Am Mittwoch könnte bereits das letzte Spiel der laufenden EBEL-Saison über die Bühne gehen. Mit einem Heimsieg gegen die spusu Vienna Capitals könnte sich der KAC im Spiel 6 (ab 20:20 Uhr im LAOLA1-Ticker) der Final-Serie zum Meister krönen.
Das Finale zwischen den "Rotjacken" und den Caps ist auch das Duell der besten EBEL-Torhüter, ohne Statistiken auch nur heranzuziehen.
LAOLA1-Experte Bernd Freimüller wagt einen Blick auf Parallelen und Unterscheide zwischen Lars Haugen und Jean-Philippe Lamoureux.
Karriere:
Lamoureux war nach seinen College-Jahren ein typischer AHL/ECHL-Borderliner. Mit 27 Jahren kam er nach Europa und blieb in der EBEL picken. Ein Jahr in Laibach, vier Jahre in Villach und drei in Wien. Er erwarb sich den Ruf eines Vielspielers, den er auch in Anspruch nimmt und ohne Verletzungen verteidigt. Unter 40 Spiele im Grunddurchgang machte er es nie, dazu zog er in jeder seiner EBEL-Saisonen in die Playoffs ein.
Trotzdem es sein Agent Gary Seigo mehrmals probierte, reichte es nie zu einem Engagement in einer besseren Liga. Vor Jahren etwa interessierte sich ein SHL-Team für ihn, dessen Goalietrainer schreckte aber seine Größe ab. Auch die nächsten Jahre wird er in der EBEL bleiben, wenn auch mit größter Wahrscheinlichkeit nicht in Wien.
Lars Haugen verließ schon mit 17 Jahren seine Heimat und heuerte in Leksands an, wo er zwei Jahre im Nachwuchsbereich verbrachte, allerdings ohne große Wellen und selbst in norwegischen Juniorennationalteams als Mitläufer. Auch nach seiner Rückkehr nach Norwegen schaffte er es bei Sparta Sapsborg lange nicht zum Einsergoalie, erst mit 22 Jahren gelang ihm das bei Lorenskog, was ihm auch sein Nationalteamdebüt einbrachte.
Über die weißrussische Liga (wahrlich keine Topdestination) spielte er sich zum KHL-Team Dynamo Minsk hoch, seinen drei Saisonen dort (nie mehr als 30 Spiele) folgten dann drei bei Färjestads und ein Stammplatz im norwegischen Nationalteam. Im Gegensatz zum klaren Einser Lamoreux war er meist Part eines Goalie-Duos, dafür aber in zwei europäischen Spitzenligen.
Wie mir ein Färjestads-Insider vor der Saison sagte: „Wenn er nach einer Pause ins Tor kam, brauchte er ein bisschen, bis er auf Höchstouren kam.“ In Klagenfurt tat ihm die Rolle als klarer Einser mit einem zeitweilig eingesetzten Zweier (Madlener) sehr gut, er wirkt in den Playoffs hellwach. Das gleiche gilt aber auch für Lamoureux, der erst nach dem Erwerb von Bernhard Starkbaum zu Ruhepausen kam. Haugen absolvierte heuer so viele Playoff-Spiele wie in den letzten sechs Jahren zusammen, Lamoureux legte den (für mich unverständlichen) Ruf eines Goalies, der in den Playoffs schwächelt, ab.
Stickhandling:
Hier hat Haugen klare Vorteile – Dumps und Rims ergeben bei ihm kaum einen Sinn, er stoppt sie alle und kann sie mit der Vor- und Backhand auch weiterleiten bzw. sogar einen Headman-Pass spielen. Seine Stockarbeit ist nicht in der Katergorie eines Marty Brodeur oder Timo Pielmeier aber weit über dem Durchschnitt. Graz etwa dumpte mit zunehmender Verzweiflung viele Scheiben hinter das KAC-Tor, ich zählte in einem Drittel fast eine zweistellige Zahl an Pucks, die Haugen stoppte und für seine Teamkollegen spielbar machte.
Lamoureux ist nicht ganz so aktiv im Spiel außerhalb des Torraums, stoppt aber natürlich auch eine gewisse Anzahl an Scheiben hinter und neben seinem Tor. Er belässt es aber meist dabei, den Puck für seine Defender liegenzulassen, längere Pässe kommen nicht so scharf wie die von Haugen. Dieser Aspekt des Goaliespiels wirkt bei Lamoureux wie Pflichterfüllung, bei Haugen dagegen als Galaelement.
Körpersprache:
Beide Goalies sacken auch an schwächeren Tagen nicht in sich zusammen. Haugen ist ein bisschen mehr ein Showboater als Lamoureux, er scheint oft seinen Mit- als auch seinen Gegenspielern sagen zu wollen: „Bring it on!“. In seinem Spiel sind keine großen Mätzchen beinhaltet, seine „Cockiness“ ist aber etwas, was Scouts sehr gerne in einem Goalie sehen.
