So schnell kann es im Tennis gehen: Noch zu Saisonbeginn herrschte große Skepsis um die weitere Entwicklung von Carlos Alcaraz.
Nach seinem vorjährigen Wimbledon-Triumph wollte es für den jungen Spanier, der schon mit 19 Jahren die Weltranglisten-Spitze erklomm, nach zwei Grand-Slam-Titeln einfach nicht mehr nach Wunsch laufen.
Durchwachsene Ergebnisse, eine Fußverletzung zu Saisonende und eine Knöchelblessur zu Jahresbeginn ließen bei seinen Fans Sorgenfalten aufkommen.
Acht Monate lang konnte Alcaraz kein Turnier auf der ATP-Tour gewinnen. Erst beim 1000er in Indian Wells ging die für einen Top-Star seiner Kategorie ungewohnt lange Durststrecke zu Ende. Die Erwartungen in die Sandplatz-Saison waren zwar hoch, aufgrund von Problemen mit dem Ellbogen verlief aber auch die Vorbereitung auf die French Open durchwachsen.
Dementsprechend doch etwas überraschend kürte sich der Schützling von Juan Carlos Ferrero in Roland Garros mit beeindruckenden Siegen über Stefanos Tsitsipas, Jannik Sinner und Alex Zverev erstmals zum Turniersieger, womit er endgültig in die Fußstapfen seines großen Landsmanns und Sandplatzkönig Rafael Nadal treten konnte.
Service-Umstellung brachte Rückkehr zu alter Stärke
Die Rückkehr zu alter Stärke war jedoch nicht nur rein auf die mittlerweile auskurierten Verletzungen zurückzuführen. Alcaraz verbesserte vielmehr seine wohl bislang größte Schwäche in seinem sonst beinahe makellosen Spiel: den Aufschlag!
Noch zu Jahresbeginn kritisierte beispielsweise der ehemalige Weltranglisten-Erste Andy Roddick, der selbst für sein Service gefürchtet war, in einem Interview mit dem "TennisChannel": "Ich denke, sein Aufschlag lässt noch zu wünschen übrig. Das ist der Punkt, in dem er sich in den letzten zwei Jahren nicht wirklich stark verbessert hat." Der US-Amerikaner kritisierte, dass Alcaraz weder eine gute Geschwindigkeit noch einen unangenehmen Kick habe.
"Das ist definitiv der Part in seinem Spiel, den er schleunigst verbessern muss, um wieder ganz vorne dabei zu sein."
Coach Juan Carlos Ferrero erkannte dieses Problem ebenfalls und begann vor der europäischen Sandplatz-Saison im Frühjahr mit seinem Schützling an einer Umstellung. Spätestens seit Paris scheint sich diese nun bezahlt zu machen. Denn schon bei den French Open war eine signifikante Verbesserung zu erkennen.
Höhere Geschwindigkeiten beim Aufschlag
Während der Aufschlag auf Sand allerdings nicht so spielentscheidend war, sieht es auf dem Rasen des All England Clubs nun gänzlich anders war. In Wimbledon ist nun auch das Service eine richtige Waffe im Spiel des jungen Spaniers.
Durchschnittsgeschwindigkeiten im Bereich von 190 km/h und Höchstgeschwindigkeiten von 220 km/h sind keine Seltenheit mehr bei Alcaraz, der in London heuer auch regelmäßig Asse im zweistelligen Bereich serviert.
"Der Aufschlag ist sicherlich etwas, das ich stark verbessern konnte", bestätigt Alcaraz. "Der stand auf meiner To-Do-Liste schon in den letzten Jahren ganz oben. Es war mir wichtig, dass ich nun auch in schwierigen Momenten auf meinen Aufschlag vertrauen und ich damit Punkte machen kann."
"Der Aufschlag hat mir viele Schwierigkeiten erspart"
In Wimbledon habe es in der ersten Runde zwar noch nicht nach Wunsch funktioniert, mit Fortdauer des Turniers sei es jetzt aber immer besser geworden. "Vor allem in den Schlüsselmomenten hat der Aufschlag jetzt immer gut funktioniert. Der Aufschlag kann mir viele Schwierigkeiten ersparen. Vor allem auf Rasen ist er noch wichtiger als auf anderen Belägen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass wir ihn verbessern konnten und wir werden sicherlich noch weiter daran arbeiten."
Der Hauptunterschied zur alten Aufschlagbewegung besteht darin, dass Alcaraz beim Zurückziehen des Schlägers nur mehr eine Pause anstelle von zwei macht. Dadurch habe sich der Rhythmus des Spaniers bei der Ballannahme verbessert.
Wer es ganz genau wissen möchte, kann sich dieses sehr informative Video zur veränderten Aufschlagbewegung von Alcaraz ansehen (Artikel geht danach weiter):
Nach anfänglichen Umstellungsschwierigkeiten, die bei so einem Eingriff völlig normal sind, kam Alcaraz spätestens in Paris immer besser in Schwung, was schließlich mit dem Triumph bei den French Open seine Krönung fand.
