Zu einem historischen Ereignis kam es in der vergangenen Woche bei der Ausgabe des neuen ATP-Rankings.
Erstmals seit der Einführung der Weltrangliste am 23. August 1973 befand sich am 19. Februar 2024 kein Spieler mit einer einhändigen Rückhand in den Top 10.
Eine bemerkenswerte Entwicklung, wenn man bedenkt, dass im allerersten ATP-Ranking der Geschichte nur ein einziger Top-10-Spieler, nämlich der Linkshänder Jimmy Connors, die Rückhand beidhändig spielte.
Elf der 28 bisherigen Weltranglisten-Ersten spielten die Rückhand nur mit einer Hand. Heutzutage gehören die "Einhänder" hingegen zur aussterbenden Art. Mit Stefanos Tsitsipas und Grigor Dimitrov finden sich aktuell nur zwei Spieler in den Top 25, die diesen Spielstil noch praktizieren.
Neben Altstars wie Stan Wawrinka oder Dominic Thiem gibt es mit dem 21-jährigen Italiener Lorenzo Musetti (ATP 26) aktuell nur einen Top-Spieler der jüngeren Generation, der noch mit der einhändigen Rückhand versucht, in die vordersten Top-Bereiche zu kommen.
Noch extremer ist es bei den Frauen, wo die 36-jährige Deutsche Tatjana Maria mittlerweile die einzige Top-100-Spielerin ist, die eine einhändige Rückhand bevorzugt.
"Haltet euch von der einhändigen Rückhand fern!"
War es das also mit der einhändigen Rückhand? David Nainkin ist dieser Meinung. Der 53-jährige Südafrikaner ist für die Spieler-Entwicklung im US-Tennis-Verband tätig. Er war selbst einmal die Nummer 132 der Welt und hat für aufstrebende Talente einen klaren Ratschlag parat: "Haltet euch von der einhändigen Rückhand fern!"
"Es ist beinahe unmöglich, es heutzutage mit einer einhändigen Rückhand zu schaffen", erklärte er im vergangenen Herbst in einem Artikel der "New York Times".
Die beidhändige Variante sei schlichtweg stabiler, der Bewegungsablauf sei kürzer und einfacher. Dementsprechend glaubt Nainkin, dass "wir die einhändige Rückhand in zehn Jahren noch weniger sehen werden als heutzutage."
Bresnik glaubt an Zukunft der Einhändigen
Eine klare Aussage. Dieser widerspricht allerdings Österreichs Star-Coach Günter Bresnik im Gespräch mit LAOLA1: "Ich glaube schon, dass die einhändige Rückhand im Spitzentennis noch eine Zukunft haben wird."
"Ich behaupte nach wie vor, dass jemand mit einer gut erlernten einhändigen Rückhand voll wettbewerbsfähig ist. Und es gibt keinen Grund, warum der nicht Top 10 oder Nummer 1 werden bzw. Grand-Slam-Turniere gewinnen sollte", so Bresnik.
"Es gibt auch aktuell einige Spieler, die mit ihrer einhändigen Rückhand die Berechtigung für die Top 10 hätten – selbst ein Dominic, wenn er wieder das Tennis von vor vier Jahren spielen würde."
Dass ein Tsitsipas nicht mehr in den ersten 10 stehe, hätte nichts mit der einhändigen Rückhand zu tun. "Er hat sich einfach ganzheitlich nicht weiterentwickelt."
Früherer Start mit Tennis bevorzugt beidhändige Rückhand
Doch warum gibt es dann das aktuelle Aussterben der einhändigen Rückhand? Für Bresnik liegt dies eindeutig am früheren Start der Kinder in den Tennissport.
"Früher haben sie mit 8, 9 oder 10 Jahren mit dem Tennis angefangen, da kannst du sie schon ein bisschen mit einer einhändigen Rückhand spielen lassen. Das Alter, mit dem die Kinder wirklich intensiv im Tennis beginnen, hat sich aber weit nach unten verschoben hat."
"Früher haben sie mit 8, 9 oder 10 Jahren mit dem Tennis angefangen, da kannst du sie schon ein bisschen mit einer einhändigen Rückhand spielen lassen. Das Alter, mit dem die Kinder wirklich intensiv im Tennis beginnen, hat sich aber weit nach unten verschoben hat. Bei Frauen ist diese physische Abhängigkeit halt noch viel schlimmer. Wenn ein fünfjähriges Mädchen anfängt, die kann ja gar nichts anderes machen, als mit zwei Händen zu spielen. Dementsprechend wird es heute gar nicht mehr unterrichtet, weil es keinem Menschen einfällt, dass er einem die Rückhand mit einer Hand spielen lässt."