Lamoureux hat natürlich wie Haugen auch seine schwächeren Momente oder Spiele, aber diese sind sehr rar und er erholt sich auch gut von frühen Gegentoren. Er verziert seine Saves etwas weniger als Haugen, gibt die Scheibe nach seinen Paraden schnell frei und konzentriert sich wieder auf die nächste Aktion. Die Zeiten, als er gegen aggressive Gegner oder gar gegen Schiris ausflippte, sind schon lange vorbei.
Größe:
Hier hat Haugen Vorteile, obwohl seine 1, 83 Meter heutzutage auch bestenfalls eine Durchschnittsgröße für einen Goalie darstellt. „Play big and soft“ ist eine Anforderung, die Goaliecoaches an ihre Schützlinge stellen, Haugen kommt dieser auch meist nach und wirkt größer als ausgewiesen. Lediglich bei der letzten A-WM, wo Haugen allerdings Weltstars wie Connor McDavid oder Sebastian Aho gegenüberstand, dachte ich mir manchmal, dass seine Beine bei gewissen Saves um ein Alzerl zu kurz waren.
Mit 1, 78 Metern gehört Lamoureux auch in der EBEL zu den kleineren Goalies, lediglich Michael Ouzas, Luka Gracnar und Dan Bakala sind bei den Starting Goalies noch unter der magischen Grenze von sechs Fuß angesiedelt. Lamoureux ist in dieser Gruppe auch der schlankste, vereinfacht gesprochen, füllt er das Tor am wenigsten aus.
Wenn es um kleinere Goalies geht, hört man oft mantrahaft, dass diese öfters hoch bezwungen werden. Das stimmt auch in Übersee, wo sich in der NHL sehr oft die Spreu vom Goalieweizen trennt, denn die besten Schützen der Welt können die Scheibe halt besser „elevaten“ (=anheben) als die AHL-Scorer. Doch in einer Liga wie der EBEL sind halt keineswegs Topspieler vertreten, Lamoureux wird für mich auch nicht wesentlich öfters hoch bezwungen als seine Amtskollegen. Allerdings werden bei ihm diese Gegentreffer mehr thematisiert.
Einen unbestrittenen Nachteil haben kleinere Goalies aber: Sie können über den Verkehr vor ihnen nicht drüberschauen, müssen Weg finden, den Puck durch einen Dschungel an Spielern und Stöcken zu tracken. Lamoureux ist darin ein Meister, lugt um die Spieler herum und kann der Schussbahn der Scheibe meist folgen. Wenn das einmal nicht gelingt – wie etwa beim Treffer von Will O‘Neill im sechsten Halbfinale – und er noch dazu relativ weit im Tor steht, gibt er auf einmal sehr viel seines Kastens preis.
Stil:
Hier gibt es zwischen beiden Goalies einige Parallelen, aber auch gewichtige Unterschiede.
Für mich agiert Haugen ein bisschen mehr von der Mitte des Tores aus, während Lamoureux keine Probleme damit hat, von einem Posten zum anderen zu gleiten. Lamoureux macht das auch in einem Push, während ich bei Haugen auch „Shuffle“-Elemente gesehen habe, die er aber sehr sparsam einsetzt. Beide haben gemein, dass sie ihren Körper bei den Lateralbewegungen geschlossen halten können, also weniger Löcher hergeben. Ab und zu pusht Lamoueux etwas zu früh lange Ecke, einige (wenige) Gegentreffer erwischten ihn dann während dieser Bewegung an der kurzen Stange.
Der Caps-Goalie ist aber sonst bei Seitwärtsbewegungen ein Meister: Der OT-Save gegen Nick Petersen im ersten Finale war umso bemerkenswerter, weil er bei diesem Breakaway nicht nur seitlich mit dem Schützen mitging und diesem kein Loch anbot, sondern er den Schuss dann auch festhielt – eine Besonderheit, die mir bei ihm schon öfters auffiel. Selten kommt Lamoureux in seiner Seitwärtsbewegung außer Kontrolle, wie etwa beim Treffer von Petersen zum 2:0 im Finale vier, als der Goalie schnell nach rechts musste, dabei Stock und Handschuh verlor und auch noch mit dem rechten Skate in die Stange krachte.
Wie bei diesem Tor agieren beide Goalies öfters aus der „Reverse VH“-Postion, sprich die Schiene am näheren Pfosten ist horizontal am Eis, das andere Bein geht vertikal zur langen Stange. Sowohl Lamoureux und Haugen verwenden diese Technik öfters, liefern sich ihr aber nicht so sklavisch aus wie etwas Mac Carruth, der gefühlt oft stundenlang in ihr zu verruhen scheint. Wenn sich das Spiel wieder weiter vor das Tor verlagert, sprich weniger Schüsse aus spitzem Winkel zu erwarten sind, kommen sie wieder hoch und geben dieses Stilelement, das zu einer gewissen Faulheit verleitet kann, wieder auf. Beide mixen auch andere Techniken in ihr Spiel, etwa einen „Overlap“ bei Spielzügen aus schlechten Winkeln. Ich bilde mir ein, bei Lamoureux auch einmal ein „VH“ am linken Pfosten gesehen zu haben. Dabei kann es sich aber auch um eine Sinnestäuschung gehandelt haben, ist dieses Element (näheres Bein oben, darüber der Blocker) für Lateralbewegungen nicht so gut und daher auch nicht so populär.
