Mit dem NÖ Open powered by EVN in Tulln feiert Ronnie Leitgeb sein Comeback als Turnier-Veranstalter in Österreich.
Das heuer erstmals im September ausgetragene ATP-100-Challenger soll in Zukunft ein wichtiger Baustein für die Zukunft des österreichischen Tennisverbandes werden.
Im LAOLA1-Interview spricht der 62-jährige Niederösterreicher über die Hintergründe der Entstehung und was dieses neue Turnier für Tennis-Österreich bewirken kann.
Außerdem spricht Leitgeb über mögliche Vergleiche zwischen Dominic Thiems aktueller Krise und damaligen Tiefpunkten seines Ex-Schützlings Thomas Muster sowie die Gründe für den beeindruckenden French-Open-Triumph von Novak Djokovic.
"Was wenige Leute wissen: Djokovic hat in den letzten Monaten alles komplett dem Ziel untergeordnet, noch einmal Paris zu gewinnen. Das hat mit Tennis gar nichts zu tun, sondern vielmehr mit seiner Einstellung. Er hat eher weniger Tennis gespielt, sondern vielmehr andere Dinge getan", sagt Leitgeb und erklärt, welchen Schlag Djokovic dafür besonders eintrainiert hat.
LAOLA1: Du fungierst mit deiner Agentur „Champ Events“ als Veranstalter der NÖ Open powered by EVN in Tulln. Den Posten als Turnierdirektor gibst du aber erstmals in jüngere Hände.
Ronnie Leitgeb: Richtig. Turnierdirektor wird mein Sohn Florian sein. Es ist quasi ein „back to the roots“. Ich war 1990 erstmals Turnierdirektor in Niederösterreich und jetzt wird es der Einstieg meines 29-jährigen Sohnes sein. Es freut mich, dass ich ihm ein bisschen den Boden aufbereiten kann. Er hat jetzt alle seine Ausbildungen abgeschlossen und ist bereit dafür.
LAOLA1: Er tritt also in deine Fußstapfen. Du warst bei denen ersten Turnieren wohl in einem ähnlichen Alter, oder?
Leitgeb: Mein erstes ATP-Turnier habe ich in Bad Loipersdorf 1987 gemacht. Da muss ich dann 28 Jahre alt gewesen sein.
LAOLA1: In den letzten 10 Jahren gab es kein Challenger-Turnier mehr in Österreich. Im Juli steigt nun eines in Anif, im September eines vom ÖTV in Tulln. Wie überfällig war diese Entwicklung?
Leitgeb: Ich habe immer dafür plädiert, dass der ÖTV eine Eigenveranstaltung braucht, wo er seine Sponsoren präsentieren kann, wie es sich der ÖTV vorstellt. Das hat in den letzten Jahren immer schon gefehlt. Zudem ist die Kombination aus Challenger-Turnier und Bundesliga-Finale auch eine Aufwertung für das Final Four. Gerade durch die TV-Live-Übertragung und das Live-Streaming. Das ist ein sehr rundes Paket, das Zukunftschancen hat.
LAOLA1: Manch ein Tennis-Fan träumt von einem weiteren ATP-Turnier nach Wien und Kitzbühel. Siehst du diesbezüglich eine seriöse Chance?
Leitgeb: Es ist ziemlich chancenlos, eine ATP-Lizenz zu bekommen. Aber mit einem guten Challenger kann man sich da etablieren. Zudem ist der Spieltermin sehr gut. Zeitgleich wird die zweite Woche bei den US Open gespielt. Dadurch können wir bis zu drei Top-50-Spieler an den Start bringen. Das passt glaube ich sehr gut.
LAOLA1: Wie hat sich der Standort Tulln ergeben?
Leitgeb: Das war der Wunsch des Sportlandesrats. Es sollte in einem funktionierenden Klub stattfinden. Von der Anzahl der Plätze ist Tulln ganz weit vorne. Es gibt nicht viele Klubs, die so viele Plätze haben. Es ist eine prachtvolle Gegend und ein toller Klub.