Folglich gäbe es auch in der späteren Entwicklung kaum mehr Spieler, die die Rückhand mit nur einer Hand spielen. "Das heißt, dass das Verhältnis von Leuten, die es mit einer Hand und beidhändig probieren, ist sowas von ungünstig, dass es sich eigentlich gar nicht ausgehen kann. Ich habe ein paar Spieler bei mir, die später auch mal umstellen wollten. Die meisten klammern sich aber an ihre beidhändige Rückhand fest."
Laut Bresnik müsse man für eine Umstellung "einen Zeitrahmen von um die zwei Jahren einplanen." Diese Zeit wollen sich viele aber nicht nehmen, "weil die Leute Angst davor haben, dass sich die Erfolge nicht einstellen."
Auch wenn es in der Vergangenheit einige prominente Beispiele gab: "Ein Pete Sampras hat erst zwischen 12 und 14 Jahren umgestellt. Auch ein Dominic hat beidhändig gelernt."
Tsitsipas stellt mit acht Jahren auf einhändig um
Trotzdem sei dieser Weg "unwahrscheinlich. Denn die, die mit 14, 15 Jahren erfolgreich sind, werden nicht umstellen. Und die Nicht-Erfolgreichen werden zwischen 8 und 14 ausgemustert und nicht ernsthaft weiter trainiert – auch wenn die sich später vielleicht entwickeln würden. Weil nur Ergebnisse beurteilt werden und nicht die Möglichkeit, mit 17 und 18 Jahren wettbewerbsfähig sein zu können."
Bereits mit acht Jahren stellte Stefanos Tsitsipas auf seine einhändige Rückhand um. "Das ist ein großer Schritt, wenn man zur einhändigen Rückhand wechseln will. Man muss sich sehr sicher sein, ob man das wirklich will und das zu seinem Spiel passt", meint der Grieche.
Ein Spieler, der es mit einer späteren Umstellung probiert hat, ist Christopher Eubanks. Der 27-jährige US-Amerikaner gilt als Spätstarter auf der ATP-Tour und schaffte im vergangenen Sommer erstmals den Sprung in die Top 30.
Eubanks hat im Alter von 13 Jahren auf eine einhändige Rückhand umgestellt. In erster Linie aus Bewunderung für Roger Federer, dessen Ästhetik er schon als Kind bewunderte.
Im Nachhinein würde der 27-Jährige, der sich im vergangenen Jahr erstmals unter die Top 30 kämpfte, diese Entscheidung rückgängig machen wollen: "Wenn ich damals gewusst hätte, was ich jetzt weiß, hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht."
Durch die heutzutage extremen Top-Spin-Schläge der Spieler, würde es einfach immer schwieriger werden, mit seinem Schlag über den Ball zu kommen. Selbst der 2,01 Meter große Eubanks tue sich dabei schwer.
Bresnik sieht mehr Vor- als Nachteile
Bresnik sieht die Sache nicht so tragisch: "Natürlich tust du dir schwer, wenn dir einer hoch auf die Rückhand spielt. Da tust du dir mit zwei Händen leichter. Die meisten guten beidhändigen Rückhand-Spieler spielen ja quasi eine Vorhand mit der linken bzw. anderen Hand."
Der Niederösterreicher verweist zudem auf einen Wawrinka: "Was der mit seiner Rückhand macht – in jeder Höhe. Nur das ist jetzt natürlich ein Kraftpaket. Denn hättest du mit 17 oder 18 Jahren sehen müssen, als er die Junioren-French-Open gewonnen hat. Das war ein Wahnsinn, wie der mit einer einhändigen Rückhand ziehen konnte. Ganz unten am Boden, weit und schnell, super Slice. Extrem gut geblockt auf der Seite."
Denn die einhändige Rückhand habe schließlich auch einige Vorteile, die zu ihren Gunsten sprechen würde. "Diese Möglichkeit mit Slice und Spin ist mit einer Einhändigen besser zu vereinbaren als mit einer Beidhändigen. Du hast mehr Variation. Die Einhändigen spielen einen viel natürlicheren Slice und solche Sachen. Sie vollieren auch häufig besser."
