Ein Ereignis, das für hochgezogene Augenbrauen sorgt: In diesen Tagen finden in Riad, der Hauptstadt des Königreichs Saudi-Arabiens, die WTA Finals statt.
Ausgerechnet eine der fortschrittlichsten Sportarten in Bezug auf die Gleichberechtigung der Geschlechter veranstaltet in den kommenden drei Jahren ihr großes Saisonabschluss-Finale in einem Land mit den eingeschränktesten Frauenrechten der Welt.
Tennis ist seit vielen Jahrzehnten in vielen Bereichen ein Vorbild für Gleichberechtigung im Sport. Schon seit dem späten 19. Jahrhundert begeistern sich auch Frauen für die Jagd nach der (damals noch nicht gelben) Filzkugel.
Erstes Frauen-Turnier in Wimbledon schon im Jahr 1884
Nur sieben Jahre nach der Premiere der Männer wurde im Jahr 1884 bereits der erste Frauen-Wettbewerb in Wimbledon ausgetragen. Dieses frühe Engagement legte den Grundstein für die Akzeptanz von Frauen im Tennissport und die Entwicklung des professionellen Frauentennis.
Ab dem frühen 20. Jahrhundert begann sich der Frauensport weiter zu professionalisieren und zu popularisieren, wobei Tennis eine der führenden Sportarten für Frauen wurde.
Besonders in den 1970er Jahren gewann es an Popularität, als Spielerinnen wie Billie Jean King gegen geschlechtliche Diskriminierung im Sport kämpften. Die Einführung der Women's Tennis Association (WTA) 1973 durch Billie Jean King markierte den Beginn des modernen professionellen Frauentennis.
US Open glich Preisgelder bereits im Jahr 1973 an
Seit fast 20 Jahren erhalten Frauen und Männer bei den wichtigsten Turnieren gleich viel Preisgeld. Vorreiter waren bereits im Jahr 1973 die US Open.
Zu einer Zeit, als selbst in westlichen Ländern viele Sportarten von Frauen kaum oder nur wenig ausgeübt wurden und in denen schon gar nicht an eine Profi-Karriere zu denken gewesen wäre. So wurde beispielsweise im Fußball in Deutschland die Frauen-Bundesliga erst im Jahr 1989 eingeführt.
So krempeln die Saudi-Milliarden die Sportwelt um
Superstars wie Martina Navratilova oder Steffi Graf erlangten im Tennis einen Status, der jenem ihrer männlichen Widerparts kaum nachstand. In den letzten Jahrzehnten engagierten sich viele Tennis-Asse wie Serena Williams auch für Themen wie Mutterschaft, Menstruation und Körperbild.
Viele Spielerinnen wie Williams, Kim Clijsters, Victoria Azarenka, Sybille Bammer oder Tatjana Maria zeigten die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft auf und richteten den Scheinwerfer auf die großen Herausforderungen eines solchen Unterfangens.
Bei all diesen Themengebieten war und ist der Tennis-Sport immer an der Speerspitze der Initiativen zu finden.
Extrem eingeschränkte Frauenrechte in Saudi-Arabien
Dass nun ausgerechnet diese Sportart eines ihrer wichtigsten und größten Turniere in Saudi-Arabien austrägt, ist an Skurrilität kaum zu überbieten. Wir sprechen hier von einem Land, in dem traditionell immer noch ein Vormundschaftssystem gilt, das die Entscheidungsfreiheit der Frauen in vielen Bereichen einschränkt.
Viele Berufswege sind Frauen immer noch verwehrt, öffentliche Räume sind oft nach Geschlechtern getrennt und auch strenge Kleidungsvorschriften sind trotz einiger gesetzlicher Lockerungen immer noch an der Tagesordnung. Frauen, die sich öffentlich für Frauenrechte einsetzen, riskieren Verfolgung, Inhaftierung und Misshandlungen.
Da kann eine Frauenrechtsaktivistin, die sich für das Recht, ein Auto zu fahren einsetzt, schon einmal hinter Gittern kommen. Scheidungen sind fast immer noch Männern vorbehalten – Frauen dürfen sich nur unter bestimmten Bedingungen von ihrem jeweiligen Ehepartner trennen.
