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Der letzte Mohikaner als einzige Biathlon-Hoffnung?

Im ersten Teil der Vorschau auf die anstehende Biathlon-Saison nimmt LAOLA1 das Herren-Team unter die Lupe.

Der letzte Mohikaner als einzige Biathlon-Hoffnung? Foto: © GEPA

Am Dienstag starten Österreichs Biathleten im finnischen Kontiolahti mit einem Einzel-Wettkampf in die neue Saison. Ein Klassiker zum Auftakt sozusagen.

Fünf Mann aus dem ÖSV-Lager werden die heimischen Loipenjäger dort repräsentieren. LAOLA1 wirft einen Blick auf die kommende Saison und ordnet ein, was sich die Fans von den Athleten des ÖSV erwarten dürfen. In Teil 1 der Analyse stehen die Herren im Rampenlicht. 

Ebenso klassisch wie der Auftaktbewerb über 20 Kilometer ist mittlerweile, dass Simon Eder dort das ÖSV-Team der Herren anführen wird. Neben ihm werden Felix Leitner, David Komatz, Harald Lemmerer und Patrick Jakob an den Start gehen.

Das große Saisonhighlight bildet die Weltmeisterschaft von 6. bis 19. Februar im deutschen Oberhof. Dabei sind den heimischen Loipenjägern bisweilen zumindest Außenseiterchancen zuzurechnen. 

In der Vorsaison blieben die ÖSV-Herren ohne Podestplatz und schafften es nur siebenmal in die Top 10. Für ein kleines Biathlon-Land wie Österreich zumindest kein kapitaler Reinfall, aber das Team hat definitiv Potenzial für mehr. 

Zugpferd nimmt Abschied

Heuer nicht mehr mit dabei sein wird Julian Eberhard, der seine Laufbahn beendet hat. Eberhard stürzte in der Vorsaison im Sprint bei der ersten Weltcup-Station in Östersund und zog sich schwere Verletzungen zu. Es sollte sein letztes Rennen gewesen sein. Der Körper spielte danach nicht mehr mit und zwang ihn zum Karriereende. Wie sich in den Ergebnissen zeigen sollte, war er nicht zu ersetzen.

Die ohnehin schon geringe Breite an der Spitze des Herren-Teams wurde damit weiter ausgedünnt. "Wenn dir Zugpferde wie der Julian Eberhard abgehen, der die Mannschaft auch mitgerissen hat, dann ist man eben dezimiert", sagte der Sportliche Leiter des ÖSV-Biathlon, Franz Berger, zum ORF.

Doch Schwarzmalerei ist dennoch nicht angebracht. Schon alleine, weil der neue Cheftrainer Vegard Bitnes viel frischen Wind ins Team brachte und intern eine spürbare Aufbruchsstimmung herrscht.

Der neue Coach, der bereits zwischen 2016 und 2019 Cheftrainer der Frauen war, krempelte einiges um. "Zuerst haben wir probiert, alle zusammenzuziehen (die beiden Trainingsgruppen, Anm.) und mehr gemeinsam zu trainieren", schildert der Norweger in einer Medienrunde, an der auch LAOLA1 teilnahm. "Was wir geändert haben ist, mehr Kontrolle im Training zu schaffen, spezifischer zu arbeiten und nicht nur im hohen Laktatbereich zu trainieren. Das ist auch unser Schwerpunkt heuer", gibt er Einblick.

Auch werde man heuer die Trainingsgestaltung nicht nur auf das Saisonhighlight Weltmeisterschaft legen, sondern will man vom Start weg voll da sein. "Wir machen alles, um zum Saisonstart bereit zu sein. Natürlich kommt das große Event WM, aber wir schauen, dass wir gleich zum Auftakt bereit sind", so der Neo-Coach.

Was also kann man sich von den ÖSV-Biathleten in der kommenden Saison erwarten? LAOLA1 beleuchtet die heimischen Skijäger einzeln und zieht ein Fazit.

Simon Eder

Simon Eder
Foto: © GEPA

Der Evergreen der heimischen Skijäger, der im Februar 40 Jahre jung wird, feierte sein Weltcup-Debüt bereits 2003, sein heutiger Teamkollege Felix Leitner war damals Volksschüler. Ob es seine letzte Saison ist? Noch ist das offen, auch wenn man sich in diesem Alter damit zwangsläufig beschäftigt - schon alleine, weil es Journalisten geben soll, die ständig danach fragen.

"Ich habe nach wie vor Riesenspaß daran", stellt der "Team-Papa" gegenüber der APA klar. Irgendwann aber merke man auch, "dass es Zeit wird". Eine Entscheidung diesbezüglich habe er aber noch nicht getroffen, wie er festhält. Diese wird wohl auch von den Resultaten im kommenden Winter abhängen.

