„Du bist so scheiß schlecht. Ich hoffe, dass du einen langsamen Tod stirbst, der aber scheiß schmerzhaft ist.“ „Das hast du verdient! Du HURE!“
Erschreckend. Und zwar erschreckend normal sind derartige Nachrichten für die meisten Tennis-Profis.
Die obigen Zeilen bekam die US-Amerikanerin Nicole Gibbs im vergangenen Jahr auf Twitter zugesendet.
Keine traurige Ausnahme, wie auch Österreichs Jürgen Melzer gegenüber LAOLA1 bestätigen kann.
„Es wird immer schlimmer. Wenn du ein Match verlierst, bekommst du manchmal Nachrichten, da kannst du nur den Kopf schütteln. Wer da aller in meiner Familie sterben soll…“, erzählt der mittlerweile abgebrühte 35-Jährige über seine eigenen Erfahrungen mit solchen Fällen.
Tennis-Verbände kämpfen gegen Hass-Nachrichten
Mit dem Aufstieg der sozialen Netzwerke häuften sich derartige Hass-Nachrichten in den letzten Jahren immer mehr. „Das betrifft vor allem Leute, die bei Sportwetten auf dich setzen und dann sauer sind, weil du nicht gewonnen hast“, erklärt Melzer weiter. „Da wird dir manchmal richtig schlecht.“
Eine Änderung erhofft sich der ehemalige Weltranglisten-Achte durch das Engagement der „Tennis Integrity Unit“ (TIU).
Diese in London angesiedelte Organisation wurde im Jahr 2008 eigentlich dazu gegründet, um der Korruption im Tennis den Kampf anzusagen. Sie wird von der ITF, der ATP, der WTA und den vier Grand-Slam-Turnieren finanziert. Das Jahres-Budget 2016 betrug etwa 2,4 Millionen US-Dollar.
Meistens steht die TIU im Mittelpunkt, wenn sie Fälle um Wettbetrug aufdeckt. Zudem engagiert sich die Organisation in der Prävention, indem sie junge Spieler über die Konsequenzen möglicher illegaler Aktivitäten aufklärt.
„Wollen den Spielern helfen“
Seit Neuestem versucht man sich nun aber auch dem neu entstandenen Phänomen des „Online-Missbrauchs“ („online abuse“) zu widmen. Schließlich geht es auch in diesen Fällen meist um Menschen, die aufgrund verlorenen Sportwetten die betreffenden Spieler bedrohen.
TIU-Sprecher Mark Harrison erklärt auf Nachfrage von LAOLA1: „Die TIU war immer schon dafür verantwortlich, dass wir den Spielern zur Seite stehen, falls sie über soziale Netzwerke zu illegalen Aktivitäten gedrängt werden sollten.“
„In den letzten Jahren ist es nun aber auch zu einer starken Zunahme von persönlichen Angriffen wie Beleidigungen oder Drohungen über diese Plattformen gekommen. Unsere Aufgabe ist es, dem Spieler zu helfen, damit umzugehen.“
Keys stellte Hass-Poster an den Pranger
Die Athleten selbst gehen unterschiedlich damit um. Manche verschweigen derartige Hass-Botschaften und versuchen sie so gut es geht zu ignorieren. Andere wagen den Gang an die Öffentlichkeit, um die Täter an den Pranger zu stellen.
US-Star Madison Keys will ihren prominenten Status beispielsweise nutzen, um auf diese Probleme aufmerksam zu machen.
Nach ihrer überraschenden Erstrunden-Niederlage in Tokio 2016 veröffentlichte sie die Profile der Twitter-User, die sie attackierten. Einige dieser Accounts wurden seitdem gesperrt.
„Die Leute wünschen dir und deiner Familie die schrecklichsten Dinge, weil sie auf Tennis-Spiele wetten“, sagte die 21-Jährige in einem CNN-Interview. „Ich glaube nicht, dass die Leute wissen, wie viele Todes-Drohungen wir aufgrund vieler Matches bekommen.“
Karriere-Ende wegen Cyberbullying
„Das passiert vielen Spielern und viele junge Leute lassen sich von den sozialen Netzwerken stark beeinflussen. Deshalb will ich mithelfen, diese Dinge ans Licht zu bringen, um derartige ungerechtfertigte Beleidigungen zu stoppen. Mich haben diese Nachrichten teilweise ziemlich fertig gemacht.“
Keys ist kein Einzelfall. Einige ihrer ehemaligen Kolleginnen zerbrachen bereits an diesen Hass-Tiraden.
Ich bin noch ziemlich am Boden, weil ich verloren habe. Aber immerhin habe ich auf Facebook und Twitter eine Tonne an Todes-Drohungen bekommen, damit ich mich wieder besser fühlen kann.
So beendete die Kanadierin Rebecca Marino im Jahr 2013 ihre Karriere mit nur 22 Jahren aufgrund mentaler Probleme. Die ehemalige Nummer 40 der Welt sah sich permanentem Cyberbullying ausgesetzt.
