Auf geht's in ein neues Jahr, die ICE gönnte sich – als einzige europäische Liga – ja nicht einmal am Neujahrstag eine Pause.
Auch Scouts können nicht durchschnaufen, schließlich ist das Saisonende gar nicht mehr so weit entfernt.
Ein Blick auf einige Grundregeln, die als Neujahrsvorsätze nochmals ins Gedächtnis gerufen werden können:
Keine unnötigen Spiele besuchen
Scouts werden dafür bezahlt, dass sie sich Eishockeyspiele ansehen – hört sich für viele Fans wie ein Traumberuf an. Doch eine solche Euphorie ist nur kurzlebig und eine Regel wird dann immer wichtiger als sonst: Keine Spiele zu besuchen, wo nichts zu erwarten ist.
Dazu gehören Partien, wo von Haus keine interessanten Spieler zu beobachten sind, etwa Nachwuchsspiele mit Cracks, die keinerlei Leistungsnachweise aufweisen. Tschechische NHL-Scouts haben es überwiegend aufgegeben, sämtliche Teams zu sehen, die in der Slowakei ohnehin schon länger. Ein Scout aus demselben Land, der etwa für ein Extraligateam arbeitet, wird das wieder anders sehen, ein Recruiter für Nachwuchsorganisationen sowieso.
Aber auch Spiele mit interessanten Cracks können uninteressant werden. Wie das? Ganz einfach: Man hat die Spieler schon mehrere Male gesehen, vor allem am Ende einer Saison droht ein "Overscouting": Spieler wurden schon oft genug beobachtet, man sucht nur mehr nach Fehlern, die gar nicht da sind.
In der ICE etwa bin ich nach Jahreswechsel nur mehr wenig unterwegs, die interessanten Cracks sollte ich schon kennen. Einen Spieler einmal zu sehen, ist nicht genug, vier oder fünfmal braucht es aber auch nicht.
Natürlich kann ein eigentlich interessantes Spiel auch uninteressant werden – der oder die wichtigen Spieler fallen verletzt aus, müssen früh vom Eis oder das Spiel steht schon nach 10 Minuten 5:0. Das gehört zum Berufsrisiko, aber eine Reise nach Bratislava wäre dann leicht zu verkraften, eine nach Kosice schon weniger.
Ein Abend zu Hause ist kein Fehler, gerade an Freitagen oder Sonntagen kommt das während einer Saison aber kaum vor. Am Ende der Saison ist auch nicht die Anzahl der Spiele wichtig, sondern die der Berichte. Mit anderen Worten: Besser ein Spiel mit zehn definierten Reports als zehn Spiele ohne…
Vorsicht bei Video
Videoscouting ist in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, vor allem in der Corona-Zeit. Für mich ist und bleibt es eher eine gute Ergänzung, Gerade wenn es um das Eislaufen oder um das Spiel ohne Scheibe geht, kann die Kamera wie eine Milchglasscheibe oder beschneidend wirken.
Aber natürlich sind Scoutingprogramme gerade in Europa unerlässlich – "InStat" oder "SportContract" lassen es zu, die Shifts einzelner Spieler zu sehen, auch unterteilt in "Even Strength", PP oder PK. Unwissenschaftlich, aber doch verlockend ist es, sich nur die Tore eines Spielers anzusehen.
Das habe ich vor kurzem bei einem Stürmer gemacht, den ich in der Slowakei live gesehen habe und der mir gut gefallen hat. Die Tore haben ihn natürlich noch interessanter gemacht, nur: Das erinnert dann schon an Highlightvideos, wo selbst der mieseste Spieler gut aussieht. Den Reflex, sich von solchen einseitigen Videos zu einer Empfehlung hinreißen zu lassen, sollte man tunlichst unterdrücken.
"Videos – entweder als ganze Spiele oder eben als Ausschnitte – sind mittlerweile unerlässlich geworden, aber der einzige Grund, warum sie Livebesuche vollständig ersetzen, können nur die Reisekosten sein."
Videos – entweder als ganze Spiele oder eben als Ausschnitte – sind mittlerweile unerlässlich geworden, aber der einzige Grund, warum sie Livebesuche vollständig ersetzen, können nur die Reisekosten sein.
Ehrlichkeit
Ein Scout kann Berater sein, Kaderplaner, Auskunftsperson, eine zweite oder dritte Meinung, an vorderster Front oder im Hintergrund agieren – im Gegensatz zur NHL, wo sie eine klar definierte Rolle haben, ist das in Europa immer Definitions- oder Verhandlungssache. Aber eines bleibt gleich: Eine ehrliche Meinung ist gefragt.
Ich habe mir schon lange angewöhnt, bei jedem Spieler die Stärken UND Schwächen zu erwähnen. Einseitige Reports sind Agenten vorbehalten, bei mir kann sich das eher so anhören: "Kraftvoller Eisläufer, guter Motor, sehr guter Schuss. Spielt im PP immer linke Halfwall, vor dort Schütze und nicht Playmaker. Ohne Scheibe wenig Interesse, kein Mann für die Recovery. Macht dich offensiv besser, defensiv nicht."
Oder auch: "Macht dich als Team schneller, erhöht den Teamspeed. Bezüglich des Hockey IQs aber nicht."
Was ein GM oder Sportdirektor mit diesen Informationen macht, bleibt ihnen überlassen, aber ein klares "Musst du holen" oder "Finger weg!" trifft nur auf wenige Spieler zu. Ein Spieler, der im Sommer kein Thema sein sollte, kann knapp vor der Trade Deadline wesentlich attraktiver erscheinen.
Informationen einholen
Das gehört natürlich zum Kerngeschäft – wie trainiert der Spieler? Wird er beim ersten Training in guter Verfassung sein und rollt er sich da erstmals vom Sofa? Ist er in der Kabine ruhig, ein Leader oder ein „Dressing Room Lawyer“ (= will indirekt die Richtung vorgeben)? Sieht man ihn nur zu Saisonbeginn und -ende im Büro oder nervt er dort unentwegt?
Solche Infos können helfen, sollten aber die Beiträge auf dem Eis nicht überlagern. Für mich immer wieder faszinierend: Wie unterschiedlich Coaches sind, wenn man sie über Spieler befragt. Der eine kann dir detaillierte Reports über jeden Spieler in der Liga geben, der andere kommt über nichtssagende Phrasen selbst bei seinen eigenen Spielern nicht hinaus.
Ich habe vor kurzem einen Coach zu einem Spieler befragt, gegen den er vor kurzem gecoacht hat. Seine Antwort: „Er war gut“. Natürlich an Dürftigkeit nicht zu überbieten, das erspart mir aber auch weitere Anfragen zu anderen Spielern.
Wie schwer es aber sein kann, selbst gut bekannte Spieler auf ihre charakterliche Festigkeit einzuschätzen, mussten gerade die Innsbrucker Haie feststellen. Brady Shaw, den man nach einem Jahr der Zusammenarbeit gut kennen müsste, wurde wenige Monate nach seinem ICE-MVP-Titel freigestellt und musste nach Frankreich emigrieren.
Der Jahreswechsel ist eine gute Gelegenheit, sich Regeln noch einmal ins Gedächtnis zu rufen und die zweite Saisonhälfte zu planen. Aber die Uhr tickt für heuer, Anfang März gehen die ersten Teams schon in Urlaub…