LAOLA1: Die Challenger-Turniere sind das Sprungbrett für die Spieler, um den Sprung in die Top 100 bzw. auf die großen ATP-Turniere zu schaffen. Wie wichtig ist es für die heimischen Athleten, Events dieser Turnierkategorie zu haben?
Leitgeb: Sehr wichtig. Derzeit haben wir sogar sehr viele Spieler in diesem Leistungsspektrum. Bei einem ATP-100-Turnier sind diese Spieler alle gerne dabei – mit Ausnahme von Dominic Thiem, der alleine schon wegen dem Reglement nicht hier spielen darf. Für Spieler wie Dennis Novak, Sebastian Ofner oder Jurij Rodionov sind das aber wichtige Punkte, die es hier zu holen gibt. Darum war ich auch dafür, dass wir nicht ein 50er oder 80er Turnier sondern ein 100er Turnier machen, wo man auch dementsprechende Punkte holen kann.
LAOLA1: Welchen positiven Effekt ein guter Turnier-Unterbau mit Future- und Challenger-Turnieren haben kann, haben uns in den vergangenen Jahren vor allem die Italiener bewiesen. Mittlerweile strömen massenhaft talentierte Italiener auf die Tour.
"Dort wurde wirklich der Samen mit den Challenger-Turnieren gelegt."
Leitgeb: Dort wurde wirklich der Samen mit den Challenger-Turnieren gelegt. Der italienische Verband ist bei jedem Challenger zumindest beteiligt und verfügt dann auch über jeweils mindestens zwei Wild Cards. Damit haben sie ihre Verbandspolitik aufgebaut. Sie haben zwar kein Grand-Slam-Turnier, aber mit Rom immerhin ein ATP-1000-Turnier. Das dort verdiente Geld investieren sie wieder in die Basis. Das hat man beispielsweise den Engländern jahrelang vorgeworfen, dass sie das mit Wimbledon nicht gemacht haben. Die Franzosen haben das hingegen mit den French Open schon jahrzehntelang vorgezeigt. Die sind auch bei jedem ATP-Turnier mit dabei wie zum Beispiel bei meinem Turnier in Lyon.
LAOLA1: Durch die Größe der Länder ist ein Vergleich natürlich nur schwer möglich, aber auch ein Land wie Österreich kann sich hier in Ansätzen einiges abschauen, oder?
Leitgeb: Absolut. Was in Österreich fehlt ist, dass die österreichischen Meisterschaften, die ursprünglich in Pörtschach gespielt wurden und dann nach Kitzbühel gegangen sind, über die Jahre komplett den Draht zum ÖTV verloren haben.
LAOLA1: Was sagst du zu dem aktuellen Tief von Dominic Thiem, in das er nach seinem Triumph bei den US Open im vergangenen Jahr gerutscht ist, und dass er sich nun auch noch mit einer Verletzung herumplagen muss? Als ehemaliger Betreuer von Thomas Muster, der auf die Erfüllung seines Lebenstraumes in Paris ja noch länger warten musste, kennst du diese Situation doch wahrscheinlich nur allzu gut.
Leitgeb: Für mich ist im Tennis so gut wie alles nachvollziehbar. Wenn du so viele Jahre dabei bist, dann weißt du, was da ungefähr vorgeht. Deshalb werde ich mich auch davor hüten, eine Analyse oder Experten-Tipps abzugeben. Eines ist für mich aber ganz klar: Der Domi wird ganz stark wieder zurückkommen! Die Phase von Tom war mit jener von Domi nicht wirklich zu vergleichen. Eher noch mit jener von Tom, als er Ende 1990 dieses „verletzungsbedingte Burnout“ gehabt hat. Ich glaube aber, dass Dominic genug Leute um sich hat, die genau wissen was zu tun ist. Da braucht er von mir keinen Ratschlag.
