Für Österreichs Frauen-Tennis zeichnet sich nach einer längeren Dunkel-Periode ein immer heller erstrahlenderes Licht am Ende des Tunnels ab.
So etablierte sich mit Julia Grabher im vergangenen September nach einer sieben Jahre langen Dürreperiode endlich wieder eine ÖTV-Spielerin in den Top 100.
Und mit Sinja Kraus befindet sich aktuell eine zweite Akteurin auf dem besten Weg dorthin. Aktuell ist die Wienerin, die am Samstag ihren 21. Geburtstag feiert, im WTA-Ranking auf Position 153 zu finden - Tendenz steigend!
Kraus blickt auf einen steilen Aufstieg zurück: Ende 2021 klassierte sie sich noch knapp in den Top 500, zum Abschluss des vergangenen Jahres stand sie knapp in den Top 200.
Trainer-Effekt nach Niederlagen-Serie im Winter
"Eigentlich wollte ich dieses Jahr unter die ersten 150 kommen – da bin ich ja jetzt schon ziemlich knapp dran", grinst Kraus im Gespräch mit LAOLA1.
Einen derart schnellen Aufstieg hatte sie wahrlich nicht erwartet. Vor allem nicht nach der verpatzten Hallen-Saison. Von November bis Anfang Februar setzte es bei sieben Turnier-Starts ebenso viele Erstrunden-Niederlagen.
Ein Negativlauf, der auch auf Betreuer-Ebene Auswirkungen hatte. Nach 13 Jahren trennten sich die Wege von Kraus und Langzeit-Coach Bakak Momeni. Ihm folgte der Deutsche Steffen Neutert, der sogleich für einen bemerkenswerten Trainer-Effekt sorgte.
Anfang März ging es für Kraus nach einem zweiwöchigen Sandplatz-Training in Deutschland unter dem neuen Coach zum Start der Sandplatz-Saison nach Kolumbien, wo sie neben einem Challenger-Titel und einem Final-Einzug vor allem mit der erfolgreichen Qualifikation für das WTA-250-Turnier in Bogota und dem anschließenden Erstrunden-Sieg über die ehemalige French-Open-Halbfinalistin Nadia Podoroska für Furore sorgte.
"Super Erfahrung" gegen Weltranglisten-Dritte Pegula
"Das war alles recht frisch und spontan - auch die Südamerika-Reise. Eigentlich war das alles noch so eine Testphase, tatsächlich hat das - wie man gesehen hat - eigentlich ganz gut funktioniert", lacht Kraus.
"Ich bin ehrlich gesagt ohne Erwartungen nach Südamerika geflogen, weil es in den Wochen davor so schlecht gelaufen ist. Ich habe ja vorher kein einziges Match gewonnen. Ich habe zwei Wochen lang davor auf Sand trainiert und mich dabei aber recht wohl gefühlt. Dass es dann dort direkt von Anfang so gut lief, hätte aber keiner erwartet. Ich hätte es auch nicht geglaubt, wenn mir das einer davor erzählt hätte. Ich habe konstant mein Level gespielt, ohne Druck und viel Spaß auf dem Platz und konnte dadurch meine beste Leistung abrufen."
Nach Kolumbien gab Kraus im Anschluss auch im Billie Jean King Cup in Delray Beach gegen die USA eine gute Figur ab. Gegen die Weltranglisten-Sechste Jessica Pegula hätte es nach anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten im ersten Satz (0:6) beinahe zu einem Satzgewinn gereicht (5:7).
In erster Linie fehlt noch die Konstanz, um auf das Level von solchen Spielerinnen zu kommen. Von der Geschwindigkeit habe ich ganz gut mithalten können, es war aber schwierig, die Ballwechsel konstant mitzugehen und konstant die Punkte zu machen.
"Es war eine super Erfahrung. In erster Linie fehlt noch die Konstanz, um auf das Level von solchen Spielerinnen zu kommen. Von der Geschwindigkeit habe ich ganz gut mithalten können, es war aber schwierig, die Ballwechsel konstant mitzugehen und konstant die Punkte zu machen", konnte die 20-Jährige auch aus diesem Match viele positive Erfahrungen mitnehmen.
Entwicklung wichtiger als Ranking
Mit mehr Matches auf diesem Niveau traue sie sich zu, den Abstand zur Spitze in den kommenden Jahren weiter zu verringern. "Man lernt aus den Matches und umso besser wird man", so Kraus, die in der U21-Wertung der Frauen-Weltrangliste aktuell auf Rang 16 liegt.
Ein erfreulicher Stand, der für Ansporn sorgt. Kraus betont aber, dass sie ihre Konzentration lieber auf ihre weitere Entwicklung als auf Ranking-Spielereien legt. "Ich will in meinem Spiel weiter vorankommen – dann kommen die Ergebnisse von alleine. Deshalb will ich mir da gar keine Ranking-Ziele geben, sondern einfach von Spiel zu Spiel schauen."
"Auf dem Tennisplatz aufgewachsen"
Das Leben als Tennisprofi ist Kraus übrigens beinahe in die Wiege gelegt worden. Sie kam als dritte Tochter zweier österreichischer Eltern in Wien zur Welt. Nach nur einem Jahr zog ihr Vater, der für einen großen deutschen Pharma-Konzern arbeitet, aus beruflichen Gründen mit der ganzen Familie nach Amerika.
"Meine Mama hat Tennis gespielt und auch meine beiden älteren Schwestern - eine ist vier Jahre und eine sechs Jahre älter. Ich bin dadurch mehr oder weniger auf dem Tennisplatz aufgewachsen und hatte dadurch eigentlich gar keine andere Wahl (lacht). Es gibt ganz viele Videos von mir, auf denen ich als Baby mit einem Ball in der Hand sitze und zuschaue, wie meine Schwestern mit meiner Mama spielen."
