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"Will meine Erfahrungen weitergeben"

Neo-ÖTV-Sportdirektor erklärt Abschied. Plus: Was Tennis aus ihm gemacht hat!

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Nun ist die Katze endgültig aus dem Sack: Jürgen Melzer wird nach über 20 Jahren heuer seine letzte komplette Saison auf der ATP-Tour bestreiten bzw. diese spätestens nach den ATP-Finals in London beenden.

Schon im Februar 2021 wartet eine neue spannende Aufgabe auf den ehemaligen Weltranglisten-Achten: Der 39-jährige Niederösterreicher wird das Amt des neuen ÖTV-Sportdirektors übernehmen.

Im großen LAOLA1-Interview erklärt Melzer seine Beweggründe und Zielsetzungen. Zudem lässt er seine erfolgreiche Karriere Revue passieren: Melzer spricht über seine größten Erfolge und verrät, dass er im Rückblick gerne auch einiges anders gemacht hätte.

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LAOLA1: Du feierst nächstes Jahr deinen 40. Geburtstag. Passenderweise stehen bei dir im Jahr 2021 aber auch sonst zahlreiche Veränderungen (Melzer wird ÖTV-Sportdirektor>>>) auf dem Plan. Erzähl doch bitte, was sich in den kommenden Monaten bei dir so tun wird.

Jürgen Melzer: Richtig, 2020 wird definitiv meine letzte Saison auf er ATP-Tour sein. Ich hoffe natürlich, dass wir das noch mit einem Masters-Lauf in London krönen können. Nach den Australian Open werde ich beim österreichischen Tennis-Verband als Sportdirektor arbeiten. Ich werde dort auf der sportlichen Seite für einige Dinge zuständig sein und die sportlichen Geschäfte leiten.

LAOLA1: Wie ist es zu diesem Engagement gekommen?

Melzer: Als dieser Posten frei wurde, war es für mich immer schon eine Überlegung wert. Ich habe bereits Ende 2019 mit Christina Toth (Anm.: Interims-ÖTV-Präsidentin) einige Gespräche geführt, dass mich das extrem interessieren würde und ich gerne mein Know-How der letzten 20 Jahre auf der Tour an die österreichischen Tennis-Spieler weitergeben kann. Während der Corona-Pause haben sich die Gespräche auch mit dem neuen Präsidium konkretisiert. Ich glaube, wir sind beide sehr happy, dass es im Februar losgeht.

LAOLA1: Was erwartest du dir von deinem neuen Job? Wie willst du ihn ausfüllen?

Für mich ist wichtig, dass das Image vom ÖTV so gestaltet wird, dass unsere Arme für alle offen sind. Da geht es nicht nur um die Spieler die direkt beim ÖTV sind, sondern auch jene, die bei privaten Akademien trainieren.

Melzer will für alle offen stehen

Melzer: Für mich ist wichtig, dass das Image vom ÖTV so gestaltet wird, dass unsere Arme für alle offen sind. Da geht es nicht nur um die Spieler die direkt beim ÖTV sind, sondern auch jene, die bei privaten Akademien trainieren. Da soll eine gewisse Zusammenarbeit entstehen. Ich will meine Erfahrungen an alle Spieler – die das auch wollen – weitergeben. Ich möchte mit den Jungen selbst am Platz stehen - wobei ich natürlich nicht nur am Platz stehen werde, weil es in dieser Funktion auch andere Sachen zu erledigen gibt. Ich glaube aber, dass es sehr schade wäre, wenn ich nicht am Platz das weitergeben könnte, was ich in den letzten Jahrzehnten gelernt habe.

LAOLA1: Hast du dir bereits konkrete Ziele gesetzt oder ist das einfach noch zu früh?

Melzer: In erster Linie gibt es jetzt einmal eine Bestandsaufnahme. Wie läuft das ganze Werk? Wo gibt es Schrauben, die man drehen kann, bei denen ich der Meinung bin, dass sich etwas verbessern würde? Mein großes Ziel ist es, dass wir in drei bis fünf Jahren wieder Jugendliche haben, die bei Grand-Slam-Turnieren dabei sind. Im Moment ist das bei den Burschen nur der Luki Neumayer, bei den Mädchen leider gar keine. Ich glaube, dass da angesetzt werden muss. Damit wir bei den Jugendlichen auf internationalem Top-Niveau mitspielen können. Dass das nicht von heute auf morgen geht – Spieler und Talente kann man ja nicht aus dem Hut zaubern – ist klar. Da gehört ein ordentliches Konzept her, wie man wieder zu mehr erfolgreichen Jugendlichen kommt. Ich habe mir da ein paar Sachen überlegt, wie wir das schaffen können. Eben auch, in dem wir alle zusammen helfen. Ich glaube nicht, dass in einem kleinen Land wie Österreich jeder sein eigenes Süppchen kochen kann. Die Talente, die wir haben, sollten wir gemeinsam auf einen guten Weg bringen, damit sie international Fuß fassen können.