"Das hat also wirklich nicht nur Nachteile. Ganz im Gegenteil. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Problem ist, dass eine einhändige Rückhand meistens schlecht unterrichtet ist. Wenn eine einhändige Rückhand technisch sauber ist und der Bursche oder das Mädel in ein Alter kommen, wo die Kraft entsprechend da ist. Du brauchst halt eine gute Physis, dass du über die Schulter gehen kannst."
Ähnlich sieht es Tsitsipas. Der Grieche ist aktuell immer noch der bestplatzierte Spieler im ATP-Ranking mit einer einhändigen Rückhand und erklärte im vergangenen Jahr in der Wiener Stadthalle die Vorteile dieser Spielweise.
"Im Vergleich zur beidhändigen Rückhand kann man den Ball ein bisschen besser und leichter steuern. Auch wenn man nicht mehr die Möglichkeit hat, das perfekte Timing zu erwischen. Man kann einen schwierigen Ball besser retten."
Bresnik: "Würde niemals auf beidhändig umstellen"
"Ich kann auch den Platz besser öffnen, weil ich mit mehr Topspin spielen kann. Zudem ist der Slice effektiver, wenn ich auf ein defensives Spiel umstellen möchte. Bei der einhändigen Rückhand muss ich beim Griff weniger umstellen, wenn ich einen Slice spielen will. Es ist zwar nur eine Kleinigkeit, kann das Leben aber schon erleichtern", meint der Grieche.
"Wir haben schon einige Leute auf der Tour gesehen, die unglaublich mit der einhändigen Rückhand gespielt haben und uns gezeigt haben, was man alles mit ihr machen kann", sagt der ehemalige Weltranglisten-Dritte.
Dementsprechend stellt auch Bresnik klar: "Wenn jemand eine gute einhändige Rückhand hat, würde ich sie nie auf beidhändig umstellen. Obwohl die Leute immer in der Fantasie leben, dass man mit einer Beidhändigen besser retournieren oder passieren kann."
Die vielen Schützlinge des Günter Bresnik
Eine ernsthafte Beurteilung, welche Variante besser sei, könnte man laut Bresnik mangels Vergleichsmöglichkeiten sowieso nicht machen. "Dafür müsste man einen Test unter Laborbedingungen schaffen. Eine Gegenüberstellung von sportlich relativ gleichwertigen Leuten, denen ich jeweils zur Hälfte eine einhändige und eine beidhändige Rückhand lehre. Es wäre interessant, wie sich die entwickeln, wenn sie 20, 23 oder 25 Jahre alt sind."
Große Einigkeit herrscht im Tennis-Zirkus bei der Rückhand-Diskussion jedenfalls in einem Punkt: Bei der Ästhetik hat für fast alle Beteiligten die Einhändige die Nase vorne.
Ästhetik auf Seiten der Einhändigen
Tsitsipas schwärmte in Wien: "Der Vorteil der einhändigen Rückhand ist, dass sie einfach unglaublich schön ist. Ich glaube, dass sich selbst jemand, der sich mit Tennis nicht sonderlich gut auskennt und einfach mal nur im Fernsehen ein Match sieht, wird bei der einhändigen Rückhand kleben bleiben und den Sport noch mehr mögen."
Der Grieche wurde quasi selbst "Opfer" dieser Zuschauer-Rolle: "Als ich aufgewachsen bin, habe ich Spieler wie Gasquet oder Wawrinka gesehen und habe sie immer für ihre einhändige Rückhand bewundert. Ich wollte einen ähnlichen Schlag in meinem Repertoire."
Bresnik stimmt zu, bleibt dabei aber auch Realist: "Es ist definitiv wesentlich ästhetischer. Ästhetik hat halt im Leistungssport nur eine untergeordnete Rolle. Da geht es um Ergebnisse, Ergebnisse, Ergebnisse. Und die werden (aufgrund der besprochenen Umstände) mit zwei Händen einfach leichter abgeliefert."
Trotzdem hofft der ehemalige Betreuer von Spielern wie Boris Becker, Horst Skoff oder Henri Leconte, dass die einhändige Rückhand auch in Zukunft Bestandteil des Tennis-Sports bleiben wird können. "Es wäre schlimm, schlimm, schlimm, wenn das nicht der Fall wäre."
Einen Verbündeten hat Bresnik dabei in Tsitsipas gefunden: "Ich bin irgendwie auch hier, weil ich die einhändige Rückhand nicht sterben lassen will. Sie sitzt tief in meinem Herzen drin."