Er gilt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten auf der ATP Tour: Nick Kyrgios.
In der vergangenen Woche kehrte der mittlerweile 29-jährige Australier nach einer eineinhalbjährigen Verletzungspause wieder auf die Tour zurück.
Eine Zyste am Knie, eine Fußverletzung, die er sich zuzog, als seine Mutter Opfer eines Raubüberfalls wurde, und eine Handgelenks-Operation ließen in den vergangenen Monaten schon Zweifel an einer Fortsetzung seiner Karriere aufkommen.
Für BBC und ESPN war der nicht gerade auf den Mund gefallene Australier bereits mehrmals als Kommentator und Analyst im Einsatz.
Comeback vergangene Woche in Brisbane
Doch entgegen aller Befürchtungen und zur Freude seiner Fans war der extrovertierte "Bad Boy" der Tennis-Szene beim ATP-250-Turnier in Brisbane wieder auf dem Court zu sehen. Und Kyrgios zeigte, dass er in der langen Pause weder von seinen Showman-Qualitäten noch von seiner spielerischen Klasse etwas eingebüßt hat.
Im Doppel trat er an der Seite von Superstar Novak Djokovic an und mit Alex Erler, der in der ersten Runde mit Andreas Mies auf das prominente Duo traf, durfte sich auch gleich ein Österreicher aus nächster davon überzeugen.
In einer äußerst unterhaltsamen Partie mit vielen außergewöhnlichen Schlägen und Aktionen setzten sich Kyrgios/Djokovic schließlich knapp durch. Einen Tag später folgte das Einzel-Comeback des Australiers, bei dem er sich in einem Tiebreak-Thriller dem französischen Aufschlag-Kanonier Giovanni Mpethsi Perricard 6:7, 7:6, 6:7 geschlagen geben musste.
Auch wenn das Ergebnis am Ende nicht den Wünschen von Kyrgios und dem Publikum entsprach: Kyrgios bewies, dass er zumindest phasenweise durchaus noch mit den Besten der Welt mithalten kann.
"Er hat nur ein paar big points besser gespielt als ich", meinte Kyrgios nach seinem Match gegen den aufstrebenden Youngster, den er in Folge mit früheren Aufschlag-Legenden wie Ivo Karlovic, John Isner oder Milos Raonic verglich.
Rückkehr an die Weltspitze wohl nicht mehr möglich
Freilich stellte der sonst nicht gerade für seine zurückhaltenden Ansagen bekannte Wimbledon-Finalist von 2022 nach dem Turnier klar, dass man nun nicht erwarten dürfe, dass er schon bald wieder um Major-Titel mitspielen könnte.
Dieser Zug sei vermutlich abgefahren. Schon nach dem Doppel fühlte sich Kyrgios, "als hätte mich ein Bus überfahren". Es würde schon ein "Wunder" brauchen, um ein zweiwöchiges Grand-Slam-Turnier "zu überleben".
Zudem soll er sich bei seinem Comeback-Match in Brisbane eine Bauchmuskelzerrung zugezogen haben. Da auch das Handgelenk wieder zu schmerzen begann, steht nun sogar ein kleines Fragezeichen hinter seinem Antreten bei den Australian Open, wo er in der ersten Runde auf das britische Talent Jacob Fearnley treffen würde.
Wunderdinge darf man sich von Kyrgios also nicht unbedingt erwarten. Wobei: Gewundert hat man sich in der wohl einzigartigen Karriere des 1,93 Meter großen Sohnes einer malaysischen Mutter und eines Vaters mit griechischen Wurzeln freilich schon öfters.
Mit 19 Jahren im Wimbledon-Viertelfinale
Der ehemalige Junioren-Weltranglisten-Erste galt vor über einem Jahrzehnt als eines der absoluten Mega-Talente im Welttennis. Bereits mit 16 Jahren gewann Kyrgios im Jahr 2012 bei den Australian Open sein Erstrunden-Match im Qualifikationsbewerb. Ein Jahr später triumphierte er im Junioren-Bewerb. Im Sport- und Tennis-begeisterten Australien wuchs da die Erwartungshaltung schon ins Unermessliche.
Paul Annacone, der ehemalige Trainer von Roger Federer, wurde mit den Worten zitiert: "Ich denke, Nick ist der talentierteste Spieler, seit Roger auf der Bildfläche erschienen ist."
Den Höhepunkt des Hypes gab es bei seinem Wimbledon-Debüt im Jahr 2014, als er mit 19 Jahren mit einem Sieg über Superstar Rafael Nadal sensationell ins Viertelfinale einzog.