LAOLA1: Um langfristig viele erfolgreiche Jugendliche haben zu können, wird man wahrscheinlich auch tief runter die Altersklassen gehen können. Du hast erst relativ spät mit dem Tennis begonnen. Wäre das heutzutage überhaupt noch möglich?

Melzer: Ja, ich habe eigentlich erst mit acht Jahren begonnen, richtig Tennis zu spielen und es erst mit neun Jahren ein bisschen ernsthafter betrieben. Ich glaube, dass das heutzutage sehr schwierig ist, so spät anzufangen. Es ist aber nicht unmöglich. Ich glaube, dass es wichtig ist, in jungen Jahren vor allem eine gute allgemeine Sportausbildung zu genießen. Zu früh zu spezialisieren hemmt die Entwicklung viellleicht sogar ein bisschen. Ich glaube, dass man als Kind viele Sportarten ausüben sollte, aber eben auch im Tennis die Grundelemente lernt. Deshalb ist es wichtig, dass wir da Trainer haben, die die Kinder sehr, sehr gut ausbilden können, damit sie, wenn sie später in die Landesverbände und zum ÖTV kommen, da schon eine Basis haben, auf der wir aufbauen können. Da müssen wir Strukturen schaffen, damit das funktioniert.

LAOLA1: Du hast damals neben dem Tennis auch sehr viel Fußball gespielt. Was hat da letztendlich den Ausschlag für Tennis gegeben?

Melzer: Puh, das ist schon ein bisschen her. Für mich war es wichtig, dass ich selbst entscheiden kann, ob ich es schaffe oder nicht. Im Fußball ist man von sehr vielen anderen Faktoren abhängig. Da reicht es nicht, nur ein großes Talent zu haben. Da muss man oft zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Fleck sein und den richtigen Trainer haben, der wirklich auf einen setzt. Im Tennis bist du für deine Karriere eigentlich selber verantwortlich. Da gibt es durch Siege und Niederlagen ein klares Konzept. Mit gewissen Einschränkungen kannst du dir im Tennis dein Umfeld selbst gestalten und dafür sorgen, dass du weiterkommst. Das war für mich damals der ausschlaggebende Punkt. Beim Fußball ist es zudem extrem schwierig, dass du zwei Sportarten unter einen Hut bringst. Bei Tennis war es kein Problem, dass ich noch ein, zwei Mal in der Woche Fußball gespielt habe. Beim Fußball ist es schwierig, wenn du zwei Trainingseinheiten versäumst, dass es der Trainer noch rechtfertigen kann, dass du am Wochenende spielst. So hat sich das relativ schnell entwickelt und ich bin froh über die Entscheidung, die ich damals getroffen habe.

LAOLA1: Was macht Tennis aus einem Spieler? Wie hat dich dieser Sport in den letzten Jahrzehnten geprägt?

Durch den Tennis-Sport wirst du relativ schnell erwachsen. Du bist viel unterwegs, lernst andere Länder und Kulturen kennen und bist dadurch weltoffener. Du lernst notgedrungen Sprachen, weil du dich sonst auf der Tour nicht verständigen kannst. Ich glaube, dass auch eine Einzel-Sportart für die persönliche Entwicklung nicht schlecht ist. Du lernst, dich durchzusetzen. Du kannst dich nirgends verstecken und stehst alleine auf dem Platz. Du musst für deine Aktionen geradestehen.

Tennis als großer Lehrmeister

Melzer: Durch den Tennis-Sport wirst du relativ schnell erwachsen. Du bist viel unterwegs, lernst andere Länder und Kulturen kennen und bist dadurch weltoffener. Du lernst notgedrungen Sprachen, weil du dich sonst auf der Tour nicht verständigen kannst. Ich glaube, dass auch eine Einzel-Sportart für die persönliche Entwicklung nicht schlecht ist. Du lernst, dich durchzusetzen. Du kannst dich nirgends verstecken und stehst alleine auf dem Platz. Du musst für deine Aktionen geradestehen. Das ist definitiv etwas, was ich in den letzten 25 Jahren gelernt habe. Das wird mir hoffentlich auch für das restliche Leben helfen.