LAOLA1: Keine Ratschläge braucht wahrscheinlich auch Novak Djokovic, der sich bei den French Open seinen 19. Grand-Slam-Titel holte. Was sagst du zu dieser beeindruckenden Vorstellung?
"In den Spielen gegen Nadal und Tsitsipas hat Djokovic sicherlich nicht wie der bessere Athlet, der bessere Rückschläger oder der bessere Volleyspieler ausgesehen, er war letztendlich aber der bessere Taktiker."
Leitgeb: Man hat gesehen, dass es zwischen Physis, Athletik und Technik – die hohe Ballgeschwindigkeit bzw. die hohe Ballrotation vom Rafa - noch eine andere Komponente gibt, die den Tennissport so attraktiv macht und das ist die taktische Seite. In den Spielen gegen Nadal und Tsitsipas hat Djokovic sicherlich nicht wie der bessere Athlet, der bessere Rückschläger oder der bessere Volleyspieler ausgesehen, er war letztendlich aber der bessere Taktiker. Ich halte von Tsitsipas wahnsinnig viel, weil er als einziger der jungen Generation verstanden hat, dass ein Tennisplatz auch ein Schachbrett ist. Man hat aber gemerkt, dass Tsitsipas nicht nur an seiner körperlichen Müdigkeit gescheitert ist, sondern dass er auch im Kopf müde geworden ist. Er konnte dieses Konzept über einen längeren Zeitraum nicht durchziehen. Nole hat die Physis, den Kampfgeist und auch diese Fähigkeit zur Dauer-Konzentration. Und das hat ihn letztendlich zum Sieg geführt.
LAOLA1: Was zeichnet Djokovic sonst noch aus?
Leitgeb: Ich habe mit ihm ja relativ viel Kontakt, weil er so wie ich auch in Marbella lebt. Es ist beeindruckend mit welchem Zugang er an dieses Thema herangeht. Was wenige Leute wissen: Er hat in den letzten Monaten alles komplett dem Ziel untergeordnet, noch einmal Paris zu gewinnen. Das hat mit Tennis gar nichts zu tun, sondern vielmehr mit seiner Einstellung. Er hat eher weniger Tennis gespielt, sondern vielmehr andere Dinge getan. Er hat sich viel mit dem Spiel auseinandergesetzt und ist dann auf die Idee gekommen, diesen Rückhand-Stop einzutrainieren, der ihm letztendlich beide Partien (Anm.: gegen Nadal und Tsitsipas) gebracht hat. In den hat er sich komplett verkopft. Teilweise habe ich in Spanien die Diskussionen mit seinen Betreuern mitverfolgt, die bei diesem Thema nicht immer mit ihm konform gingen. Das war aber seine Idee und die hat er durchgesetzt. Ich habe ähnliches zuvor bei Nikolay Davydenko erlebt: Der hat monatelang einen Schlag trainiert, um Roger Federer zu schlagen. Das ist ihm dann auch zwei Mal gelungen.
LAOLA1: Kannst du die Bedeutung dieses Schlags vielleicht noch näher erläutern?
Leitgeb: Das ist ein Schlag, der mit Talent nichts zu tun hat, sondern den man genauso trainieren muss wie eine Rückhand. Es gibt bei diesem Schlag nur ein ganz kleines Zeitfenster, um den Ball mit dem richtigen Rückwärtsdrall zu treffen. Für einen Konter-Spieler wie Djokovic ist das eine ganz wichtige Waffe. Was immer unterschätzt wird: Der Stop ist eine Variante des Angriffballs. Man soll beim Stop ja nicht hinten hängen bleiben. Wenn du deinem Gegner weite Wege auf der Grundlinie gibst und du kannst diesen Schlag, dann gibst du ihm noch einmal sehr, sehr weiten Weg obendrauf.