Nach außen recht locker trug Kevin Anderson im vergangenen Jahr die Attacken an seine Person an die Öffentlichkeit. In einem Tweet meinte er nach einer Niederlage: „Ich bin noch ziemlich am Boden, weil ich verloren habe. Aber immerhin habe ich auf Facebook und Twitter eine Tonne an Todes-Drohungen bekommen, damit ich mich wieder besser fühlen kann.“
Anonymität fördert Hass-Botschaften
Für Melzer ist einer der Hauptgründe für die steigende Zahl der Hass-Botschaften die Anonymität des Netzes. „Die Möglichkeit, sich anonym äußern zu können, öffnet für so etwas Tür und Tor“, meint der Deutsch-Wagramer.
Auch das kanadische Tennis-Sternchen Eugenie Bouchard sieht dies gegenüber CNN ähnlich: „Es ist einfach, sich hinter seinem Bildschirm zu verstecken und anonym zu agieren, um jemanden zu beschimpfen.“
Laut Melzer handelt sich es aber nicht ausschließlich um Fake-Profile. „Teilweise bekommst du über Facebook Nachrichten von 50-jährigen Familienvätern“, macht es für ihn die Sache noch unverständlicher, wenn es sich nicht um heißblütige Jungspunde sondern um ältere Menschen, die eigentlich schon über eine gewisse Reife verfügen müssten, handelt.
Wie viele derartiger Nachrichten täglich an verschiedene Tennis-Profis in aller Welt abgesendet werden, ist schwer abzuschätzen. Über eine genaue Zahl der Beschwerden wollte auch TIU-Sprecher Harrison keine Angaben machen.
„Hass-Botschaften sind gang und gäbe“
Fest steht aber, dass es eine riesige Menge sein muss. „Es ist gang und gäbe“, so Melzer. „Nach fast jedem Match, das du als Favorit verlierst, kannst du mit solchen Messages rechnen.“
Ganz extrem erwischte es beispielsweise Bouchard nachdem sie nach ihrem sensationellen Jahr 2014, als sie das Wimbledon-Finale erreichte und die Top 10 knackte, in der folgenden Saison in eine tiefe Formkrise stürzte. Danach sah sie sich mit hunderten hasserfüllten Nachrichten konfrontiert.
Alle Spieler seien aber dazu aufgefordert, im Falle der Fälle Screenshots der jeweiligen Nachrichten und eine sofortige Meldung bei der TIU zu machen. Dies sei sowohl über eine eigene App als auch über einen vertraulichen Mail-Verkehr möglich. „24 Stunden am Tag, 7 Tage in der Woche“, wie Harrison betont.
Strafverfolgung ist extrem schwierig und kompliziert
Doch was passiert dann überhaupt mit den aufgenommenen Meldungen? In extremen Fällen informiert die TIU die jeweiligen Strafverfolgungsbehörden, die in Folge ermitteln sollen, ob eine kriminelle Straftat vorliegt.
Ein komplizierter Prozess, der nur in Ausnahmefällen zu einem zählbaren Erfolg führt, wie LAOLA1-Rechtsexpertin Christina Toth erklärt: „Die Rechtslage ist diesbezüglich noch sehr unklar. Gerade bei internationalen Plattformen wie Facebook, ist nämlich die Zuständigkeit (also welches Gericht, welchen Landes im Falle von strafrechtlichen Anklagen überhaupt zuständig ist) nicht klar definiert.“
In Österreich kommen bei derartigen Fällen verschiedene strafrechtliche Delikte in Frage:
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Üble Nachrede: Wer einen anderen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung zeiht oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt (im Internet: Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe bis 720 Tagessätze).
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Beleidigung: Wer öffentlich oder vor mehreren Leuten einen anderen beschimpft, verspottet, am Körper misshandelt oder mit einer körperlichen Misshandlung bedroht (Freiheitsstrafe bis zu 3 Monaten oder Geldstrafe bis 180 Tagessätze).
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Gefährliche Drohung: Wer einen anderen gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen (Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe bis 720 Tagessätze).
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Cybermobbing: Wer im Wege einer Telekommunikation oder unter Verwendung eines Computersystems in einer Weise, die geeignet ist, eine Person in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch (1) eine Person für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar an der Ehre verletzt oder (2) Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches einer Person ohne deren Zustimmung für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar macht (Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe bis 720 Tagessätze).
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Verleumdung: Wer einen anderen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aussetzt, dass er ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung oder der Verletzung einer Amts- oder Standespflicht falsch verdächtigt, ist, wenn er weiß (§ 5 Abs. 3), dass die Verdächtigung falsch ist (Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe bis 720 Tagessätze).
Opfer muss Täter selbst ausfindig machen
Üble Nachrede und Beleidigung sind Privatanklagedelikte und müssen vom Verletzten selbst vor Gericht gebracht werden. Dafür müsste der Täter aber zuerst einmal selbst ausfindig gemacht werden, was bei Angriffen aus der ganzen Welt eine dementsprechend schwierige Aufgabe darstellt.