LAOLA1: Im Tennis lernt man mit Sicherheit auch, mit Niederlagen umzugehen. Schließlich reist mit Ausnahme von nur einem Spieler jeder andere jede Woche mit einer Niederlage wieder ab.

Melzer: Erfolg und Misserfolg passieren jede Woche im Tennis. Wenn du Glück hast, gewinnst du in einer Woche mehr Matches als du verlierst. Aber du musst natürlich auch lernen, jede Woche mit diesem einen Tiefschlag umzugehen. Das Schöne am Tennis ist aber auch, dass es immer eine nächste Woche gibt, in der du es besser machen kannst. Es ist nicht so wie beispielsweise in der Leichtathletik, wo du zwei Großereignisse im Jahr hast und wenn du an diesem einen Punkt nicht performst, ist eigentlich das Jahr vorbei. Im Tennis gibt es mit vier Grand-Slam- und neun ATP-1000-Turnieren jede Menge Gelegenheiten dich zu beweisen. Das ist auch das Schöne an diesem Sport.

LAOLA1: Wahrscheinlich war dir relativ früh in deiner Karriere klar, dass du einmal nicht der beste Spieler in deinem Jahrgang sein wirst. Wie war es, eigentlich fast deine gesamte Tennis-Karriere in der historischen Ära mit Roger Federer (Anm.: 81er Jahrgang wie Melzer), Rafael Nadal und Novak Djokovic zu bestreiten?

Melzer: Es war eine Ehre in dieser Big-Four-Ära zu spielen. Ich hatte auch noch das Glück, am Anfang meiner Karriere gegen Leute wie Andre Agassi oder Tim Henman spielen zu dürfen. Es ist ein Zeitpunkt, in dem es extrem viele gute Spieler gab. Alleine mein Jahrgang ist beeindruckend: Ich weiß nicht, wie viele Top-10-Spieler aus dem 81er Jahrgang hervorgegangen sind. Hewitt, Federer, Davydenko, Robredo, Lopez - das sind nur die Spieler, die mir auf die Schnelle einfallen. Bei den Junioren habe ich auch mit Nalbandian oder Coria gespielt. Im Endeffekt habe ich es auch in die Top 10 geschafft. Das ist sicher etwas, auf das ich für den Rest meines Lebens stolz sein werde. Am Anfang meiner Karriere hätte ich das in jedem Fall unterschrieben.

LAOLA1: Vor allem hast du ja alle „Big Three“ einmal schlagen können. Und als einziger Spieler bislang überhaupt gegen Novak Djokovic nach 0:2-Sätzen gewonnen – ein Thema, das immer wieder aufkommt.

Melzer: Ja, das ist natürlich schön, da immer wieder erwähnt zu werden. Vielleicht war dieses einzelne Match auch mein größter Einzel-Erfolg, aber auch die Siege gegen Federer, Nadal oder Agassi sind mir in guter Erinnerung. Da waren schon ein paar coole Matches in meiner Karriere dabei, wo ich auch gegen die Großen gewinnen konnte. Deshalb kann ich da eigentlich nur positiv zurückblicken.

LAOLA1: Wie ist dein persönlicher Zufriedenheits-Level nach deiner Karriere?

Klarerweise habe ich auch Fehler gemacht. Vielleicht habe ich auch ein paar Jahre zu spät verstanden, was es heißt, wirklich Profi zu sein. Ich glaube, dass ich erst mit 25, 26 Jahren richtig realisiert habe, was es bedeutet, alles dem Sport unterzuordnen. Ich habe wahrscheinlich vorher geglaubt, dass ich das auch mache. Mit dem Wissen von heute weiß ich aber, dass es besser gegangen wäre.

