Der Prophet im eigenen Land ist bekanntlich nichts wert.
Ein Umstand, den auch viele international erfolgreiche österreichische Sportler in der Vergangenheit anprangerten.
Während heimische Medien und Fans den eigenen Athleten nach Niederlagen und Rückschlägen oft mit harscher Kritik begegnen, würden dies Experten aus anderen Nationen oft deutlich differenzierter sehen.
Vor allem Dominic Thiem hatte in den vergangenen Jahren nach seiner schweren Handgelenksverletzung nicht immer die volle Rückendeckung von Journalisten und Anhängern.
Internationale Journalisten schätzen Thiem ein
Das Comeback gestaltete sich überraschend schwierig, von alten Leistungen war der mittlerweile 29-jährige Niederösterreicher teilweise oft weit entfernt.
LAOLA1 nahm dies deshalb zum Anlass, um sich im Vorfeld der French Open bei Tennis-Journalisten aus aller Welt umzuhören und hat diese um eine Einschätzung Dominic Thiem gebeten.
Wir haben dabei sowohl nach Thiems Chancen in Roland Garros gefragt, als auch nach dem Potenzial des ehemaligen Weltranglisten-Dritten in der Zukunft. Zudem wollen wir wissen, was für Thiem ohne der folgenschweren Verletzung drin gewesen wäre.
Ein, zwei Siege - aber keine zweite Woche in Paris
Der Aufwärtstrend der letzten Wochen blieb in jedem Fall auch der internationalen Tennis-Journaille nicht verborgen.
"Er spielt derzeit gutes Tennis, das haben wir zuletzt in Madrid gegen Tsitsipas gesehen", erinnert sich der Italiener Lorenzo Carini an den Drei-Satz-Krimi vor wenigen Wochen - Thiem musste sich damals nur knapp im Tiebreak des dritten Satzes geschlagen geben.
Trotzdem glaubt Carini nicht daran, dass er es in die zweite Woche schaffen wird. "Es wird schwierig für ihn werden, mehrere Matches in Folge zu gewinnen."
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Ähnlich sieht es der US-Journalist Michael Dickens, der unter anderem für "Tennis TourTalk" schreibt. "Mit der richtigen Auslosung hat Dominic Thiem durchaus eine gute Chance, ordentlich in Paris abzuschneiden. Ein paar Siege sind drin."
"Vielleicht kann er einen Top-Spieler fordern"
Auch der portugiesische TV-Kommentator Jose Morgado traut Thiem in Paris "ein gutes Turnier zu. Ein paar Siege sind auf jeden Fall drin. Vielleicht kann er sogar einen Top-Spieler fordern. Er braucht aber natürlich auch Glück bei der Auslosung."
Zumindest der Auftaktgegner fällt in Paris unter die Kategorie "machbar". Thiem bekommt es mit dem Argentinier Pedro Cachin zu tun. Danach könnte es zur Davis-Cup-Revanche gegen den Kroaten Borna Coric kommen.
Ein paar Siege wären aus Sicht Morgados in jedem Fall extrem wichtig für Thiem: "Er braucht vor allem mehr Selbstvertrauen. Ein paar gute Punkte und vor allem ein paar Siege würden da viel helfen. Ich hoffe, dass er wieder besser und stärker wird und bald wieder an die Spitze zurückkehren kann."
"Die Spitze ist noch weit weg"
Ob es wirklich wieder für absolute Spitze reichen wird, hält zumindest Carini für fraglich. "Derzeit ist die Spitze noch weit weg. Dafür muss er eine Menge Matches und auch Turniere gewinnen und er darf keine körperlichen Probleme bekommen."
"Realistischerweise kann er es auf jeden Fall wieder in die Top 50 schaffen", meint Carini, der nicht glaubt, dass es Thiem nach seinem Triumph bei den US Open 2020 noch einmal auf dieser Ebene zuschlagen kann.
"Dafür muss man zwei Wochen auf höchstem Level spielen. Alcaraz, Djokovic, Medvedev und Kollegen haben deutlich mehr Selbstvertrauen, um bei so einem Turnier reüssieren zu können."
"Trotz seiner Verletzung hat er jetzt schon eine unglaubliche Karriere hingelegt. Dafür kann man ihm nur dankbar sein!"
Etwas optimistischer gibt sich Dickens, der Thiem durchaus noch einmal zutrauen würde, es ganz nach oben zu schaffen.
"Thiem hat das Potenzial, es noch einmal in die Top 10 zu schaffen und ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen. Dafür muss er aber gesund bleiben und zu seiner alten Bestform finden, die ihn vor ein paar Jahren zu so einem großartigen Spieler hat werden lassen."
Noch größere Karriere durch Verletzung verhindert
Ohne Verletzung hätte Dickens den Niederösterreicher zumindest weiterhin in den Top 20 gesehen. "Vielleicht hätte er auch noch einen French-Open- oder US-Open-Titel gewonnen."
Morgado hätte Thiem sogar noch mehr zugetraut: "Ich glaube, dass Dominic ganz locker weiterhin in den Top 10 geblieben wäre und ohne seiner Verletzung weiterhin um große Titel mitgespielt hätte. Wir werden es allerdings niemals erfahren, ob es wirklich so gekommen wäre."
Dass es leider anders gekommen ist, bedauert vor allem Carini. "Meiner Meinung nach war Thiem einer der Spieler, die da schönste Tennis auf der ATP Tour gespielt haben. Ich mag sowohl seine Einstellung, als auch seine Art Tennis zu spielen. Er hat viele wichtige Turniere gewonnen und es in der Weltrangliste in die Top 3 geschafft", so Carini.
Der Italiener möchte angesichts der häufigen Kritik vor allem eines festhalten: "Trotz seiner Verletzung hat er jetzt schon eine unglaubliche Karriere hingelegt. Dafür kann man ihm nur dankbar sein!"