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Muster über Thiem: "Zug ist noch nicht abgefahren"

Die steirische Tennis-Legende findet harte Worte, sieht Dominic Thiem nun aber wieder auf einem guten Weg.

Muster über Thiem: Foto: © GEPA

Immerhin 17 Tage war Thomas Muster im Jänner 2020 als Betreuer an der Seite von Dominic Thiem zu finden.

Dann beendete der heute 29-jährige Niederösterreicher noch während der Australian Open die Zusammenarbeit mit der steirischen Tennis-Legende vorzeitig.

Doch das Interesse an Thiem erlosch beim ehemaligen Weltranglisten-Erste nie. "Ich habe mir jedes Match der letzten drei Jahre von ihm angesehen", verrät der 55-jährige Leibnitzer bei einem Medien-Termin in Wien, wo er als Turnierbotschafter der Erste Bank Open zu Gast war.

Vor versammelter Journalisten-Runde unterzog Muster der Causa Thiem einer fundamentalen Analyse. Er machte sich seine Gedanken über…

…den Trainerwechsel von Dominic Thiem von Nicolas Massu zu Benjamin Ebrahimzadeh

Thomas Muster: Ich glaube, dass der Schritt zu spät war. Ich hätte ihn nach Ende der Saison gemacht, denn das hat sich für ihn jetzt bewahrheitet, dass das der richtige Schritt ist. Nur hätte man wahrscheinlich schon im Winter Vorbereitungen treffen können, dann wäre es schon früher besser gelaufen. Nachher ist man immer gescheiter. Aber dass Dominic nicht der Entscheidungskräftigste ist, hat sich eh schon des Öfteren bewahrheitet. Es waren sicher, glaube ich, über die letzten drei Jahre katastrophale Entscheidungen dabei, die er auch teilweise zugegeben hat, aber man ist halt in dem Moment immer nur so gescheit, wie man ist.

...die mögliche Zukunft von Thiem

Muster: Er hat noch einige Jahre vor sich. Wichtig ist es für ihn, es jetzt so weiterzubetreiben. Ich traue ihm die ersten 40, ersten 30 heuer zu, falls er gesund bleibt und es weiter so funktioniert. Ich habe im letzten Oktober ein Szenario vorgezeichnet und bin mit meiner These, dass die Rückkehr nach einer Verletzung drei Mal so lange dauert wie die Verletzungszeit, nicht so falsch gelegen. Dominic kann mit seiner Technik, seinem Spiel und seinem Speed wieder zurückkommen. Wahrscheinlich wird es noch ein bisschen dauern, vielleicht passiert ein großer Ausreißer und es klappt vielleicht schon in Paris.

…eine notwendige Weiterentwicklung

Muster: Unbedingt (muss die erfolgen), du kannst sechs Meter hinter der Grundlinie kein Match gewinnen, weil die Wege zu weit werden und die Regeneration nicht besser wird. Das Courtplacement ist ein Wahnsinn. Gott sei Dank gibt es hinten bei vielen Turnieren keine Linienrichter mehr. Aber das kommt mit Selbstvertrauen, mit Matchgewinnen usw. Es waren Ansätze in Madrid schon da, du brauchst die Schläge dazu, um das auch spielen zu können. Du brauchst die Match-Fitness, um das bei einem Grand Slam zwei Wochen spielen zu können. Früher hat er auch weiter hinter der Grundlinie retourniert, aber dann ist er dem Ball nachgegangen. Das kannst du aber nicht ohne Selbstvertrauen.

…Thiems Fehler in den vergangenen Jahren

Muster: Es ist in drei Jahren relativ viel verbockt worden. Es gab immer wieder Comeback-Ankündigungen, dann war er nie wirklich match-fit. Die anderen Beweggründe kann ich nicht beurteilen - ob das jetzt richtig ist, dass Moritz sein Manager ist, ist egal, seine Entscheidung. Viele Leute, die ihn jahrelang begleitet haben, sind mit Entscheidungen vor den Kopf gestoßen worden und waren auf einmal weg. Bresnik, Stober,... An Nicolas Massu hat er lange festgehalten – nach Günter Bresnik war der eine Wohlfühloase für ihn. Man darf aber nicht vergessen, dass Massu von Bresnik nur als Touring-Coach eingesetzt war. Gemacht hat ihn der Günter Bresnik, unter Massu hat er von den Nachwirkungen profitiert. Das ist zeitverzögert und diese Zeitverzögerung hast du jetzt auch mit einem neuen Coach.