Beide Goalies verfügen über sehr gute Gloves, sie fangen sicher und lassen die Scheibe nur sehr selten aus. Haugen macht aus solchen Saves auch gerne eine kleine Show mit einer „Statue of Liberty“-Verzierung. Der weiße Fanghandschuh von Lamoureux wirkt oft wie ein Magnet und kommt mir auch sehr, sehr groß vor, fast bratpfannenhaft.
Beide Torsteher agieren sehr aggressiv mit ihren Stöcken, etwas was etwa David Kickert bei großem Verkehr noch abgeht. Haugen ist der bessere Poke-Checker, der einige Pässe durch den Slot damit abfangen kann. Ich habe aber auch schon Situationen gesehen, wo er hierbei gambelt und sich damit aus der Position bringt. Lamoureux vertraut bei großem Verkehr gerne auf „Paddle down“, versucht also, den flachen Teil des Tores mit einem horizontalen Stock wegzunehmen. Er hat auch keine Hemmungen, sich bei chaotischen Momenten seines Schlägers zu entledigen. Alle beide sind aber auch sehr gut darin, im Chaos um das Tor die Scheibe zu finden und sie einzufrieren.
Beide Goalies können in Desperation Mode umschalten, Lamoureux etwa entschied mit einigen davon die Serie gegen Salzburg für sein Team. Haugen ist der stilistisch solidere Goalie, bleibt auch etwas länger auf den Beinen, aber auch er kann in Not von seinem tiefen, fast etwas X-beinigen Stil abrücken und zu Fußballgoalie-Elementen greifen. Lamoureux wendet diese aber noch etwas öfters an, ist auch deswegen für Schützen nicht leicht auszurechnen. Wie oben beschrieben, kann er bei Breakaways auch lange mit dem Schützen mitgeben, umgekehrt aber – wie beim Geier-Treffer am Montag – mit dem flachen Stock und Blocker Richtung Scheibe gehen und damit oben offener sein. Beide können, auch wenn schon geschlagen, mit dem Stock oder den Armen noch nach hinten ausschlagen, was für ihren flexiblen Oberkörper spricht. Haugen verfügt glaube ich noch über bessere Bauchmuskeln als Lamoureux, kann dadurch auch bei Scrambles sehr gut dagegenhalten.
Für beide Torhüter enden die Bewegungen bei ihren Stangen oder knapp darüber hinaus – Szenen wie etwas bei Pekka Tuokkola, der manchmal in Richtung Seitenbande oder gar Wörthersee zu schlittern drohte, gibt es hier so gut wie nie.
Sowohl der Norweger als auch der Amerikaner verfügen über eine hervorragende Rebound-Kontrolle. Haugen lässt gerne die Scheibe von seiner Brust in seinen Handschuh oder knapp nach vorne prallen. Lamoureux ist an guten Tagen überhaupt ein saugender Goalie, aus dessen Körper fast keine Scheiben mehr abzuprallen scheinen.
Parallelen gibt es zwischen den beiden im Stellungsspiel bei Schüssen von außen: Wenn diese klar zu sehen sind und sich keine Passoption auftut, kommen sie sogar über den Torraum hinaus, ansonsten agieren sie bis zum „Edge of blue“. Beide spielen für mich nicht überaggressiv, agieren aber auch keineswegs zu tief im Tor. Bei Lamoureux wäre letzteres aufgrund seiner Größe auch tödlich.
Einen Vorteil für Lamoureux sehe ich beim Einsatz seines Blockers: Er wehrt damit irrsinnig viele Schüsse ab und das kontrolliert, etwa in die Ecke oder in das Fangnetz. Solche Saves sind weniger spektakulär als mit dem Handschuh, gehen oft sogar unter (hat er den überhaupt noch berührt?). Aber in dieser Kategorie ist Lamoureux für mich der Beste seines Faches in der EBEL. Haugens tiefer Stance endet oft in einem breiten Butterfly, sowohl sein Blocker als auch sein Glove können ruckartig unter die Latte gehen, sein Ellbogen sind extrem nach außen gespreizt.
Mit Lars Haugen und J-P Lamoureux stehen die beiden besten EBEL-Goalies im Finale, vor allem die Caps wären ohne ihren langjährigen Einser nie über Salzburg hinweggekommen. Es macht Spaß, beide im Direktduell bei ihrer Arbeit zu beobachten. Sie ähneln einander in manchen Aspekten, in anderen sind sie aber auch wieder völlig konträr. Vor allem aufgrund ihrer völlig unterschiedlichen Karriereverläufe (der eine in ausländischen Spitzenligen, der andere ein jahrelanger Ligagarant) sind ein Beweis dafür, dass die Herkunft eines Goalies nicht über dessen EBEL-Tauglichkeit aussagt…