Das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon findet in diesem Jahr unter besonderen Umständen statt.
Nachdem die Veranstalter bekanntgaben, dass aufgrund des russischen Angriffkriegs gegen die Ukraine sowohl Russland als auch Weißrussland von der 2022er-Auflage ausgeschlossen werden, reagierten die ATP und die WTA damit, dass sie deshalb heuer keine Weltranglistenpunkte für das Traditions-Event vergeben werden.
Auch deshalb ist eine Prognose schwieriger abzugeben als im Normalfall. Hinzu kommen verletzte und angeschlagene Stars, Newcomer wie Carlos Alcaraz, die zum ersten Mal im Rasen-Mekka ihr Glück versuchen und eine etwas unter dem Radar verlaufende Entwicklung eines auf Sandplätzen aufgewachsenen Italieners zum künftigen Rasen-Star.
Bei den Damen stehen hingegen US-Superstar Serena Williams, die nach einem Jahr Pause mit 40 Jahren ein bemerkenswertes Comeback wagt, und Serien-Siegerin Iga Siwatek im Mittelpunkt.
Wir haben fünf Fragen für Wimbledon 2022, auf deren Antworten wir in den kommenden zwei Wochen mehr als gespannt sind.
Hält die Serie der „Big Four“?
Die Herren-Siegerliste in Wimbledon liest sich seit mittlerweile zwei Jahrzehnten recht eintönig. Seit dem Erfolg von Lleyton Hewitt im Tennis-Mekka im Jahr 2002 hieß der Wimbledon-Sieger entweder Roger Federer, Novak Djokovic, Rafael Nadal oder Andy Murray.
Mit Ausnahme von Federer sind die drei anderen Akteure auch heuer wieder mit von der Partie. Wobei es vor allem Murray schwer haben wird, nach seinen verletzungsbedingten Problemen der letzten Jahre ernsthaft um den Titel mitspielen zu können.
Auch Paris-Sieger Nadal kommt nach seiner Fußverletzung angeschlagen in den "All England Club". Alleine schon aufgrund des Ausschlussprinzips nimmt somit Djokovic die Rolle des Top-Favoriten ein. Der Serbe gewann zudem die letzten drei Auflagen in Wimbledon.
Gibt’s gefährliche Außenseiter-Tipps?
Im Vorjahr stand Matteo Berrettini noch recht überraschend im Finale und verlor dort nach dem Gewinn des ersten Satzes auch gegen Djokovic. Doch der mittlerweile 26-jährige Italiener hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der besten Rasen-Spieler der Welt entwickelt.
Die Vorjahres-Niederlage gegen Djokovic war seine einzige Rasen-Niederlage seit seinem Achtelfinal-Aus in Wimbledon 2019 gegen Roger Federer. Heuer gewann Berrettini die Vorbereitungs-Turniere in Stuttgart und im Queen’s Club. Da Daniil Medvedev als Russe nicht antreten darf, ist das Feld an möglichen weiteren Sieges-Anwärtern dünn gesät.
Stefanos Tsitsipas lief im Rasen-Mekka noch nie richtig heiß, Carlos Alcaraz bestritt auf Tour-Level überhaupt erst zwei Rasen-Partien – das Spiel des Spaniers ist zudem nicht unbedingt für diesen Belag zugeschnitten. Ähnliches trifft auf Paris-Finalist Casper Ruud zu. Gefährlich könnten der Pole Hubert Hurkacz und Kanadas Felix Auger-Aliassime werden.
Liefern Kyrgios/Kokkinakis wieder eine Mega-Show ab?
Bei den Australian Open sorgten Nick Kyrgios und Thanasi Kokkinakis für einen der spektakulärsten Erfolgsläufe der vergangenen Jahre. Völlig überraschend holten sich die beiden Australier den Doppel-Titel bei ihrem Heimturnier. Das extrovertierte Duo sorgte mit seinem unorthodoxen Auftreten für Begeisterungsstürme bei den Fans und auch etwas missmutige Kommentare von manchem Gegner.
