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Wie ein "Biathlon-Laie" den Sport revolutionierte

Der Zufall, ein grantiger Trainer und ein unbedarfter Maschinenbauer waren Zutaten dafür, dass der Sport im Schießen solch enorme Fortschritte machen konnte.

Wie ein Foto: © GEPA

Wer Biathlon verfolgt, der nimmt es meist als selbstverständlich hin, dass schwarze Scheiben bei Treffern weiß werden, dies im TV-Insert korrekt wiedergegeben wird und dabei eigentlich so gut wie nie Fehler passieren.

Was wir heute an den allermeisten Weltcup-Schießständen sehen, ist das Ergebnis einer über 35-jährigen Entwicklung, die ihren Anfang in den 80er-Jahren nahm. Verantwortlich dafür: Kommissar Zufall, ein grantiger Trainer und ein Maschinenbau-Ingenieur, der gar nicht wusste, was Biathlon ist.

Dem Grant entsprungen

Ralph Kleinekathöfer stammt aus dem beschaulichen Bad Endorf in Bayern. Der Betrieb seiner Familie stellte einst Bespannungsmaschinen für Tennisschläger sowie die dazugehörigen Saiten her. Er sollte der Schlüsselfaktor für jene Datenerfassung sein, die uns Biathlon heute so näherbringt, wie wir das kennen.

(Text wird unter dem Video fortgesetzt)

Kleinekathöfer studierte Maschinenbau und machte sich danach mit seinem Unternehmen "Hora Systemtechnik" in dieser Branche selbstständig. Eines Tages im Jahr 1986 nahm er in seinem Betrieb einen Kunden in Empfang, um einen Auftrag zu besprechen. Im Zuge des Gesprächs erfuhr Kleinekathöfer, dass dieser Trainer im Wintersport beschäftigt war.

"Die Tür war schon zu. Plötzlich macht er sie wieder auf, steckt den Kopf herein und sagt mir: 'Das mit den mechanischen Scheiben regt mich total auf.'"

Kleinekathöfer darüber, wie alles begann

Im Biathlon sei er bei den Deutschen als Trainer tätig. Das war zwar nett zu wissen, hatte bezüglich des Auftrags aber keinerlei Bewandtnis. "Wir haben über etwas völlig anderes gesprochen", erinnert sich Kleinekathöfer bei LAOLA1. Nachdem das Gespräch beendet war, verließ der Kunde das Büro - aber nicht lange.

"Die Tür war schon zu. Plötzlich macht er sie wieder auf, steckt den Kopf herein und sagt mir: 'Das mit den mechanischen Scheiben regt mich total auf. Da trainierst du ganzes Jahr, dann hast du ein Ausscheidungsrennen und dann muss ich schauen, ob irgendwo (auf den Scheiben, Anm.) Schnee draufliegt. Weil wenn das bei den mechanischen Scheiben der Fall ist, dann fällt die nicht um'. Dann hat er mich gefragt, ob ich mir da nicht etwas anderes einfallen lassen könnte", schildert der Bayer.

Zur Einordnung: Früher waren die Scheiben ausschließlich mechanisch. Wurden sie getroffen, kippte der schwarze Teil nach hinten und der weiße nach oben. Das Problem: Sie waren nicht resistent gegen Umwelteinflüsse.

Schnee, Regen, Eis, Wind - all das kann einen Unterschied machen, ob die Scheibe trotz eines Treffers fällt oder nicht. Außerdem mussten alle Treffer per Hand eingegeben werden.

Als plötzlich ein "Lichterl" aufging

Kleinekathöfer wusste zu dem Zeitpunkt über Biathlon so gut wie nichts.

"Ich habe zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht gewusst, was Biathlon ist. Den Begriff habe ich gekannt und es vielleicht auch schon einmal im Fernsehen gesehen. Aber das war es auch schon", erzählt er. Trotzdem sagte er zu. Der Grund: "Zunächst einmal hat es mich ja rein technisch interessiert", so Kleinekathöfer.

Kleinekathöfer mit Ehefrau Maxie, die auch seine rechte Hand ist.

So nahm er sich Zeit und baute ein Modell. "Bei dem habe ich eine Eisenkugel auf eine Stahlplatte fallen lassen und dann ist ein Lichterl angegangen. Dann hat er gesagt: 'Genau! So etwas musst du bauen!'". Der Grundstein für die heutigen elektronischen Schießscheiben war gelegt.

Es sollte bis zur Umsetzung im Weltcup aber noch ein paar Jahre dauern. "Anfang der 90er-Jahre haben wir das technisch dann wirklich so weit im Griff gehabt, dass es das ist, was man heute sieht", erzählt Kleinekathöfer.

Bei mittlerweile sechs Olympischen Spielen war er seit Albertville 1992 im Einsatz. Nicht bei allen, denn es gibt auch Veranstalter, welche noch auf die klassischen Schießscheiben setzen, die von einem Unternehmen aus Skandinavien hergestellt werden. Doch bei Olympia im kommenden Jahr wird er wieder dabei sein.