…das schwierige Comeback

Muster: Das Comeback verlief von Anfang an sehr schwierig. Die Wahrheit ist, und das hat er sich auch selbst eingestanden: Er war sich nicht mehr sicher, ob er das will. Das kenne ich, du kommst in ein Alter, wo du sagst, es gibt andere Dinge im Leben und du bist finanziell unabhängig. Wenn du kein Tennis spielst, weil du verletzt bist, musst du dich im Kopf neu erfinden, um das wieder anzugehen. Das geht ja nicht im Spazierengehen, auch ein Comeback ist sehr aufreibend, körperlich intensiv, zeitintensiv. Du musst diese Wiederholungszahlen wieder reinbringen, das muss sich einschleifen und selbstverständlich werden, und das gekoppelt mit Turniererfolgen. Ich hab das im Jahr 1990 nach meinem Autounfall super geschafft und dann dafür 1991 einen Totalausfall gehabt. Da hab ich dann drei Jahre gebraucht, bis ich die Kurve gekriegt habe. Es ist nicht einfach. Bei Dominic ist es eine Summe der schlechten Entscheidungen. Die letzten Jahre waren einfach nicht glücklich.

Thiem gewann 2020 die US Open
Foto: © getty

…fehlende Motivation nach einem großen Titel

Muster: Bei mir war es im letzten Abdruck der Karriere, und das war auch erwartet. Wir hätten ja auch erwartet, dass er Paris am ehesten gewinnt. Ich sage salopp, die US Open sind Dominic passiert - er hat gut gespielt, alles hat funktioniert. Es passiert etwas, was du nicht erwartet hast und früher als erwartet. Dann musst du damit umgehen lernen und sagen, jetzt erst recht, und das ist dann nicht passiert. Dominic hat ja schon vor seiner Verletzung nicht mehr gut gespielt. Die Saison wäre auch ohne Verletzung ein Verhau gewesen.

...einen möglichen weiteren Grand-Slam-Titel

Muster: Es wird nicht leichter, die Roland-Garros-Möglichkeiten sind ausgelassen, es war aber auch ein schwer besetztes Finale (Anm.: Finale 2018 und 2019 jeweils gegen Nadal). Ich habe keine Glaskugel, aber möglich ist es, das haben andere auch gezeigt. Der Zug für die nächsten vier, fünf Jahre ist noch nicht abgefahren. Wer sagt, dass er nicht schon heuer in Paris in der ersten oder zweiten Runde einen rausnimmt? Ich traue ihm ein Achtelfinale zu, wenn er über den ersten Gesetzten drüber kommt, je nach Auslosung, vielleicht ein Viertelfinale, wer weiß. Der Mann, den es in Paris zu schlagen gilt, ist aber Carlos Alcaraz.

…sein persönliches Interesse an der Thiem-Entwicklung

Muster: Ich habe mir jedes Match von Dominic in den letzten drei Jahren angesehen. Weil es mich persönlich interessiert, weil ich damals auch für keinen anderen Spieler gesagt hätte, ich mache das. Ich habe viele Angebote gehabt, für Dominic habe ich es gemacht. Ich schaue es mir meistens sehr kritisch an, was würde ich machen als Coach oder als Spieler? Teilweise war es aber echt mühsam. Manche Partien anzuschauen, ist wirklich wie zum Muttertag Plastikblumen kriegen.