Kritische Selbstreflexion

Melzer: Hätte ich jetzt die Chance, alles noch mal zu machen, würde ich natürlich Dinge ändern. Zu den jeweiligen Zeitpunkten waren es für mich aber damals die richtigen Entscheidungen. Ich war sowohl im Einzel als auch im Doppel zur selben Zeit Top 10. Das sind schon Erfolge auf die ich sehr, sehr stolz zurückblicke. Klarerweise habe ich auch Fehler gemacht. Vielleicht habe ich auch ein paar Jahre zu spät verstanden, was es heißt, wirklich Profi zu sein. Ich glaube, dass ich erst mit 25, 26 Jahren richtig realisiert habe, was es bedeutet, alles dem Sport unterzuordnen. Ich habe wahrscheinlich vorher geglaubt, dass ich das auch mache. Mit dem Wissen von heute weiß ich aber, dass es besser gegangen wäre. Ich kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen. Ich bin froh, dass sich meine Karriere so entwickelt hat, wie sie sich entwickelt hat. Dieses Was-wäre-wenn ist jetzt aber auch nicht wirklich angebracht.

LAOLA1: Gibt es trotzdem irgendeinen Ratschlag den du jetzt dem Jürgen Melzer von vor 20 Jahren mit auf dem Weg geben würdest?

Melzer: Ja, eben, dass du nur eine gewisse Anzahl von Jahren in deiner Karriere hast und dass du jedes Training jeden Tag, den du zur Verfügung hast, nutzen solltest. Als Junger will man das glaube ich lange nicht so wahrhaben, wenn es aber dem Ende zugeht, denkst du drüber nach, dass du schon ein paar Tage bzw. ein paar Monate – wenn du alles zusammen zählst – liegen gelassen hast. Wenn man am Platz steht, sollte man die Zeit auch zu 100 Prozent nutzen. Das ist auch die Message, die ich den Jungen in meinem nächsten Job weitergeben will.

LAOLA1: Was wirst du nächstes Jahr am meisten vermissen?

Melzer: Die Freundschaften, die man über die Jahre geschlossen hat. Definitiv nicht fehlen wird mir das Reisen. Ich werde in meinem neuen Job immer noch einige Wochen unterwegs sein, aber keine 30 Wochen sondern nur mehr 15-18 Wochen. In erster Linie wird mir aber sicher die große ATP-Familie fehlen. Spieler, Trainer, Betreuer.

LAOLA1: Auf der einen Seite ist es natürlich schön, an der Spitze aufhören zu können, auf der anderen Seite denkt man sich aber wahrscheinlich auch, was nächstes Jahr noch hätte kommen können. Oder hat dich dieser Gedanke noch nicht geplagt?

Melzer: Natürlich ist dieser Gedanke da. Körperlich und vom Niveau könnte ich sicherlich noch ein Jahr spielen. Für mich war es aber wichtig, dass ich zu einem Zeitpunkt aufhöre, wo ich voll konkurrenzfähig bin. Das habe ich im Einzel geschafft und das gelingt mir jetzt im Doppel auch. Zudem habe ich die Familie daheim und jetzt einen Job, bei dem ich nicht weiß, ob der in zwei oder drei Jahren noch da wäre. Und dieser Job interessiert mich wirklich sehr und ich habe richtig große Lust darauf, ihn auszuüben. Deshalb ist jetzt einfach der richtige Zeitpunkt. Ich darf zudem auch noch die Australian Open spielen und da ich bis September sicherlich noch ein Ranking um die 50 haben werde, kann ich auch in Paris oder Wimbledon noch spielen, wenn ich Lust habe. Vielleicht wird der „Petzsche“ (Anm.: Ex-Doppel-Partner Philipp Petzschner) wieder fit und hat ein Protective Ranking. Wenn Starts in Paris oder Wimbledon meinen anderen Job nicht beeinträchtigen, werde ich das wahrscheinlich auch machen, wenn es sich irgendwie ausgeht. Vielleicht kann ich dann ja doch vor ein paar Zuschauern meine letzten Matches spielen. Wenn man meine Karriere Revue passieren lässt, ist Wimbledon ja doch ein sehr spezieller Ort für mich (Junioren-, Doppel- und Mixed-Titel) – deshalb wäre es nicht schlecht, wenn mein letztes Match dort stattfinden würde. Und was man auch nicht ganz auslassen darf: Sollte Alex Peya nächstes Jahr wieder fit sein und spielen können, hätten wir vier Doppel-Spieler für die Olympischen Spiele in Tokio. Das würde sich mit meinem Ranking auch noch ausgehen. Das sind so Sachen, die sich noch in meinem Hinterkopf abspielen. Eigentlich endet meine Karriere aber hoffentlich mit dem London-Finale.

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