Mit seinem kraftvollen, aggressiven und teils unberechenbaren Spielstil verzückte der Australier schnell die Fans in aller Tennis-Welt. Kyrgios war bekannt dafür, auch schon mal einen Tweener (Schlag durch die Beine) oder ein damals noch deutlich weniger gespieltes Under-Arm-Serve einzubauen.
"Enfant terrible" des Tennis-Sports
Neben seinem extrovertierten Auftreten auf dem Platz und der laufenden Interaktion mit Schiedsrichtern und Zuschauern brachte ihm vor allem letzterer Schlag immer wieder Kritik von seinen Spieler-Kollegen ein. So meinte beispielsweise Nadal, dass der Under-Arm-Serve nicht im "Geiste des Tennis-Spiels" wäre und Kyrgios weder Gegner noch Publikum respektieren würde.
Die größten Bad Boys der Tennis-Geschichte
Während man über den Aufschlag von unten mit Sicherheit geteilter Meinung sein kann, so sehr kann man dem Spanier nur bezüglich des manchmal ungebührlichen Verhaltens auf dem Platz von Kyrgios zustimmen.
Seine Wutausbrüche, gepaart mit gewagten Aussagen abseits des Platzes, brachten ihm schnell den Ruf eines "Enfant terrible" des Tennissports ein. Kyrgios wurde mehrfach mit hohen Geldstrafen belegt, unter anderem wegen unsportlichen Verhaltens, wie dem Werfen von Schlägern und verbalen Auseinandersetzungen mit Schiedsrichtern, Zuschauern und Gegnern.
So ließ Kyrgios beispielsweise im Jahr 2015 während eines Matches gegen Stan Wawrinka seinen Kontrahenten wissen, dass Landsmann und Tennis-Kollege Thanasi Kokkinakis mit Wawrinkas Freundin geschlafen habe. Mit einer Geldstrafe von 13.000 Dollar kam Kyrgios da sogar noch recht günstig davon. Es sollte aber nicht die einzige von der ATP ausgesprochene Maßnahmenregelung gegen den von manchen Medien als "Rotzlöffel" bezeichneten Australier bleiben.
Mentale Probleme und Alkoholismus
Sein zuvor beschriebenes unberechenbares Verhalten hatte zudem auch seine negativen Seiten. Immer wieder gab er Spiele absichtlich "auf". Über sein mangelndes Engagement sprach er nach den Matches offen in der Öffentlichkeit, was sowohl Fans als auch Kritiker frustrierte. Erst im Laufe der Jahre wurde bekannt, dass Kyrgios mit großen mentalen Probleme zu kämpfen hatte und sogar in den Alkoholismus abrutschte.
"Nach seinem Sieg über Nadal in Wimbledon sagten sie mir, dass ich der nächste große Star im Tennis sein werde", sprach er 2022 im Podcast "Turn Up The Talk" offen über seine damaligen Probleme. Kyrgios gab zu, dass er nicht wusste, wie er mit dem Druck umgehen sollte: "Ich habe es immer wieder versucht, versucht und versucht, aber am Ende wurde es zu einer dunklen Wolke."
Ich habe wahrscheinlich jede Nacht 20 bis 30 Drinks getrunken - weißt du, nur in meinem Zimmer allein - bin aufgewacht und habe gespielt.
Die Dinge wurden so schwierig für ihn, dass Kyrgios auf Instagram postete, dass er 2018 unter Depressionen litt, sich selbst verletzte und Selbstmordgedanken hatte. In einem Interview im Turn Up The Talk-Podcast erklärte er, dass er 2019 sogar Turniere gewann: "Ich habe wahrscheinlich jede Nacht 20 bis 30 Drinks getrunken - weißt du, nur in meinem Zimmer allein - bin aufgewacht und habe gespielt.“
Kyrgios sagte, dass "das Gewinnen von Turnieren all das zu maskieren schien“, was die "dunkelste Sache überhaupt“ war. Um damit fertig zu werden, suchte er professionelle Hilfe bei verschiedenen Psychologen, die ich m halfen, sein Leben wieder besser in den Griff zu bekommen und wieder in die Spur zu finden. Was ihm in Folge auch immer besser gelang.
Neue Liebe sorgt für Aufschwung
Nach einer kurzen und eher toxischen Beziehung mit der Influencerin Chiara Passari fand er in den Armen von Costeen Hatzi, eine ebenfalls stark auf Social Media aktive Inneneinrichterin, im Oktober 2021 nun auch das private Glück.