Ein Laufwunder war Eder noch nie, die Pace zu halten wird mit zunehmendem Alter auch nicht leichter. Seine große Stärke war und ist das Schießen, seinen Spitznamen "Lucky Luke" trägt er völlig zurecht. Eder gilt als einer, wenn nicht der beste Schütze im Feld und erreichte in der Vorsaison im Liegendanschlag eine Trefferquote von 93 Prozent, im Stehend waren es auch noch 88 Prozent. Dazu sei gesagt, dass dies für Eder schon fast durchschnittliche Werte sind, zu Spitzenzeiten lag er sogar noch einige Prozentpunkte darüber.

Insgesamt ist der bald 40-Jährige das heißeste ÖSV-Eisen im Feuer. Seine Chancen liegen in den schießlastigen Bewerben wie der Verfolgung und dem Massenstart. Auch in der Staffel ist der 39-Jährige weiterhin unverzichtbar.

Prognose: Der "Oldie" ist nach wie vor für Spitzenplätze gut. Das ein oder andere Podest ist ihm jedenfalls zuzutrauen. Immer ein heißer Kandidat, wenn die Spitzen-Athleten patzen. Ein Sieg wird wohl schwierig, wäre aber die Cinderella-Story schlechthin.

Felix Leitner

Felix Leitner
Foto: © GEPA

In der Hierarchie direkt hinter Eder folgt der 25-jährige Felix Leitner, der im vergangenen Winter den Aufwärtstrend aus der Saison 2020/21 nicht bestätigen konnte, in der er regelmäßig an den Top 10 dran oder sogar noch besser war, wie bei seinem sensationellen zweiten Platz beim Massenstart im WM-Ort Oberhof.

In der vergangenen Saison dagegen hatte er immer wieder mit Problemen zu kämpfen. Mal lief es läuferisch nicht, dann ließen die Schießleistungen zu wünschen übrig und bei den enttäuschenden Olympia-Bewerben in Peking passte das Material nicht. Immerhin war Leitner regelmäßig in den Top 30 zu finden. Das Highlight war ein 4. Platz beim Massenstart in Annecy. Dennoch: Der dreifache Junioren-Weltmeister hat Potenzial und kann noch viel mehr.

Heuer könnte es soweit sein, der entscheidende Schritt nach vorne ist, gemessen an seinen Anlagen, fast schon überfällig. Die Vorzeichen stehen jedenfalls gut, wie Leitner bei der traditionellen Medienrunde vor dem Saisonstart betonte. "Ich bin voll zufrieden mit der Vorbereitung", freut sich Leitner. Der 25-Jährige macht den heimischen Biathlon-Fans Hoffnung: "Mir hat das alles voll getaugt, es ist jetzt wieder ein Gefühl da, dass alles ist, wie es sein soll. So ein Gefühl hatte ich zuletzt in Stams."

Hinsichtlich des Auftaktevents in Kontiolahti, bei dem zwischen 29.11. und 4.12. die bemerkenswerte Zahl von acht Rennen geplant ist, zeigt er sich etwas zwiegespalten: "Da muss man schauen, dass man so fit wie möglich dort ankommt. Ich glaube, für mich wird es sehr zäh. Vier Wettkämpfe in sieben Tagen (für die Herren, Anm.), das haben wir selten."

Auch nicht unwichtig: Leitner wird sich wohl oder übel langsam auf die Position als Teamleader vorbereiten müssen. Simon Eder wird seine Karriere womöglich schon nach dieser Saison beenden und Leitner wird seinen Platz einnehmen. Ihm ist ein ähnlich erfolgreiche Laufbahn - oder sogar mehr - in jedem Fall zuzutrauen. Für die aktuelle Saison sollte es das Ziel sein, regelmäßig in die Top 10 zu kommen, mit Ausreißern nach oben. In seine in der Vergangenheit oftmals schwankenden Schießleistungen darf der Tiroler zudem noch etwas mehr Konstanz bringen.

Prognose: Leistungsmäßig ist von einer Performance wie in der Vorsaison bis hin zu einem Überflügeln von Teamleader Eder alles möglich. Regelmäßige Top-10-Plätze sind realistisch.

David Komatz

David Komatz
Foto: © GEPA

"Mr. Zuverlässig" und der geheime Nachfolger von Daniel Mesotitsch, zumindest in der Staffel. Dass ihm dies auch in den Einzelbewerben gelingt, wäre wünschenswert.

