Wimbledon 2022 sorgte schon Wochen vor dem Turnierstart für massig Diskussionsstoff.
Durch das von den Veranstaltern ausgeteilte Spielverbot für russische und weißrussische Spieler aufgrund des aktuellen Ukraine-Kriegs entschieden sich ATP und WTA dazu als Reaktion darauf, keine Weltranglistenpunkte für die diesjährige Auflage zu vergeben.
Eine mehr als umstrittene Entscheidung, die auch von vielen Athleten nicht positiv aufgenommen worden ist. Die politische Diskussion ausgenommen, sieht ÖTV-Sportdirektor Jürgen Melzer aber keinen Grund, warum sich dieser Streit negativ auf das traditionsreiche Grand-Slam-Turnier auswirken sollte.
"Sieg ist heuer nicht weniger wert"
"Weltranglistenpunkte hin oder her. Jeder will einmal Wimbledonsieger werden, deshalb glaube ich nicht, dass der Sieg heuer weniger wert ist als in den Jahren davor", sagt der ehemalige Weltranglisten-Achte im Gespräch mit LAOLA1.
"Es spielen auch alle mit, die mitspielen können und nicht verletzt sind. Dementsprechend erwarte ich mir auch ein super Turnier mit den üblichen Verdächtigen als Favoriten auf den Titel."
In Abwesenheit von Roger Federer, der nach seiner Knie-Operation erst im Herbst wieder auf die ATP-Tour zurückkehren will, sind dies natürlich Titelverteidiger Novak Djokovic und Rafael Nadal, der heuer in Melbourne und Paris die beiden ersten Major-Turniere dieser Saison für sich entscheiden konnte.
Melzer hat Berrettini am Zettel
Neben den altbekannten Superstars hat Melzer vor allem Matteo Berrettini auf dem Zettel. Der 26-jährige Italiener stand schon im vergangenen Jahr im Endspiel, scheiterte dort aber in vier Sätzen an Djokovic. Auch heuer zeigte sich Berrettini im Vorfeld gut in Form, er gewann die ATP-Turniere in Stuttgart und im Londoner Queen’s Club.
Allerdings wird der Vorjahresfinalist nicht um die Trophäe im All England Club rittern können, ein positiver Corona-Test zwingt Berrettini zum Rückzug aus dem Turnier.
"Matteo Berrettini ist abgesehen von Djokovic oder Nadal definitiv derjenige, der mit dem meisten Selbstvertrauen nach Wimbledon kommt. Er hat die Turniere in Stuttgart und Queen’s gewonnen", meinte Melzer noch vor der Bekanntgabe.
"Die letzten drei Wimbledon-Turniere hat Djokovic gewonnen. Dementsprechend ist er auch derjenige, den es zu schlagen gilt", so Melzer, der es im Einzel 2010 und 2013 jeweils bis ins Achtelfinale schaffte, sich selbst aber auch als dreifacher Wimbledonsieger bezeichnen darf.
1999 gewann er den Junioren-Titel im All England Club, 2010 siegte er im Doppel mit dem Deutschen Philipp Petzschner, 2011 im Mixed mit Iveta Benesova.
Melzer beim Legenden-Turnier mit dabei
Erfolge, die ihm nach seinem Karriereende nun eine Einladung zum Invitation Doubles bescherten, das landläufig vor allem als Legenden-Turnier bezeichnet und in der zweiten Turnierwoche in zwei Round-Robin-Gruppen ausgetragen wird.
"Auf das freue ich mich schon sehr. Ich kann mir dann selbst vor Ort die Spiele ansehen und vor allem das Jugend-Turnier anschauen, was mir besonders wichtig ist. Bei einem Grand-Slam-Turnier sieht man, wie hoch derzeit das internationale Niveau ist", will Melzer diesen glücklichen Umstand gleich für seinen Job als ÖTV-Sportdirektor ausnützen.
13-jähriger Oberösterreicher im U14-Bewerb
Vielen Landsleuten wird er in der zweiten Turnierwoche allerdings leider nicht mehr zuschauen dürfen. Der Junioren-Bewerb wird ohne ÖTV-Beteiligung über die Bühne gehen.
