Die Sonne scheint über Graz-Liebenau.
Nicht nur aufgrund der sportlichen Erfolge des SK Sturm, sondern weil sich solche im "Bunker" lautstark ankündigen. Im Umfeld der 99ers herrscht große Euphorie, ausgelöst durch die neue Führungsriege um Präsident Herbert Jerich. Die neuen starken Männer im Porträt >>>
25 Jahre nachdem Jochen Pildner-Steinburg den Eishockeysport in Graz gerettet hat, brechen neue Zeiten an. In der Murstadt wird langfristig vom Meistertitel geträumt, Schritt für Schritt wollen sich die "Graz99ers 2.0" wieder als Spitzenmannschaft etablieren.
"Langfristig" war auch jenes Wort, welches vergangenen Freitag bei einer Pressekonferenz auf dem Schlossberg – ein Indiz dafür, dass es hoch hinausgehen soll – mit großem Abstand am häufigsten benutzt wurde.
Eine langfristige Vision hier, langfristige Ziele da – doch wer das Geschehen rund um die 99ers in den vergangenen Tagen und Wochen etwas genauer mitverfolgt hat, stellt sich unweigerlich die Frage: Welche Bedeutung wird Langfristigkeit in diesem Projekt überhaupt zugestanden?
Was soll diese Transferpolitik bringen?
Jerich, ein überaus erfolgreicher Unternehmer, der mit seiner Firma "Jerich International" Standorte in aller Herren Länder aufgebaut hat, machte bei seiner Vorstellung unmissverständlich klar, kein Präsident für zweite oder zehnte Plätze zu sein.
Wie lässt sich diese Aussage mit langfristigem Denken vereinen? Ganz ehrlich: gar nicht.
Da hilft es auch nicht, dass es in einer vorab verteilten Presseinfo hieß, die Graz99ers würden einen langfristigen Erfolg anstreben, "der von der Nachwuchsförderung bis zur Leistung der Kampfmannschaft reicht."
Kurzfristiger Erfolg schließt langfristigen Erfolg per se nicht aus, irgendwo muss ja einmal angefangen werden - doch die Transferpolitik lässt den Rückschluss ziehen, dass im April 2025 die Headline "Noch nie dagewesener Aufstieg: Vom abgeschlagenen Schlusslicht zum dominanten Meister" die Zeitungen und Sport-Webseiten zieren soll.
Lukas Haudum und Kevin Roy spielen nächste Saison sicher an der Mur, dazu werden u.a. Rok Ticar, Nick Albano, Paul Huber, Trevor Gooch, Clayton Kirichenko, ICE-MVP Steven Owre oder Ambri-Legionär Kilian Zündel gehandelt – nicht unwahrscheinlich, dass sich tatsächlich all diese Namen ebenfalls den 99ers anschließen werden.
"The cherry on the cake”, wie es in der englischen Sprache so schön heißt, wäre aber die Verpflichtung von Jussi Olkinuora.
Der 33-jährige Torhüter zählt in Europa zur absoluten Spitzenklasse, gewann 2017 mit JYP und 2024 mit Genf-Servette die Champions Hockey League, holte mit Finnland 2019 und 2022 WM-Gold, außerdem wurde er mit seinem Heimatland im selben Jahr Olympiasieger.
Den Traum von der NHL konnte er sich zwar nie erfüllen, doch im Juni 2022 unterschrieb Olkinuora in Detroit einen für die NHL und AHL gültigen Einjahresvertrag in Höhe von 750.000 US-Dollar.
Zwar wurde dieser nach sechs Monaten einvernehmlich aufgelöst, aber der Punkt ist: Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass der Finne seine Dienste nicht für ein Butterbrot anbieten wird.
Der richtige Weg, um Identifikation zu schaffen?
Natürlich locken solche Spitzenspieler die Fans in Scharen in die Halle und versprechen Erfolg, sofern sie sich in entsprechender Verfassung befinden.
Doch: Ist das der richtige Weg? Kurzfristig bestimmt. Aber kurzfristig – konkret im ersten Jahr des Neustarts - sollten eigentlich nur die Playoffs erreicht werden.
Muss man dafür die halbe Liga aufkaufen? Muss ein derart klares Signal an den vorhandenen und künftigen Eigenbau gesendet werden, dass der Verein jetzt richtig Kohle besitzt und sich jeden x-beliebigen Spieler leisten kann, wenn Bedarf besteht?
Nicht falsch verstehen, der Nachwuchs kann von Spielern wie Olkinuora extrem viel lernen. Das aktuelle "Best-Practice"-Beispiel ist Jan Mursak in Klagenfurt, auch in Salzburg gab es in der Vergangenheit solche Ausnahme-Spieler, von denen sich die Jungen auf und abseits der Eisfläche etwas abschauen konnten.
Doch das wahllose Einkaufen von Spielern, im Speziellen von Legionären, nach dem Grundsatz: "ah, der hatte heuer gute Zahlen, den nehmen wir" – das ist nicht zielführend und wird es auch nie sein.
Die ICE ist schlichtweg die falsche Liga, um nach diesem Prinzip zu arbeiten. Sie ist eine Entwicklungsliga, ein Sprungbrett, um in die Schweiz, nach Schweden, Finnland oder Deutschland zu kommen – und nicht das Ziel eines jeden Eishockey-Spielers auf unserem Kontinent.
Natürlich vermitteln längerfristige Verträge ein Gefühl von Kontinuität, geben den Anhängern die Chance, sich mit diesen Akteuren zu identifizieren. Aber kann ich das denn wirklich, wenn ich ganz genau weiß, dass ein Lukas Haudum allerspätestens nach dem Auslaufen seines Dreijahresvertrags nochmal ins Ausland gehen will, wenn sich ihm die Chance bieten würde?
Im Gegensatz zum Vorstand würde ich dafür nicht meine Hand ins Feuer legen.
DARAN müssen sich die Verantwortlichen wirklich messen lassen
Viel wichtiger wäre es, Jugendspielern eine gute Ausbildung zu ermöglichen und ihnen die Chance zu geben, sich nach und nach in den Profi-Betrieb integrieren zu können.
In dieser Hinsicht klingen Philipp Pinters Worte durchaus vielversprechend, der Villacher hat in seiner Heimat als Nachwuchschef großartige Arbeit geleistet, die dort gewürdigt wird.
Sein Wunsch, Harry Lange als neuen Head Coach einstellen zu wollen, macht daher überaus Sinn. Denn es wird essenziell sein, einen Trainer zu verpflichten, der dem Nachwuchs eine Chance geben will und auch dann auf ihn baut, wenn der sportliche Erfolg einmal nicht gegeben ist. Aktuell fehlt seine Zusage aber noch >>>
Unter diesem Gesichtspunkt sollte der Grazer Blick tunlichst über die Pack gerichtet werden, wo sich der KAC in den letzten Jahren zurecht für seine Jugendarbeit gerühmt hat.
Zu groß scheint nämlich die Gefahr, dass sich die "99ers 2.0" aufgrund der nun vorhandenen monetären Mittel zu einem "Salzburg 2.0" entwickeln könnten.
Dass es nicht so weit kommt, in der zweitgrößten Stadt des Landes sportlicher Erfolg mit toller Nachwuchsarbeit vereint wird und der Eigenbau in weiterer Folge bei den Profis gedeihen darf – DARAN müssen sich die Führungsperson in den kommenden Jahren messen lassen, nicht an der Anzahl der errungenen Meistertitel.
Damit wäre ganz Eishockey-Österreich geholfen...