Seine stechend blauen Augen blitzen auf, wenn er von Biathlon spricht. Man merkt schnell, wie viel ihm seine Sportart bedeutet. Vegard Bitnes, seines Zeichens seit dieser Saison neuer Cheftrainer der heimischen Biathlon-Herren, lebt und liebt Biathlon durch und durch.
"Ich glaube, ich bin ein ganz normaler, langweiliger Trainer", sagt Bitnes im LAOLA1-Talk. Diese Meinung hat er aber wohl exklusiv, kaum ein Gesprächspartner teilte sie bisher. "Ich bin aber auch sehr schlecht darin, mich selbst zu beschreiben", fügt der Norweger lachend hinzu.
Bitnes wirkt geerdet, dankbar, demütig. Ein Mann, der sich sichtlich jeden Morgen darauf freut, aufzustehen und seiner Berufung nachzugehen. "Ich durfte mein Hobby zum Beruf machen", sagt Bitnes. Er sei einfach "leidenschaftlich gerne Trainer", unterstreicht er.
Berger ruft Bitnes: Bitte kommen!
Der heute 39-Jährige ist bereits zum zweiten Mal beim ÖSV in Amt und Würden. Zwischen 2016 und 2019 betreute er das Frauen-Team. Bis Ende der vergangenen Saison war er Cheftrainer der US-Männer, ehe der mit seiner Familie in Österreich lebende Norweger zum rot-weiß-roten Biathlon-Tross zurückkehrte.
"Alles hat damals mit Olympia begonnen", gibt Bitnes einen Einblick in das Zustandekommen seiner Rückkehr. Zu Zeiten der Spiele komme man immer mit vielen Leuten ins Gespräch, erklärt er. Die Initiative sei von ÖSV-Biathlon-Boss Franz Berger ausgegangen. "Er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann, zurückzukommen", schildert Bitnes. "Ich habe ihm gesagt, dass ich dafür jedenfalls offen bin", fährt er fort.
Der Grund: seine Familie. "Mehr als 200 Tage auf Reisen zu sein als Trainer in den USA, das ist schwierig, wenn du Familie hast", erklärt der 39-Jährige. "Deswegen ist das jetzt natürlich besser für uns", gibt sich Bitnes glücklich über seine "Heimkehr".
Die Vorsaison verlief für die ÖSV-Männer ausbaufähig, speziell bei Olympia holte man erstmals seit 2006 kein Edelmetall. Spätestens hier war klar, dass die großen Biathlon-Jahre vorbei sind und ein Neuanfang her muss. Cheftrainer Rico Groß musste nach vier Jahren gehen, Bitnes übernahm.
"Müssen als Team dastehen"
Er habe damals ein Team vorgefunden, das "nicht zusammengebaut war", schildert der Neo-Coach rückblickend. Was er damit genau meint? Jeder sei ein bisschen seinen eigenen Weg gegangen. Das missfiel dem Norweger. "Das wollte ich so nicht mehr haben", sagt Bitnes entschlossen. Natürlich solle jeder auf ihn zugeschnitten trainieren, aber am Ende "müssen wir als ein Team dastehen", gibt er die klare Richtung vor.
Im Gespräch kommt rasch zum Vorschein, dass der Teamgedanke beim 39-Jährigen ganz oben steht. Nicht er, nicht Co-Trainer "Luggi" Gredler oder einer der Athleten steht im Mittelpunkt, es zählt nur das Team - noch vor den Ergebnissen.
Eine gänzlich neue Herangehensweise, die Zeit braucht, um Früchte zu tragen. In der Staffel jedenfalls machte sie sich bereits bemerkbar: Ein bärenstarker vierter Rang in Kontiolahti, gefolgt von einem soliden sechsten Rang beim Heimweltcup in Hochfilzen. So gefestigt stand das ÖSV-Quartett schon lange nicht mehr da.
Bitnes legte gleich als eine seiner ersten Amtshandlungen die beiden Trainingsgruppen zusammen. Man wolle mehr gemeinsam machen und dies aus gutem Grund. Denn der Norweger verfolgt einen langfristigen Plan. "In absehbarer Zeit wird es keinen Simon Eder mehr im Team geben und deswegen möchte ich jetzt schon für die Zukunft vorbauen und die Athleten aus der TG2 (Trainingsgruppe 2, Anm.) heranführen", schildert er.
Jede Meinung zählt
"Außerdem ist es mir wichtig, den Jungs zu vermitteln, was sie machen und warum", gibt er an. Wer genau weiß, was er wofür macht, arbeitet fokussierter und zielgerichteter - ein begrüßenswerter Gedanke.