Im Vorjahr gelang Komatz zumindest viermal der Sprung unter die Top 30, aber auch er hat schon gezeigt, dass er mehr kann. Speziell bei seiner ersten vollen Weltcup-Saison vor zwei Jahren, als er sogar dreimal in den Top 20 zu liegen kam und im Gesamtweltcup auf einem starken 31. Rang landete.

Insofern war die Vorsaison, wie auch bei Leitner, ein kleiner Rückschritt. Mit dem Trainerwechsel zu Vegard Bitnes könnte es aber auch für ihn zurück zu alter Stärke gehen.

Seine Vorzüge sind sicher seine Ausgewogenheit, wie auch bei "Vorgänger" Mesotitsch. Liegendschießen, Stehendschießen, Laufen - in jedem Bereich bewegt er sich im Mittelfeld des Starterfeldes. Ein klassischer "Mann aus der zweiten Reihe", der an guten Tagen vielleicht sogar für Überraschungen gut ist, wenn die Spitzenathleten im Feld einmal auslassen.

Neo-Trainer Bitnes wird wohl dankbar sein, einen Startläufer wie ihn in der Staffel zu haben. Dort ist Komatz unschätzbar wertvoll für ein kleines Team wie jenes des ÖSV. Doch Biathlon ist und bleibt vorangig eine Einzelsportart und hier darf man ob der Anlagen des 30-Jährigen auf eine Steigerung hoffen.

Prognose: Im besten Fall gelingen ihm wieder einige Top-20-Plätze, realistisch sind aber wohl eher die Top 30.

Harald Lemmerer

Harald Lemmerer
Foto: © GEPA

Machte seit seinem Umstieg von der Nordischen Kombination im Jahr 2017 jedes Jahr kleine Schritte nach vorne, wenngleich auch bei ihm in der Vorsaison in seinen Ergebnissen eine Stagnation zu erkennen war. Und auch er ist bereits im dritten Lebensjahrzehnt angekommen.

Doch wie sich im Vorjahr zeigte, steckt weiterhin Entwicklungspotenzial in ihm. Seine stärkste Leistung in der Vorsaison bot er bei der besten Staffel-Platzierung Österreichs in Kontiolahti, als man Rang fünf erreichte. Der 30-Jährige gab den Schlussläufer und zeigte dabei eine überzeugende Leistung. Im Duell mit der Schweiz und Italien brachte er die beste Saisonplatzierung sicher ins Ziel. Gerne mehr davon!

Es liegt an ihm, sein Potenzial auch abzurufen, will er den freigewordenen Platz von Julian Eberhard zumindest zum Teil füllen. Bei ihm wird es dringend nötig sein, seine Stehend-Performance zu verbessern. Im Vorjahr lag seine Trefferquote nur bei 70 Prozent. Im Gegensatz dazu liegt sein Wert im Liegendschießen bei ordentlichen 88 Prozent. Und auch läuferisch dürften in ihm noch Reserven schlummern.

Prognose: Es ist an der Zeit, seine beste Weltcup-Platzierung einzustellen oder gar zu verbessern. Diese datiert aus der Saison 2020/21, als er im Einzel von Kontiolahti Rang 30 erreichte. Dass der Weltcup-Auftakt genau dort stattfindet, wird aus mentaler SIcht sicher auch kein Nachteil sein.

Patrick Jakob

Patrick Jakob
Foto: © GEPA

Als fünfter Mann im Team schaffte Patrick Jakob bei der internen Qualifikation in Obertilliach den Sprung ins Weltcup-Aufgebot. Der 26-Jährige gab sein Weltcup-Debüt bereits vor drei Jahren, seit der Vorsaison war er bereits mehrmals in der Beletage der Skijäger mit dabei.

Positiv: Er ist der einzige der fünf Herren, die in Kontiolahti im Aufgebot stehen, bei dem die Leistungstendez in der Vorsaison nach oben zeigte. Jakob kommt dem internationalen Top-Niveau langsam näher, doch die Distanz ist noch zu groß, um von ihm einen Durchbruch zu erwarten.

In der Vorsaison durfte er sich über seine ersten vier Weltcup-Punkte freuen. Im Einzel von Antholz gelang ihm ein 37. Platz. Das dürfte im Moment der Plafond sein, doch die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass er diesen kontinuierlich nach oben verschieben konnte. Dies ist ihm auch heuer zuzutrauen.

Das wäre schon allein mit Hinblick auf die Staffel wichtig, sollte einer aus dem Quartett Eder, Leitner, Komatz und Lemmerer ausfallen - was im Lauf der Saison durchaus passieren kann ist.

Prognose: Der Mann kann noch mehr! Kann er sein Potenzial voll ausschöpfen, sind regelmäßige Platzierungen in den Punkterängen möglich. Realistisch betrachtet ist ihm eine zweistellige Anzahl an Weltcup-Punkten zuzutrauen.