„Zudem muss im Heimatland dieser Person Anklage gestellt werden. Und in diesen Ländern werden die Strafgesetze nicht immer mit den österreichischen übereinstimmen. Das ist alles sehr mühsam und aufwändig. Wegen ein paar Beleidigungen wird man sich das nicht antun“, erklärt die Sportanwältin.
„Nicht jede Morddrohung ist strafrechtlich relevant“
Etwas realistischer ist eine strafrechtliche Verfolgung bei einem Offizialdelikt wie der gefährlichen Drohung. Diese werden von der Staatsanwaltschaft aufgegriffen und verfolgt.
„Aber auch hier kommt es darauf an, wo der Täter beheimatet ist“, so Toth. „Eine Strafverfolgung innerhalb der EU ist naturgemäß einfacher als im restlichen Ausland. Bei der gefährlichen Drohung kommt hinzu, dass nicht jede Morddrohung strafrechtlich relevant ist. Es muss objektiv der Eindruck entstehen, dass es der Poster ernst meint und seine Drohung wahr machen wird.“
Unter dem Strich steht für die Expertin fest: „Es gibt zwar rechtliche Möglichkeiten, gegen Hassposter im Netz vorzugehen, im Grunde ist das für die Opfer aber nur mit großem Aufwand empfunden – vor allem wenn der Täter nicht aus Österreich kommt.“
Twitter und Co. haben noch Nachholbedarf
Aus eben diesem Grund bemüht sich nun die TIU, diese Problematik in den Griff zu bekommen. Auch bei Angriffen von geringerer Bedeutung versucht sie, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. So nimmt die TIU Kontakt mit den verschiedenen sozialen Netzwerken auf, um die jeweiligen User-Profile sperren zu lassen.
Ein Weg, der freilich nicht immer bzw. nur selten zum Erfolg führt. So beschwerte sich Keys nach ihrer Aktion im vergangenen Jahr, dass die Antwort der sozialen Medien meist „lächerlich“ sei. „Die Hälfte meiner Beschwerden an Twitter wird ignoriert. Oder die gesperrten User eröffnen einfach einen neuen Account.“
Twitter ist sich des Problems bewusst und gelobte im November in einer Aussendung Besserung. So hat man beispielsweise die Prozesse optimiert, um schneller die auffälligen User ausfindig machen zu können und in Folge dauerhaft zu sperren.
„Wir erwarten uns aber nicht, dass diese Fälle von heute auf morgen nicht mehr passieren. Es gibt keine schnelle Lösung dafür. Wir stehen aber dafür ein, dass wir Twitter weiter verbessern werden, indem wir aufmerksam beobachten und lernen“, geben sich die Verantwortlichen unverbindlich.
Athleten müssen das Beste daraus machen
Bis zu einer endgültigen Lösung des Problems, bleibt den Athleten nichts anderes übrig, als das Beste aus ihrer schwierigen Situation zu machen. So will Bouchard die negative in positive Energie umwandeln: „Jeder hat Hater, ich versuche es als Motivation zu sehen. Ich will es ihnen beweisen.“
Die große Mehrheit bemüht sich, die Angriffe zu ignorieren bzw. erst gar nicht an sich rankommen zu lassen. Der Australier Sam Groth übergab beispielsweise laut „Australia Weekend“ seine Social-Media-Accounts seinem Manager, da sogar seine Freundin und seine Familie Drohungen erhalten haben.
Melzer versucht die Situation ebenso emotionslos zu akzeptieren: „Als Sportler kannst du nur versuchen, dein Bestes zu geben, damit du dich selbst in den Spiegel schauen kannst. Was die anderen von sich geben, muss dir egal sein. Wobei ich das Argument nicht nachvollziehen kann, wenn gesagt wird, dass man sich ruhig beschimpfen lassen kann, weil man ja eh so viel Geld verdient", will der Österreicher sein Einkommen nicht als "Schmerzensgeld" tituliert sehen.
Attacken werfen dunkle Schatten auf den Sport
Auf den Sport bzw. dessen Fans werfen diese Zustände in jedem Fall kein gutes Licht. Die „Ignore-Funktion“ kann am Ende des Tages eigentlich nur für die Athleten eine ernsthafte Option sein, um sich nicht von ihrem Job und ihren Aufgaben ablenken zu lassen.
Ansonsten sollte sich jeder selbst einmal an der Nase nehmen und Selbstreflexion betreiben, wie bei unerwarteten Ergebnissen und dadurch eventuell verlorenen Wetten mit den eigenen Emotionen wie Wut und Enttäuschung umgegangen wird.
Keine andere Person und schon gar nicht der betreffende Sportler haben die Aufgabe, für diesen aufgestauten Zorn als Katalysator herzuhalten. Weder beim „persönlichen Kontakt“ im Stadion noch in den sozialen Netzwerken.
Denn nur wenn sich der Umgangston im normalen Alltag ändert, wird er sich auch im Netz ändern. Diesem Umstand sollten wir uns alle bewusst sein.
Anmerkung: Bei den im Artikel eingebauten Hass-Nachrichten handelt es sich um Original-Screenshots.