Was Bitnes auch neu eingebracht hat, ist die Form der Mitsprache seiner Schützlinge. "Ich wünsche mir, dass die Jungs nachfragen, dass wir alle zusammenkommen und über verschiedene Dinge diskutieren", will er alle Mann ins Boot holen. In besagtes holte man auch Dominik Landertinger, der das Team im Bereich Trainingssteuerung und Leistungsdiagnostik unterstützt:
"Nichtsdestotrotz müssen wir Ergebnisse liefern", ist er sich der Erwartungshaltung bewusst. Gleichzeitig wolle er aber den Druck und die Erwartungen nicht zu groß werden lassen, denn fraglos kann zu viel dessen auch lähmen. "Meine Erwartung ist, dass jeder herauskriegt, was er leisten kann", stellt Bitnes klar.
Vor der Saison habe er alle Athleten getestet, er verfolgt die Entwicklungsschritte eines jeden genau. Bitnes scheint genau zu wissen, wo er hin will. Es zeige sich "ein gutes Bild: Die Pfeile zeigen bei allen Athleten in die richtige Richtung", ist er erfreut. Das sei freilich kein Zufall. "Das liegt an der implementierten Philosophie und daran, dass wir viel mehr eine Gruppe geworden sind", weiß er.
Simon Eders besondere Bedeutung
Eine zentrale Rolle dabei spielt "Teampapa" Simon Eder. Speziell im Heranführen jüngerer Athleten kommt dem Top-Schützen große Bedeutung zu. "Er ist extrem wichtig für den Nachwuchs! Was er in den letzte 15 Jahren gemacht hat, ist nicht so schlecht. Ich brauche ihn im Training, weil er ein österreichisches Vorbild ist", bringt ihm der gleichaltrige Bitnes große Wertschätzung entgegen.
Herausgehoben will er seinen "Oldie" jedoch nicht wissen, wie er klarstellt: "Er ist einer von sechs Athleten."
"Er ist einfach ein super Typ", lobt der Trainer seinen Teamleader. "Er nimmt sich beispielsweise nicht nur für einen Felix Leitner Zeit, sondern genauso viel für die Jungen. Er versucht ihnen zu helfen, gibt ihnen Tipps", sagt der Norweger.
Das laufe in die andere Richtung jedoch genauso, was wieder den Teamgedanken untermalt. "Ich bin der Meinung, dass nicht nur die Trainer die Athleten besser machen, sondern auch umgekehrt", sagt Bitnes.
Der Norweger wird von anderen als sehr akribisch und zielstrebig beschrieben - zwei Eigenschaften, die auch im Gespräch klar zum Vorschein kommen. "Ich bin ein echter Workaholic", weiß er auch selbst.
"Ich versuche aber, wenn ich frei habe, wirklich abzuschalten. Aber das ist oft schwierig, weil ich jemand bin, der sehr viel nachdenkt", schildert er. Man merkt, wie sehr ihm daran liegt, seine Schützlinge nach vorne zu bringen. "Wenn ich zu den Jungs etwas sage, ist das nie aus der Luft gegriffen, sondern reiflich überlegt", sagt Bitnes.
Bitnes: Ein Schatten, aber nicht seiner selbst
Der Norweger gilt als extrem wissbegierig. Schon als Athlet sei sein Interesse am Trainerberuf sehr hoch gewesen, schildert er. Damals kam er auch zu seinem Spitznamen, der "ganz gut zu mir passt", wie Bitnes auch selbst befindet. "Es war immer schon mein Traum, Trainer zu werden. Deswegen haben sie mich früher immer 'Shadow' genannt, weil ich immer hinter den Trainern her gewesen bin und sie gewissermaßen 'beschattet' habe, um mir etwas abzuschauen", erzählt er.
Als Trainer sei er sehr emotional und da müsse das Feuer, welches in ihm lodert, manchmal auch einfach raus. Das führt manchmal auch zu recht amüsanten Konversationen mit "Co" Gredler, wie Bitnes schildert.
Die beiden waren sich nicht erst einmal uneins, wer denn am Schießstand stehen solle. "Da kann ich nicht so emotional sein und mitschreien und so weiter. Weil da wirst du immer von den Kameras eingefangen und wir mögen das beide nicht", erklärt der Norweger schmunzelnd.
"Ich habe ja eine sehr laute Stimme", lacht er. "Deshalb verstecke mich am liebsten entlang der Strecke im Wald, weil ich da meine Ruhe habe und arbeiten kann", beschreibt er.
Generell sei die Öffentlichkeit nicht sein Ding, wie er schildert. Recherchen zu seiner Person gestalten sich schwieriger als bei anderen Trainern.
Obwohl Bitnes schon lange Zeit im Biathlon-Zirkus unterwegs und dort auch wohlbekannt ist, gibt es von ihm nicht einmal eine Wikipedia-Seite. "Ich brauche das nicht, die öffentliche Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen", sagt er. "Ich könnte da sicher mehr machen, aber das bin ich einfach nicht. Tut mir leid, dass ich keine Wikipedia-Seite habe", meint er lachend.
"Ich verstecke mich am liebsten entlang der Strecke im Wald, weil ich da meine Ruhe habe und arbeiten kann."