Millionenspritze für die WTA Finals
Es würde den Platz sprengen, hier alle Verfehlungen der saudi-arabischen Frauenpolitik aufzulisten, klar ist aber, dass der Hauptgrund für die Vergabe an Riad aus rein monetärer Sicht erfolgt ist.
Der saudi-arabische Tennisverband wird bei den WTA Finals heuer über 15 Millionen Dollar Preisgeld ausschütten und damit fast doppelt soviel wie im vergangenen Jahr in Cancun (Mexiko). Der damalige WTA-Boss Steve Simon verteidigte die Entscheidung folgendermaßen: "Wir sind in vielen Ländern vertreten, die andere Kulturen und Werte-Systeme haben. Wir verstehen aber, dass Saudi-Arabien starke Ansichten provoziert."
Sehr höflich formuliert, wenn man bedenkt, dass in Saudi-Arabien bei Homosexualität im Extremfall sogar noch die Todesstrafe verhängt werden kann.
Neuer WTA-Boss ruderte nach Amtsübernahme zurück
Simons Nachfolgerin Portia Archer, die erst seit Juli die WTA anführte, äußerte sich vor ihrer Amtsübernahme übrigens ebenfalls bereits skeptisch über die Ausrichtung der WTA Finals in Saudi-Arabien. Sie verwies auf die Wichtigkeit der Werte der WTA und stellte die Notwendigkeit heraus, dass die Gastgeberländer mit den Werten der WTA übereinstimmen sollten. Sie betonte, dass es für die WTA entscheidend sei, eine klare Haltung zu den Themen Gleichheit und Menschenrechte zu vertreten.
Zuletzt räumte sie ein, dass sie in ihrer Argumentation missverständlich war, was die Übereinstimmung von Veranstaltungsorten mit den WTA-Werten betrifft.
Harte Kritik von Martina Navratilova
Als weiterhin starke Kritikerin gilt Martina Navratilova, die sich Zeit ihres Lebens selten den Mund verbieten ließ. Die 18-fache Grand-Slam-Siegerin steht seit Jahrzehnten offen zu ihrer Homosexualität und konnte den Move in die Wüste dementsprechend wenig nachvollziehen: "Wir gehen nach Saudi-Arabien, was wohl die größte Veränderung ist, die man machen kann – außer vielleicht nach Nordkorea zu gehen."
Sie fügte hinzu, dass die Vorstellung, durch das Turnier eine Veränderung im Land zu bewirken, "etwas egozentrisch" sei: "Ich sehe nicht, wie dort etwas ohne das Einverständnis von Mohammed bin Salman (dem saudischen Kronprinzen) geschieht." Unterstützung erhielt Navratilova von Chris Evert, einer weiteren Tennis-Legende. Beide sehen einen Rückschritt für Frauenrechte und die Werte des Frauen-Tennis.
King glaubt an positive Veränderungen
Etwas optimistischer sieht ausgerechnet die als Feministin bekannte Billie Jean King, die sich durch die Vergabe an Riad positive Veränderungen im Land erhofft und verweist auf Katar, wo es durch regelmäßige Turniere zu einer schrittweisen Verbesserung kam. Freilich ist auch in diesem Wüstenstaat noch ein langer Weg bis zur vollen Gleichberechtigung zu gehen.
Hinzu kommt, dass die Vergabe von großen Sportevents an Ländern mit problematischen Zugängen zu Grund- und Freiheitsrechten in der Vergangenheit nicht immer für Erfolgsgeschichten gesorgt hat. In China herrscht trotz zweier Olympischer Spiele und vielen Groß-Events noch immer gewaltig Nachholbedarf, von Russland ganz zu schweigen.
Gerade in Zeiten, in denen sich auch in westlichen Ländern reaktionäre Kräfte immer größerer Beliebtheit erfreuen, könnte es gefährlich sein, sich an Staaten mit antiquierten Gesellschaftsrechten anzubiedern.