Das Rasentennis hatte bei Österreichs Tennis-Herren lange Zeit einen schweren Stand.
Schließlich galt Sandplatz-König Thomas Muster, der hierzulande in den 90ern für den ersten großen Tennis-Boom sorgte, nicht gerade als Freund des traditionsreichen Untergrunds.
"Gras ist etwas für Kühe" lautete sein mittlerweile legendärer Kommentar, als er auf seine hartnäckige Abneigung zum Rasentennis angesprochen wurde.
Muster ist der einzige Weltranglisten-Erste der Tennis-Geschichte, der keinen einzigen Sieg im berühmten All England Club von Wimbledon feiern konnte. Wohl ein Rekord für die Ewigkeit.
Melzer startet österreichische Rasen-Ära
Doch die schwierige Beziehung von Österreichs Tennis-Herren zum Rasentennis besserte sich kurz nach der Muster-Ära. Jürgen Melzer gewann noch in den 90ern im Jahr 1999 den Wimbledon-Junioren-Bewerb im Einzel und ließ im späteren Karriereverlauf noch einen Doppel- (2010 mit Philipp Petzschner) und einen Mixed-Titel (2011 mit Iveta Benesova) folgen.
Auch Alexander Peya triumphierte 2018 mit der US-Amerikanerin Nicole Melichar im Mixed-Bewerb im All England Club.
Ein Jahr davor, 2017, lief es auch im Einzel hervorragend aus ÖTV-Sicht. Dominic Thiem scheiterte erst im Achtelfinale hauchdünn in fünf Sätzen an Tomas Berdych, der danach von einer Aufgabe von Novak Djokovic profierte.
Zudem sorgte ein steirischer Qualifikant für internationale Furore. Der damals 21-jährige Sebastian Ofner zwang in der zweiten Runde den damals an 17 gesetzten US-Amerikaner Jack Sock in fünf Sätzen in die Knie und musste sich erst in Runde drei Alex Zverev geschlagen geben.
Melzer-Lob für starke Ofner-Entwicklung
Sechs Jahre später ist Ofner wahrscheinlich die nun größte heimische Hoffnung im All England Club. Dem ehrgeizigen Steirer, der in der Vergangenheit meist zwischen den Top 100 und Top 200 pendelte, gelang heuer endlich der erhoffte Durchbruch in die Top 100.
Bei den French Open stürmte er aus der Qualifikation heraus dank Siege über Maxime Cressy, Sebastian Korda und Fabio Fognini sensationell bis ins Achtelfinale, wo gegen Stefanos Tsitsipas Endstation war.
Aber schon in den Monaten davor lieferte der Schützling von Trainer Wolfgang Thiem, der auf der Tour meist von Touring-Coach Stefan Rettl begleitet wird, mit mittlerweile fünf Final-Einzügen auf der Challenger-Tour konstant gute Leistungen ab.
"Ich find’s toll, was er da abgeliefert hat in der bisherigen Saison", freut sich auch ÖTV-Sportdirektor Jürgen Melzer im Gespräch mit LAOLA1 über die starke Entwicklung Ofners, der seinen Aufwärtstrend auch mit dem Start in die Rasen-Saison bestätigte und in dieser Woche beim Challenger in Ilkley sein bereits fünftes Challenger-Finale in diesem Jahr erreichte. Dadurch wird er sich im ATP-Ranking am Montag erstmals in die Top 70, in etwa auf Rang 69, verbessern.
"Er spielt schon das ganze Jahr konstant auf einem hohen Niveau. Das Achtelfinale bei den French Open aus der Qualifikation heraus kommt nicht von ungefähr – das ist harte Arbeit. Es ist schön zu sehen, dass sich die auch auszahlt", so Melzer weiter.
Geht es nach dem ehemaligen Weltranglisten-Achten, kann es für Ofner in den kommenden Monaten noch deutlich weiter nach oben gehen.