Ihm selbst war keine Karriere wie Eder vergönnt, umso mehr setzt er seine Stärken nun als Trainer ein.
Dabei begann seine Laufbahn mit durchaus guten Voraussetzungen. "Ich habe schon zwei Jahre bevor man überhaupt starten darf, also mit acht Jahren, mit diesem Sport angefangen", erzählt der 39-Jährige.
Schon damals schlummerte offenbar ein kleiner "Desperado" in ihm. "Ich komme aus einem kleinen Ort in Norwegen (Meraker, Anm.), wo Langlauf und Biathlon einen hohen Stellenwert haben, wir haben auch eine spezialisierte Sportschule dort", erzählt er von seinen Anfängen.
Es sei dann "fast schon logisch" gewesen, dass es auch ihn in diese Richtung zog. "Ich war ab diesem Zeitpunkt bis inklusive 2007 Biathlet. Und seither bin ich Trainer gewesen." Ein Leben für den Biathlon also. Bitnes ist sichtlich keiner, der in ausgetretenen Pfaden denkt, sondern ständig darauf aus ist, seinen Horizont zu erweitern.
"Wäre schön, den Alpinen ein bisschen Druck zu machen"
Diese Energie könnte auch dazu führen, dass im ÖSV langsam, aber sicher auch im Nachwuchs an der einen oder anderen Stellschraube gedreht wird. Dass hier noch Potenzial besteht, sieht auch Bitnes so. Der Sport brauche mehr Öffentlichkeit, um besseren Nachwuchs zu finden.
"Wenn man den Stellenwert zwischen Norwegen und Österreich vergleicht, den Biathlon hat, dann sind das zwei verschiedene Paar Schuhe", sagt er. Freilich wäre ein direkter Vergleich zwischen dem Biathlon-Mekka und der Alpenrepublik nicht ganz fair, es führt aber vor Augen, dass hier fraglos Optimierungsmöglichkeiten bestehen.
"Es würde mir total taugen, wenn Biathlon hier größer werden würde, als es heute ist", wünscht sich Bitnes für die Zukunft. "Es wäre schön, wenn wir da den Alpinen ein bisschen Druck machen könnten. Ich hoffe, dass Zugpferde wie Lisa Hauser mehr Jungs und Mädchen zum Biathlon bringen", hofft er.
"Bei uns in Norwegen gibt es Wartelisten, um überhaupt in einem Verein unterzukommen", schildert er. "Für mich ist das nicht ganz erklärlich, dass hier nicht mehr Kinder zum Biathlon gehen", wundert sich der 39-Jährige, nur um gleich auch einen Erklärungsversuch anzubringen.
"Man redet da immer nur über die Alpinen, aber man könnte da auch mehr für den Biathlon tun", merkt er an. Denn in Österreich verfügt man über alles was das Trainerherz begehrt, wie Bitnes sagt.
"Weil hier alle Voraussetzungen gegeben sind, alleine die Schießhalle, in der wir hier sitzen (in Hochfilzen, Anm.)", hält er fest. Schließlich würden sogar seine norwegischen Landsleute hierher kommen, um zu trainieren, unterstreicht er.
Zu viele Einzelkämpfer, zu wenig Initiative
Dass es mehr Initiative braucht, gilt aber nicht nur für den ÖSV, auch die öffentliche Hand ist hier sicherlich gefordert, mehr Kinder ganz generell für den Sport zu begeistern.
Das beginnt bei der täglichen Turnstunde, die nach wie vor nicht etabliert wurde, geht über Förderungen für Vereine bis hin zur Bündelung der Kräfte. Denn viel zu oft sind Personen oder Vereine als Einzelkämpfer unterwegs, da es an staatlicher Unterstützung fehlt.
"Vor allem, weil es ja viele Ikonen als Vorbilder gibt wie Landi (Dominik Landertinger, Anm.), Sumi (Christoph Sumann, Anm.), Simon Eder, Lisa Hauser und noch einige mehr", sieht Bitnes hier ungenütztes Potenzial.
Dennoch ist er optimistisch: "Ich bin guter Dinge, dass sich da in Zukunft etwas in die richtige Richtung bewegen wird", meint er. Für ihn sei Biathlon "der beste Sport der Welt", sagt er, gefragt nach seiner Definition dessen, was ihn an diesem Sport so begeistert.
Man merkt ihm jedoch an: Den Sport hierzulande weiterzubringen, ist ihm ein großes Anliegen. Deswegen sei der Satz "Biathlon, der größte Sport in Österreich" also vielleicht noch besser, wie er sagt.
Ob Bitnes' Initiative in der Zukunft für ein neues Hoch im rot-weiß-roten Biathlonsport sorgt, wird die Zeit zeigen. An Idealismus mangelt es ihm jedenfalls nicht. Und schon allein das ist eine Eigenschaft, die man in dieser Form nur begrüßen kann.