Nach sechs Jahren in den USA ging es für Familie Kraus nach Ingelheim in Deutschland, wo die Pharma-Firma ihren Hauptsitz hat. "Bis zum Jahr 2020 habe ich dort gelebt, dann bin ich zum österreichischen Bundesheer gekommen und habe seitdem auch eine Wohnung in Wien", so Kraus, die mittlerweile sowohl in der Südstadt als auch in Deutschland trainiert.
Training in Ludwigshafen oder Südstadt
Neo-Trainer Neutert hat seine Tennis-Akademie im nicht weit von Ingelheim entfernten Ludwigshafen. "Dort trainiere ich meist längere Blöcke über ein bis zwei Wochen. Ansonsten spiele ich in der Südstadt beim Verband entweder mit Jürgen Melzer oder einem anderen Trainer. Das klappt immer super. Ich schreibe ein paar Tage davor, dass ich wieder da bin und dann kann ich zum Training kommen."
Dass ein Tennis-Profi selten zuhause ist, ist normal und auch bei Sinja Kraus nicht anders. Doch wo fühlt sich die junge Österreicherin angesichts der vielen Ortsangaben überhaupt zuhause?
"Das ist eine sehr schwierige Frage", überlegt Kraus ein bisschen, ehe sie schließlich antwortet: "Ich fühle mich auf jeden Fall in Wien zuhause, da wohnt nebenan auch meine Oma. Ansonsten dort, wo meine Familie gerade eben ist. Sie versuchen auch oft nach Wien zu kommen, wenn ich gerade da bin."
"Bin dort daheim, wo meine Tennisschläger sind"
Ansonsten zeigt sich Kraus, die durch den frühen Umzug nach Amerika schon "sehr früh englisch lernte" kosmopolitisch und wie prädestiniert für ein reiseintensives Leben auf der Tennis-Tour: "Grundsätzlich fühle ich mich eigentlich überall daheim. Ich bin sehr anpassungsfähig und habe mich jetzt auch in Südamerika sehr wohl gefühlt. Da sind die Leute schon auf mich zugekommen und haben mich gefragt, ob ich nicht Kolumbianerin werden will, weil ich hier auf kolumbianischem Sand so gut spiele", erinnert sich Kraus, die mit ihrer offenen Art ihrem Vornamen (Bedeutung: kleiner Sonnenschein) mehr als gerecht wird, lachend an ihren Südamerika-Trip zurück.
Ist ihre Heimat also schlichtweg der Tennisplatz? "Ja, genau, dort wo meine Tennisschläger sind, da bin ich daheim", spricht sie jedem Tennis-Fan aus dem Herzen.
Vorbild Roger Federer
Womit sie in ihren Aussagen auch ein bisschen an ihr großes Vorbild erinnert: Roger Federer. "Er ist so eine tolle Persönlichkeit. Er hat einfach alles richtig gemacht", schwärmt Kraus vom mittlerweile zurückgetretenen Schweizer, der es in seiner Karriere auf 21 Grand-Slam-Titel brachte.
"Es sieht einfach alles so schön und leicht bei ihm aus." Kraus zeigt sich aber auch offen für andere Einflüsse. "Ich schaue mir viele verschiedene Spieler an, um von jedem ein bisschen was zu lernen und abzuschauen."
Wie Federer ist auch Kraus eine Anhängerin einer eher offensiv geführten Spielweise. "Ich bin eine sehr druckvolle Spielerin, die immer versucht, selbst die Punkte zu machen. Ich gehe die Bälle an und nehme sie sehr früh und versuche so das Spiel an mich zu reißen, sodass meine Gegnerin nicht zu ihrem Spiel kommt", beschreibt sie ihre Spielphilosophie. Außerdem sei sie "eine Person, die im Match noch einmal etwas aus sich herausholen kann. Ich bin eher eine Match- als eine Trainings-Spielerin."
Internes Duell mit Grabher "mega motivierend"
"Mega motivierend" findet Kraus derzeit allerdings auch das interne ÖTV-Duell mit Julia Grabher. "Ich finde es richtig cool, wie sich Julia nach oben gearbeitet hat und ich glaube, dass es auch für sie gut ist, wenn ich da jetzt von hinten komme, sodass wir uns gegenseitig ein bisschen hochziehen können."
Den Zusammenhalt im österreichischen Tennis empfindet sie überhaupt als sehr gut. So holt sich Kraus bei den Billie-Jean-King-Cup-Länderkämpfen ("Da bin ich ja das Küken") auch immer wieder gerne Tipps und Ratschläge von routinierten Spielerinnen wie Tamira Paszek. "Das ist immer mega inspirierend. Es macht richtig Spaß, sich mit den Mädels auszutauschen und von ihnen zu lernen."
Auch der Verband gäbe sich sehr viel Mühe, "dass da etwas weitergeht. Wir sind ein relativ kleines Land im Vergleich zu Deutschland und haben trotzdem gute Spielerinnen. Es ist wichtig, dass wir uns derzeit gerade nach vorne kämpfen und die Leute wieder sehen, dass es österreichisches Damen-Tennis gibt und man nichts schlechtreden muss. Denn es ist definitiv nicht schlecht."
Die dunkle Zeit im heimischen Frauen-Tennis scheint durch die Erfolge von Grabher und Kraus der Vergangenheit anzugehören. Am Ende des Tunnels erstrahlt nun ein neuer Sonnenschein, der uns hoffentlich noch viele Jahre begleiten wird.