In Kontiolahti setzt man noch auf die mechanischen Scheiben.
Foto: © GEPA

Auch ein großer Teil der Weltcuporte setzt auf Kleinekathöfers Scheiben; unter anderen Pokljuka, Ruhpolding, Lenzerheide, Antholz, Hochfilzen, Oberhof und Nove Mesto wurden schon von ihm ausgestattet. Aber auch IBU-Cup-Orte wie Ridnaun und Martell sowie Almaty und Korea, China und Salt Lake City.

Neue Transparenz

Seit er mit seinem Produkt im Biathlon Fuß gefasst hat, ist viel an Entwicklung passiert.

Die bereits angesprochenen Inserts im TV sind auch Kleinekathöfer zu verdanken. Seine Technologie liefert die Daten dafür. "Es ist transparent geworden, man versteht das Rennen. Dadurch erkennt man, wie spannend Biathlon sein kann. Das ist etwas, das die Faszination Biathlon ausmacht", erklärt er stolz.

Der einstige Biathlon-Laie ist mittlerweile zum Weltenbummler geworden, der längst mehr über Biathlon vergessen hat, als andere je lernen. Heute hat er den Sport "lieben und schätzen gelernt. Die Faszination wird bei mir nie verloren gehen. Ich bewundere die Sportler unendlich."

Abwechslungsreicher Alltag

Doch wie schaut der Alltag von "Mr. Schießstand" eigentlich aus? Da muss man freilich ganz klar zwischen Sommer und Winter unterscheiden.

"Im Sommer bauen wir diese Anlagen oder fahren auch einmal zur Wartung irgendwohin", schildert er. Nebenher macht er mit seinem Unternehmen auch "ganz normalen Maschinenbau", so Kleinekathöfer.

Im Winter betreut er mit seinem Team die Wettkämpfe. "Da machen wir also Dienstleistung und das bereitet uns viel Freude, weil wir das, was wir gebaut haben, auch arbeiten sehen. Das hat ja nicht jeder", merkt er an.

Manchmal verkaufe man "etwas irgendwohin und danach sieht man es nie wieder". Er aber hat sein Produkt laufend vor Augen. Auf diese Art "können wir auch immer weiterentwickeln", streicht er hervor.

"Das hat den Sport auf ein Niveau gebracht, das vor 20 Jahren überhaupt nicht vorstellbar war"

Kleinekathöfer über die Datenvielfalt, die dank seines Systems möglich ist

Es ist auch sein Verdienst, dass der Sport im Schießen so enorme Fortschritte gemacht hat. Die nun fast 40-jährige Datenerfassung ermöglicht Langzeitanalysen.

"Da kann man ablesen, wie sich das Schießen entwickelt hat. Das stellen wir auch allen zur Verfügung. Das hat den Sport auf ein Niveau gebracht, das vor 20 Jahren überhaupt nicht vorstellbar war", so Kleinekathöfer.

"Pinsel-Gate" in Salt Lake City 

Dass es in so langer Zeit natürlich auch die eine oder andere kuriose Szene gibt, liegt auf der Hand. An eine erinnert er sich heute noch gerne. "Wir liefern auch die passenden Lacke zu unseren Scheiben. Weil wir natürlich genau wissen, welcher Lack am besten funktioniert", erklärt er.

Das sahen die Verantwortlichen bei Olympia 2002 in Salt Lake City anders. Dort war man der Meinung, dass Kleinekathöfers Lacke "giftig" seien. Es bleibt wohl ein ungelöstes Rätsel, ob sie diese auf die Scheiben streichen oder trinken wollten.

Tatsache ist, dass die Lacke "auch bei Minustemperaturen funktionieren müssen und das ist auch gar nicht so trivial, wie man meint", so Kleinekathöfer. "Da sind sie mit wasserlöslichen Lacken dahergekommen", erinnert er sich lachend.

"Mit denen ist ihnen dann halt leider beim Streichen der Pinsel an der Scheibe festgefroren, ohne dass die Farbe je getrocknet wäre". Schließlich ließen sich die Verantwortlichen doch überzeugen - und nutzen sein Produkt bis heute.

Das Ergebnis einer "lustigen Begebenheit"

Ob Athlet:innen, Fans oder die IBU als Dachorganisation: Der Biathlon hat Ralph Kleinekathöfer vieles zu verdanken. Mehr als die meisten bisher zu ahnen vermochten.

Der Bayer begann mit einer simplen Idee, mit etwas, das sich aus "einer lustigen Begebenheit heraus entwickelt hat, aus einem Spaß daran, so etwas zu entwickeln. Ohne überhaupt Aussicht zu haben, dass man damit jemals Geld verdienen kann", wie er selbst sagt.

Kleinekathöfer agiert bis heute meist im Hintergrund, nimmt sich nicht zu wichtig, zeigt sich bescheiden und dankbar, seiner Leidenschaft folgen zu dürfen. Dabei könnten wir diesen Sport ohne ihn heute nicht so erleben, wie wir das tun.


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