…fehlenden Respekt der Gegner gegenüber Thiem

Muster: Der Respekt ist weg. Die meisten haben früher schon verloren, bevor sie auf den Platz gekommen sind. Diese Aura muss er sich wieder erarbeiten. Die wissen jetzt, dass er immer und zu jeder Zeit besiegbar ist. Diesen Status musst du dir wieder erarbeiten. Schön langsam kommt er aber wieder in diesen Bereich. Ein Tsitsipas freut sich nicht mehr, wenn er nach einem Freilos in der ersten Runde gleich gegen den Thiem spielen muss. Darüber freut sich keiner. Er gehört meiner Meinung nach wie vor zu den besten 25. Das muss er aber nicht uns, sondern sich selbst beweisen.

Es geht um die Frage, wie viel Schmerz du ertragen kannst. Dem Einen ist es egal, ob er sich ruiniert. Was ist jemand bereit, von sich herzugeben? Ich weiß nicht, ob das bei Dominic so ist.

Muster über den Preis des Spitzensports

…den nötigen Willen im Spitzensport

Muster: Es geht um die Frage, wie viel Schmerz du ertragen kannst. Dem Einen ist es egal, ob er sich ruiniert. Was ist jemand bereit, von sich herzugeben? Ich weiß nicht, ob das bei Dominic so ist. Vielleicht hat es den Tiefpunkt gebraucht, um tatsächlich zu sagen, ich muss den Weg gehen, oder es gibt keinen mehr. Die Sackgasse war unübersehbar. Es hängt von der Aufnahmefähigkeit ab. Ich kann mir den besten Mentaltrainer nehmen, wenn ich dem nicht zuhöre und nicht bereit bin, diese Wege zu gehen. Jetzt hat er aber scheinbar die Entscheidung getroffen, diesen Weg weiter zu gehen.

…die oft gelobte Thiem-Rückhand

Muster: Es haben immer alle gesagt, wie toll seine Rückhand ist. Ich sage noch immer, das ist sein Schwachpunkt, auch wenn der Rückhand longline dieser Traumschlag ist.

…die Rückkehr auf die Challenger-Tour in Mauthausen kommende Woche

Muster: Er ist jetzt Favorit, obwohl er es gar nicht ist. Ich glaube aber, dass sein Coach ihm sagt, dass er jetzt einfach die Matches braucht. Er schaut geistig schon in den Herbst. Der Horizont liegt nicht bei Paris. Wenn’s gut geht, geht es gut, wenn nicht, ist es egal, weil die Erwartungen so niedrig sind. Die Intensität vom Training musst du jetzt in die Matches reinbringen. Daran werden sie arbeiten. Ich glaube, dass da in den nächsten Monaten ein Schub kommen wird. Das wird alles besser und sicherer werden. Es kann nur besser werden, schlechter hat es nicht mehr werden können.

…eine mögliche Konzentration auf Hartplätze

Muster: Ich glaube, dass von der Spielanlage her Sandplatz immer noch sein bevorzugter Court ist. Im Alter sollten die Punkte aber besser schneller gehen und direkte Punkte gehen wahrscheinlich auf Hartplatz besser.

…die negativen Veränderungen durch moderne Errungenschaften

Muster: Ich bin froh, dass ich nicht mehr im heutigen Zeitalter spielen muss. Dieses ganze Social Media, dieser Druck,… was da für Sachen über Dominic geschrieben werden, das geht einfach zu weit. Man kann zu einem Spieler oder Sportler stehen wie man will, er ist ein Mensch mit Schwächen und Stärken und wir sollten eigentlich nur über technische Dinge reden, wo vielleicht etwas schiefgelaufen ist. Das ist zumindest meine Meinung.

…über die Möglichkeiten von anderen österreichischen Spielern

Muster: Wir haben einige Spieler, die auf jeden Fall Top-100-Potenzial haben. Und ich hab schon Spieler gesehen, die einfach ihr Spiel spielen, das sie spielen können, und es damit bis in die Top 30 oder Top 20 schaffen. Da siehst du, was alles möglich ist, wenn du ein richtiges Konzept hast und ordentlich trainierst. Dann kannst du auch mit weniger großartigen Voraussetzungen viel erreichen. Jeder, der halbwegs spielt, kann dorthin kommen, wenn er sich seine Möglichkeiten anschaut und draufkommt, wie er sie am besten nutzen kann.

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