Man kann zu den beiden Herren stehen wie man will: Fakt ist, dass das Duo die Tennis-Welt erheblich bunter macht und einen hohen Unterhaltungsfaktor bietet. Dementsprechend groß war die Freude, als die beiden ankündigten, auch in Wimbledon gemeinsam an den Start zu gehen.
"Wir zögerten ein bisschen, weil hier über fünf Sätze gespielt wird. Wir schauen einfach von Spiel zu Spiel und wollen Spaß haben und die gemeinsame Zeit genießen", gibt sich Kokkinakis noch zurückhaltend. Auf Rasen fühlen sich die beiden Australier allerdings sehr wohl und so wird auch im All England Club mit ihnen zu rechnen sein.
An Selbstvertrauen mangelt es zudem Kyrgios wie gewohnt gewiss nicht: Erst im Mai bezeichnete er sich in einem Interview als "besten Rasen-Spieler der ganzen Welt". 2014 stand Kyrgios im Einzel schon einmal im Viertelfinale. Wie gewohnt muss man bei ihm aber sowieso mit allem rechnen.
Kann Serena Williams Geschichte schreiben?
Nach einem Jahr Pause versucht es Serena Williams noch einmal, ihren langersehnten 24. Grand-Slam-Titel im Einzel einzufahren, womit sie den Allzeit-Rekord von Margaret Court egalisieren könnte.
Ob die mittlerweile 40-jährige US-Amerikanerin konkurrenzfähig sein wird, wird sich in den kommenden Tagen weisen. Als Vorbereitung bestritt sie in Eastbourne nur zwei Doppel-Partien, ehe Partnerin Ons Jabeur wegen einer Knieverletzung vor dem dritten Match aufgeben musste.
Die auf Rasen kürzeren Ballwechsel sollten Williams entgegenkommen. Immerhin sieben Mal konnte die Ausnahme-Spielerin mit ihrem Power-Tennis im Rasen-Mekka schon den Titel einhamstern. Die Auslosung meinte es gut mit der ungesetzten US-Amerikanerin, die zum Auftakt auf die Weltranglisten-113. Harmony Tan (FRA) trifft.
In Runde drei könnte es zum Duell mit Vorjahres-Finalistin Karolina Pliskova kommen.
Setzt Iga Swiatek ihre Serie fort?
Nach dem überraschenden Rücktritt der Australierin Ashleigh Barty hat die WTA-Tour eine alles überstrahlende Dominatorin: Seit Februar ist Iga Swiatek bereits ungeschlagen. Der Finalsieg bei den French Open über US-Girl Coco Gauff war der bereits 35. Erfolg hintereinander, womit sie die bislang längste Siegesserie dieses Jahrhunderts von Venus Williams egalisierte.
Seitdem pausierte die 21-jährige Polin, die somit kein einziges Vorbereitungsturnier vor Wimbledon bestritt. Im Vorjahr verlor Swiatek im Achtelfinale gegen die Tunesierin Ons Jabeur. Dass sie auch auf Rasen um Titel spielen kann, bewies sie bereits im All England Club, als sie vor vier Jahren den Junioren-Bewerb für sich entscheiden konnte.
"Im letzten Jahr hatte ich noch nicht soviele Möglichkeiten, Lösungen gegen meine Gegner zu finden. Das ist heuer anders", geht Swiatek selbstbewusst ins Turnier.
Auch die Fachwelt sieht die aktuelle Nummer eins der Welt als Top-Favoritin. "Sie ist extrem talentiert. Mit ihrem explosiven Spiel und ihren taktischen Stärken wird sie auch in Wimbledon nur schwer zu schlagen sein", ist sich BBC-Expertin Annabel Croft sicher. "In ihren Schlägen ist viel Gewicht, als ob Zement in die Bälle reingemischt werden würde. Die anderen Spieler haben viel Respekt vor ihr.“