Alcaraz in Wimbledon mit breiter Brust
Mit dem wiedererstarkten Selbstvertrauen spielt der mittlerweile dreifache Grand-Slam-Sieger nun auch wieder im All England Club groß auf. Bei seinen knappen Siegen über Frances Tiafoe und Ugo Humbert zeichnete ihn zwar noch etwas mehr Kampf als spielerische Finesse aus, was Alcaraz im Viertelfinale gegen Tommy Paul ablieferte, war hingegen schon richtig bemerkenswert (Spielbericht>>>).
Vor allem der erste Satz war an mitreißendem Tennis kaum zu überbieten. Auch wenn dieser nach 1 Stunde und 12 Minuten mit 7:5 knapp an den US-Amerikanern ging, sollte das die Vorstellung von Alcaraz nicht in den Schatten stellen. Manche englischen Medien sprachen sogar vom "besten gespielten Satz" in dieser Saison auf der ATP-Tour. Alleine die ersten sechs gespielten Games dauerten 40 Minuten.
"Als ich den ersten Satz verloren habe, war es richtig schwierig für mich. Ich wusste, dass mir jetzt noch eine lange Reise bevorstehen würde", meinte Alcaraz nach der Partie. Mittlerweile habe der Spanier aber ein gewisses Grundvertrauen in sich selbst, das ihm auch in diesen schwierigen Momenten helfen würde.
"Wenn ich Probleme habe und mein Gegner großartiges Tennis spielt, dann glaube ich immer noch daran, dass ich zurückkommen und die richtigen Lösungen finden kann. Ich glaube die ganze Zeit an mich", verrät der Youngster sein Erfolgsrezept.
Alcaraz kann Geschichte schreiben
Während bei Paul nach diesem ersten Satz etwas die Luft draußen war, konnte Alcaraz das hohe Level halten, wodurch der Spanier nun nur mehr zwei Siege von seiner erfolgreichen Titelverteidigung entfernt ist.
Womit der Spanier ein kleines Stück Geschichte schreiben könnte. Er könnte als erst sechster Spieler der Geschichte Back-to-Back-Siege in Roland Garros und Wimbledon feiern. Dieses Kunststück – den sogenannten "Channel Slam" - vollbrachten bislang nur Rod Laver, Björn Borg, Rafael Nadal, Roger Federer und Novak Djokovic.
Die erste der beiden noch ausstehenden Hürden auf dem Weg zum historischen Titel heißt am Freitag Daniil Medvedev (ab 13 Uhr im LIVE-Ticker). Im Head-to-Head liegt Alcaraz zwar relativ deutlich mit 4:2 in Front. Auf Grand-Slam-Ebene hat allerdings Medvedev mit 2:1 die Nase vorne.
So gewann er nicht nur das letzte Major-Aufeinandertreffen im US-Open-Halbfinale 2023, sondern auch schon 2021 auf dem Rasen von Wimbledon. Im Vorjahr hatte in Wimbledon allerdings im Halbfinale Alcaraz das bessere Ende für sich. Beide Spieler wissen also, was sie am Donnerstag voneinander zu erwarten haben.
Alcaraz vergleicht Medvedev mit einer "Wand"
Alcaraz: "Was es besonders schwierig gegen Daniil macht, ist es, dass er einfach jeden Ball erreichen kann. Das macht ihn wirklich zu etwas Besonderem. Er ist wie eine Wand. Jeder Ball springt von ihm zurück. Wenn ich gegen ihn spiele, habe ich oft das Gefühl, dass der Ball selbst dann wieder zurückkommt, wenn ich ihn eh schon unglaublich gut treffe."
Diesen Spielern gelang der Sprung zur ATP-Nummer 1
Der Respekt ist aber auch auf der Gegenseite groß. Medvedev sagte über Alcaraz, dass der Spanier auf jeder Position des Platzes eine unglaubliche Gefahr ausstrahlen würde und von überall zum Punktgewinn kommen könnte.
"Das freut mich natürlich, dass meine Gegner so über mich denken. Denn das bedeutet, dass sie sich bei jedem Schlag von mir voll fokussieren müssen."
Medvedev beeindruckte gegen Sinner
Medvedev: "Er kann mit jedem seiner Schläger einen Winner erzielen. Das macht dir das Leben richtig schwierig. Deshalb muss man selbst die Bälle so gut wie möglich treffen. Es gibt nicht viele Spieler auf der Tour wie ihn. Carlos kann von jeder Position aus alles machen. Das macht es nicht leicht, gegen ihn zu spielen."
Freilich ist auch der Russe derzeit in beeindruckender Form unterwegs: Im Viertelfinale beendete er gegen den Weltranglisten-Ersten Jannik Sinner seine davor fünf Spiele andauernde Niederlagen-Serie.
Alcaraz ist also gewarnt: "Er ist ein großartiger Spieler und wir haben jetzt wieder die gleiche Partie wie vor einem Jahr - hoffentlich mit dem gleichen Ergebnis. Er hat gerade Jannik Sinner geschlagen, den aktuell besten Spieler der Welt. Ich weiß also, dass Daniil derzeit in einer hervorragenden Verfassung ist. Ich muss mein bestes Tennis aufbieten und an mich glauben. Auch wenn es nicht so läuft, muss ich dran bleiben. Es wird aber schwierig, aber ich werde es genießen!"