In der Netflix-Tennis-Doku "Break Point“ gab Costeen vor der Kamera zu, dass sie vor Beginn ihrer Beziehung mit Nick kein großer Tennisfan war. "Ich habe noch nie in meinem Leben ein Tennisspiel gesehen, also ja, das ist alles neu für mich“, meinte Hatzi, die Kyrgios scheinbar hilft, ein gesundes Leben abseits des Tennis-Sports führen zu können.
Kyrgios-Manager Daniel Horsfall meinte gegenüber ESPN, dass ihre Anwesenheit auf der Tour tatsächlich Nicks Leistung und Denkweise gefördert habe.
"Ich habe ihn in früheren Beziehungen erlebt, die ihn vielleicht in eine andere Richtung geführt haben", sagte er. "Costeen hebt ihn auf und gibt ihm Motivation und Inspiration, und sie ist einfach eine tolle Partnerin für ihn."
Ein Umstand, der schnell in das erfolgreichste Jahr von Kyrgios auf der ATP-Tour mündete. Im Jänner 2022 triumphierte er mit Kumpel Kokkinakis mit einem denkwürdigen Sensationslauf im Doppelbewerb der Australian Open.
Wenige Monate später stand Kyrgios in Wimbledon erstmals in einem Grand-Slam-Finale im Einzel. Dort verwehrte ihm Novak Djokovic den ganz großen Wurf.
"Ich habe 10 Jahre - fast 10 Jahre - in meiner Karriere gebraucht, um endlich an den Punkt zu kommen, an dem ich um ein Grand-Slam-Turnier gespielt habe und es nicht geschafft habe, aber mein Niveau ist genau dort", meinte er danach beim Platz-Interview. Auf die Frage, ob ihn dies hungrig auf weitere Grand-Slam-Finals gemacht habe, antwortete er: "Nein, es war anstrengend!" – und erntete damit eine Menge Lacher vom Publikum.
Viel Engagement für karitative Zwecke
Doch nicht aufgrund solcher Auftritte hat er einen fixen Platz in den Herzen vieler Fans. Kyrgios setzt sich schon seit vielen Jahren immer wieder für wohltätige Zwecke ein. Er gründete beispielsweise die NK Foundation, die benachteiligten Kindern Unterstützung bietet.
Als in Australien im Jahr 2020 die Buschfeuer-Katastrophe das ganze Land erschütterte, startete er spontan eine Initiative, die am Ende knapp fünf Millionen Dollar einbrachte.
Dieser Aspekt seiner Persönlichkeit zeigt, dass er mehr ist als nur ein Provokateur – er ist eine komplexe und widersprüchliche Figur. Das bestätigt Hugh van Cuylenburg, der Gründer des Resilienz-Projekts, bei dem sich Kyrgios engagiert: "Alle, die ihn jemals getroffen haben, sagen, dass er ein sensationeller Mensch ist, der sich sehr um andere Menschen kümmert. Er sucht nicht nach Anerkennung oder Publicity für die guten Dinge, die er tut."
"Must-See" bei den Australian Open
Tennis-Buddy Jason Kubler streicht besonders seine positive Ausstrahlung hervor: "Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, lächelt er. Jedes Mal, wenn ich in seiner Nähe bin, habe ich das Gefühl, dass ich lache. Deshalb ist es irgendwie seltsam, wenn ich die Kommentare über ihn lese oder sehe, so wie ich ihn kenne. Er ist einfach einer dieser Menschen, in die man sich verliebt, wenn man mit ihm zusammen ist oder ein wenig Zeit mit ihm verbringt."
Und solchen Menschen verzeiht man dann auch gerne mal ein etwas loses Mundwerk. Dieses hat er trotz seiner Erdung der letzten Jahren noch lange nicht ablegt. Erst kürzlich bezeichnete er sich selbst in einem Podcast als jenen Spieler mit der größten Spiel-Intelligenz.
"Ich habe gegen Djokovic, Federer, Nadal und Murray gespielt. Ich habe einen höheren Tennis-IQ als sie", erklärte der Australier. Seine Begründung: "Ich hatte seit sechs Jahren keinen Trainer mehr. Ich weiß nicht, ob es in der Geschichte des Tennis jemand ohne Trainer ins Finale von Wimbledon geschafft hat.
Keine Frage: Nick Kyrgios gehört zu den kontroversesten und faszinierendsten Figuren des professionellen Tennissports. Und auch bei den am Sonntag beginnenden Australian Open 2025 werden seine Auftritte sicherlich zu den "Must-Sees" gehören.