Staffel

Staffel
Foto: © GEPA

Diese stellt sich auch heuer beinahe von selbst auf. David Komatz ist, wie bereits angesprochen, so etwas wie ein Daniel Mesotitsch 2.0. - ein grundsolider Startläufer, der stets in guter Position übergibt und nur wenige Nachlader braucht.

An Nummer zwei ist wie gefühlt seit Dekaden Simon Eder gesetzt. Der letzte Mohikaner der goldenen Biathlon-Generation lief nicht erst einmal als Halbzeitführender zur Übergabe.

Der dritte Mann im Quartett wird aller Voraussicht nach wieder Felix Leitner sein, sofern er nicht den Schlussläufer gibt. Gelingt dem 25-Jährigen heuer auch in der Staffel der lang ersehnte Schritt nach vorne, ist vieles möglich. Danach wird es am Schlussläufer liegen, eine (Top-) Platzierung abzusichern. Und mehr als das darf mich sich wohl auch nicht erwarten.

Dieser Platz dürfte - so ein Patrick Jakob nicht explodiert - an Harald Lemmerer gehen. Wie bereits in der Einzelanalyse erwähnt, hat er zweifellos das Zeug zu einem soliden Schlussläufer, was in Zeiten wie diesen sehr viel wert ist. Freilich: Die berühmten "Landi-Schlussrunden", wo der Weltmeister reihenweise Konkurrenten wie Schulbuben aussehen ließ, darf man sich von Lemmerer nicht erwarten. Dass er ein etwaiges Podium nach Hause läuft, ist ihm aber zuzutrauen.

Prognose: Traditionell hat Österreichs Team auch heuer wieder in dieser Disziplin die besten Chancen auf Spitzenplätze. Dass die russische sowie die belarussische Mannschaft (wie schon Ende der letzten Saison Ausschluss durch die IBU) erneut nicht starten dürfen, wird für die heimischen Loipenjäger kein Nachteil sein. Realistisch ist ein Rang zwischen fünf und acht. Das sollte der Anspruch sein, so Österreichs Herren von Verletzungen und anderen gesundheitlichen Problemen verschont bleiben. Im besten Fall - also, wenn die Top-Nationen patzen sollten - ist sogar ein Podest möglich.

Die Nachrücker

Die Nachrücker
Foto: © GEPA

Mit Magnus Oberhauser (24), Dominic Unterweger (23) und Lucas Pitzer (24) verfügt der ÖSV über drei Athleten, die im zweitklassigen IBU-Cup versuchen werden, der Welt-Elite ein Stück näher zu kommen. Speziell Oberhauser zeigte in der Vergangenheit Potenzial, war in der Vorsaison in Östersund bereits im Weltcup am Start und auch heuer Teil der Weltcup-Überlegungen im ÖSV. Noch ist es für alle drei aber ein weiter Weg, um im Weltcup zumindest einigermaßen mithalten zu können.

Es macht auch wenig Sinn, einen dieser Athleten zu früh ins kalte Wasser zu werfen und ihn so zu "verheizen". Wie man bereits bei David Komatz gesehen hat, macht es mehr Sinn, sie langsam heranzuführen und zumindest zu soliden Weltcup-Startern zu formen.

Fazit

Österreichs Biathlon-Volk wurde in der Vergangenheit durch die Erfolge der "Goldenen Generation" um Christoph Sumann, Dominik Landertinger & Co mit Erfolgen verwöhnt. Doch spätestens seit dem Karriereende von "Landi" ist diese Epoche vorbei, auch wenn mit Simon Eder ein letzter "Mohikaner" diesen Geist noch am Leben erhält.

Deshalb wären Vergleiche mit jenen Männern, die einst zur Weltelite des Biathlon zählten, unfair. Als kleines Biathlon-Land hat man nicht das Glück, laufend über eine solche Dichte an Spitzenleuten zu verfügen und muss auch einmal kleinere Brötchen backen.

Dennoch lohnt es sich, mit Österreichs Skijägern mitzufiebern. Gemessen am vorhandenen Potenzial sind Podestplätze derzeit gefühlte Siege. Deren echte wären natürlich das höchste der Gefühle, dazu muss aber wirlich alles mitspielen.

Auszuschließen sind sie aber freilich auch nicht und im Biathlon kann ohnehin immer alles passieren, wie man weiß. Und abgesehen davon: Einen Simon Eder noch einmal von ganz oben herunterlachen zu sehen, wäre beinahe schon kitschig. Für emotionale Storys sind Österreichs Biathleten ja nicht erst seit gestern bekannt.

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