Dafür wird der erst 13-jährige Maximilian Heidlmair im neuen U14-Bewerb sein Glück versuchen. Der junge Oberösterreicher schaffte es kürzlich bei der Tennis-Europa-Rasenveranstaltung der Kategorie 1 in Roehampton ins Endspiel.
"Dadurch hat er sich die Teilnahmeberechtigung für den heuer erstmals in Wimbledon ausgetragenen U14-Bewerb gesichert. Auf das freu ich mich auch schon, wenn ich mir das anschaue", hat sich Melzer den Auftritt der rot-weiß-roten Nachwuchshoffnung schon fest im Terminkalender vermerkt.
Melzer traut Novak Überraschung zu
Ansonsten spekuliert der 41-jährige Deutsch-Wagramer mit einer Überraschung von Dennis Novak, der nach seiner erfolgreichen Qualifikation am Dienstag in der ersten Runde auf Facundo Bagnis trifft. Der 32-jährige Argentinier ist aktuell die Nummer 102 der Welt.
Melzer: "Es taugt mir extrem, dass sich Dennis Novak wieder qualifiziert hat. Es ist wichtig für ihn, damit er wieder Selbstvertrauen sammeln kann. Er hatte bislang doch eine sehr durchwachsene Saison."
"Rasen ist für mich sein bester Belag. Das hat er auch jetzt wieder unter Beweis gestellt, dass er darauf sehr gut spielen kann. Er hat auch eine Auslosung, die definitiv machbar ist. Ich würde ihn mir sehr gerne anschauen, wenn er es vielleicht sogar in die zweite Woche schaffen würde", traut Melzer Novak einiges zu.
Im Falle eines Sieges trifft der 28-Jährige in der zweiten Runde entweder auf Qualifikant Jason Kubler (AUS) oder den Briten Daniel Evans (28).
Kritik an heutigem Rasen-Tennis
Bei aller Vorfreude auf eines seiner Lieblingsturniere trauert Melzer doch ein bisschen den alten Zeiten hinterher. Er vermisse das klassische Rasen-Tennis.
"Mir ist es mittlerweile zu langsam. Für meinen Geschmack wird zu viel von der Grundlinie gespielt", kritisiert der Niederösterreicher die heutigen Bedingungen. "Das hat mit dem alten Rasen-Tennis, mit dem ich aufgewachsen bin, wenig zu tun. Ich glaube, dass sich einige freuen würden, wenn das wieder schneller und flacher werden würde."
"Es gibt mittlerweile extrem viele Grundlinienrallys. 'Rafa' (Anm.: Nadal) hat sich in den ersten Jahren seiner Karriere noch ganz schwer in Wimbledon getan. Mittlerweile ist es aber möglich, dass du von hinten das Turnier gewinnst. Ich fände gut, wenn es eine Abwechslung gibt und es in Zukunft wieder in die andere Richtung gehen würde."
Fragezeichen hinter Alcaraz
Weniger Freude hätte damit wohl Jungstar Carlos Alcaraz, der mit seinen schnellen Topspin-Bällen von der Grundlinie ein ähnliches Spiel wie Landsmann Nadal auf den Platz bringt.
Der 19-jährige Shootingstar hat vor seinem Wimbledon-Debüt kein einziges Vorbereitungsturnier gespielt, sondern sich nur auf Exhibition-Ebene vorbereitet. In der ersten Runde entging Alcaraz am Montag nur ganz knapp dem Aus. Am Ende setzte er sich gegen den Deutschen Jan-Lennard Struff dann aber doch in fünf Sätzen durch.
Melzer: "Es ist schwierig, ihn einzuschätzen. Er hat definitiv Möglichkeiten, dort gut zu spielen, da es, wie schon gesagt, nicht mehr so schnell wie früher ist. Alcaraz bewegt sich gut, man wird sehen, wie er sich auf Rasen bewegt. Zum Turnier-Favoritenkreis zählt er für mich aber nicht."