"Ofi kann sich noch weiter nach vorne spielen"
Nur 131 seiner 701 Weltranglisten-Punkte datieren aus dem Vorjahr. In der zweiten Saisonhälfte kann Ofner also voll punkten.
"Da ist bei weitem noch nicht der Plafond erreicht. Er kann sich noch weiter vorspielen im Ranking", so Melzer, der den Hauptgrund für den Aufstieg vor allem in der größeren Konstanz sieht. "Sebastian spielt kontant gutes Tennis. Das ist der Unterschied zu früheren Jahren. Da hatte er immer wieder nur drei, vier gute Wochen, jetzt spielt er es konstant durch."
Was Ofner für Melzer auszeichnet? "Ofi hat einen super Aufschlag und er bewegt sich gut für seine Größe. Er hat eine unglaublich gute Rückhand, spielt sehr solide und er hat vor allem die Vorhand stabilisiert. Dadurch ist er für jeden Gegner unangenehm zu spielen. Er macht wenig Fehler, ist sehr konstant und hat auch seine Waffen. Das ist das, was du im Tennis heutzutage brauchst."
Wenige Tage vor Start der Qualifikation ereilen den Steirer zudem gute Nachrichten: Er wird von den Veranstaltern nämlich mit einer Wildcard für den Einzel-Hauptbewerb ausgestattet.
Ist für Wimbledon nun alles angerichtet?
"Rasen ist definitiv ein Belag, auf dem er gut spielen kann", so Melzer, der diesem Umstand aber gar nicht zuviel Bedeutung beimessen will. "Mit dem aktuellen Selbstvertrauen ist er auf allen Belägen gefährlich. Da ist es fast egal, auf welchem Untergrund er spielt. Bei Challengern ist er fast immer Turnierfavorit und auch bei den 250ern gehört er jetzt zu den Leuten, die dort ein paar Matches gewinnen können."
Melzer traut auch Rodionov einiges zu
Melzer traut aber auch Jurij Rodionov einiges in Wimbledon zu. Der 24-jährige Niederösterreicher bewies bereits in der Vergangenheit, dass er sich auf Rasen wohlfühlt. So erreichte der Junioren-Wimbledon-Viertelfinalist von 2017 im Jahr 2021 das Halbfinale beim ATP-Turnier in Stuttgart.
Zudem überzeugte Rodionov gleich beim Start in die Rasen-Saison, als er sich beim Challenger in Surbiton erst im Endspiel keinem Geringeren als Superstar Andy Murray geschlagen geben musste.
Kurz danach zog sich der Weltranglisten-116. eine laut eigenen Aussagen "leichte Verkühlung" zu. Angeschlagen verlor Rodionov in Ilkley knapp in der ersten Runde gegen den Belgier Zizou Bergs.
"Jurij hat in Wimbledon-Quali alle Möglichkeiten"
"Jurij hat einen super Start hingelegt, ist dann leider ein bisschen krank geworden. Ich glaube trotzdem, dass er mit viel Selbstvertrauen in die Wimbledon-Qualifikation gehen wird", ist Melzer überzeugt.
"Er hat dort alle Möglichkeiten. Da spielt er natürlich nicht alleine – da sind auch 127 andere Spieler in der Quali drin. Und da sind auch einige super Rasenspieler dabei – das ist schon zach, sich dort durchzusetzen. Er hat aber das Selbstvertrauen und ich hoffe, dass er sich zumindest qualifiziert. Beim Jurij wär da aber auch mehr drinnen."
Gemeinsam mit Dominic Thiem, der in seiner Karriere sogar schon mal einen ATP-Titel auf Rasen (Stuttgart 2016) feiern konnte, Dennis Novak, der im Vorjahr in der zweiten Runde des Hauptbewerbs stand und heuer wie Rodionov durch die Qualifikation muss, und dem heimischen Vorzeige-Doppel Alex Erler/Lucas Miedler dürfen sich Österreichs Tennis-Herren in Wimbledon also durchaus den einen oder anderen Achtungserfolg ausrechnen.
Gras ist eben doch nicht nur für Kühe.