gefühl und das ist ganz schirch."

Melzer über die Anspannung im Tennis.

"Das gibt's ganz leicht. Das ist, wenn du ganz lange keine Matches mehr gewonnen hast, angespannt bist und nicht mehr weißt, wie man in diese drei Linien reintreffen soll. Wenn man mal gespielt hat, kennt man dieses Gefühl und das ist ganz schirch", erklärt Melzer, der in seiner Karriere 686 Matches (350 Siege) auf der ATP-Tour bestreiten konnte.

Das wisse laut Melzer jeder, der selbst schon einmal gespielt hat. Selbst absoluten Weltklasse-Spielern könne in einer Hochphase plötzlich einmal der Arm schwer werden.

"Das ist auch menschlich und das hat man sogar in Australien im Halbfinale bei einem Sinner gegen Djokovic beim ersten Matchball gesehen. Guter Return, Vorhand im Feld und dann fällt ihm der Ball vom Schläger", erinnert Melzer an den Matchball von Sinner im dritten Satz. Djokovic schaffte dadurch noch den Satzgewinn und musste sich schließlich erst im vierten Durchgang endgültig geschlagen geben. "Anspannung im Tennis ist etwas Fürchterliches!"

Neuerlicher Trainerwechsel?

Für den erhofften Umschwung bei Thiem konnte bislang auch nicht der im letzten Mai engagierte Trainer Benjamin Ebrahimzadeh sorgen. Sah es im Sommer noch so aus, als ob der Deutsche mit seinen Inputs für positive Veränderungen im Thiem-Spiel sorgen könnte, ließ die erhöhte Fehler-Anzahl in den vergangenen Wochen doch wieder leichte Zweifel aufkommen.

Sollte sich Thiem laut Melzer schon wieder um einen neuen Trainer umschauen? „Ich bin ehrlicherweise zu weit weg, um da eine qualifizierte Aussage zu treffen. Ich schätze Benni aber sehr und er hat eine Ahnung von diesem Sport", so Melzer, der aber auch zugibt: "Am Anfang hat man seine Handschrift mehr gesehen als jetzt. Ich war überrascht von der Flut an Vorhandfehlern, die ihm in Australien passiert sind. Das war im letzten Jahr nicht mehr so schlimm."

In jedem Fall sei es kaum möglich, den einen guten Ratschlag für Thiem zu finden, der ihm wieder nach vorne helfen könnte. "Wir reden 100 Stunden darüber, wie es wieder besser werden könnte, aber das weiß er alles selbst. Er weiß selbst, dass seine Vorhand nicht da ist, wo er sie gerne hätte."

"Werde auch nicht des Rätsels Lösung sein"

Am Wochenende steigt das Davis-Cup-Duell gegen Irland in Limerick. Thiem wird am Mittwoch zum ÖTV-Team nachfliegen und dort unter mit Melzer einige Trainingseinheiten abspulen. Der 42-jährige Niederösterreicher rechnet aber selbst auch nicht damit, dass ausgerechnet er in diesen paar Tagen für den Umschwung sorgen wird können.

"Ich werde natürlich auch versuchen, dass ich ihm in der nächsten Woche beim Davis Cup helfen kann. Aber ich werde auch nicht des Rätsels Lösung sein in den paar Tagen. Da zerbrechen sich schon seit einiger Zeit mindestens genauso schlaue Köpfe den Kopf darüber, wie man das wieder hinkriegen kann. Das Wichtigste ist: Er macht es nicht absichtlich. Er will ja, er muss nicht mehr."

Droht ein Karriereende?

Womit Melzer einen wichtigen Punkt anspricht: Thiem, der alleine an Preisgeld über 30 Millionen Dollar verdient hat, muss nicht mehr Tennis spielen. Wie lange hat ein ehemaliger Major-Sieger und Ex-Weltranglisten-Dritter dann also noch Lust, sich um Qualifikationsbewerbe und Erstrunden-Niederlagen Gedanken zu machen?

"Es hängt immer davon ab, wie sehr du diesen Sport liebst", so Melzer, der selbst erst mit 39 Jahren seine Karriere beendete. "Das ist aber seine persönliche Entscheidung, da kann ich nur von mir selber sprechen. Bei mir war es so, dass ich einfach diesen Sport und diesen Wettkampf so sehr geliebt habe, dass es ganz schwierig war, da wieder loszulassen."

Vor allem "dieses Messen mit dem Gegner", habe Melzer immer wieder ein besonderes Gefühl gegeben. "Wenn du das Gefühl hast, dass man einem guten Tag noch einmal jeden schlagen kann. Ich habe in meinem letzten offiziellen Match zum Beispiel noch einmal den Raonic geschlagen. Wenn du das noch in dir spürst und den Willen, dich messen zu wollen – dann kann der noch fünf Jahre so weiterspielen", so Melzer, der aber auch hinzufügt: "Ich weiß nur nicht, ob er so ein Typ ist. Diese Frage kann er sich nur selber beantworten."

Aus der Sicht von Österreichs Tennis beantwortet Thiem diese Frage hoffentlich mit einem "Ja". Denn auch in der Form der letzten beiden Jahre ist Thiem immer noch ein etablierter Top-100-Spieler, der mit seinem Spiel und dem gewissen Etwas für Begeisterung bei den heimischen Fans sorgen kann.

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