Die Eishockey-Saison naht in großen Schritten! Mit dem Start der ICE Hockey League am 25. September (im LIVE-Ticker) startet die heimische Liga in eine neue Ära, nachdem die Corona-Krise den Abschluss der letzten EBEL-Saison und damit die Kür eines Meisters verhinderte.
Auch die Vereine der Scheibenjagd präsentieren sich durch die widrigen Umstände zum Teil mit einem neuen Gesicht.
LAOLA1-Experte Bernd Freimüller nimmt in seiner traditionellen Saison-Vorschau wieder alle Teams unter die Lupe. Die Graz99ers haben ihren Umbau schon vor Corona vorgenommen und stehen jetzt mit leeren Kassen da, ist eine konkurrenzfähige Truppe zusammengekommen?
Das sollte klappen
Offensiv dürften die 99ers gut besetzt sein. Einerseits quantitativ mit 14 Stürmern, allerdings inklusive Nachwuchskräfte wie Julian Pauschenwein (verpasste fast die gesamte letzte Saison) und Clemens Krainz, andererseits auch qualitativ. Etablierte und in ihrem Leistungsvermögen gut abschätzbare Cracks (Ken Ograjensek, Oliver Setzinger, Travis Oleksuk sowie der allerdings langzeitverletzte Daniel Oberkofler) wurden mit Spielern ergänzt, die Offensivpotenzial mitbringen. Joel Broda – nicht der Schnellste, aber schussstark. Hunter Fejes – ab und zu etwas eigensinnig, aber ein Speed-Merchant und unter die Haut gehend. Johan Porsberger – bei 5-gegen-5 vielleicht etwas lazy (so auch seine Reputation aus Schweden), im Powerplay von der Halfwall eine Schussmaschine. Dazu kommen noch Tony Cameranesi, der als Spielertyp Matt Garbowsky ersetzen könnte sowie Parker MacKay, für den sich Coach Doug Mason aufgrund seiner Collegekarriere stark gemacht hat. Auch wenn nicht alles aufgehen wird und kann - drei starke Angriffslinien sollten sich ausgehen.
Oberkofler, Setzinger, Philipp Lindner, Erik Kirchschläger, Lukas Kainz, Dominik Grafenthin – im Gegensatz zu früher verfügen die Grazer über einen größeren und brauchbareren Österreicherstamm, zu dem heuer auch Mario Altmann (allerdings schon in der Schlussphase seine Karriere) und das ewige Talent Adis Alagic dazustießen. Ein Mitgrund für die Erfolge der letzten Jahre, schwächere oder verletzte Legionäre stoßen den Verein nicht gleich in den Abgrund wie etwa in Dornbirn oder Innsbruck…
Das könnte klappen
In der letzten Saison waren die Grazer zu Beginn etwas soft – auch ein Grund für die Nachverpflichtung von Charlie Dodero. Mit ihm, Kevin Moderer (gegen Slovan Bratislava allerdings mit einem Satz heißer Ohren versehen) und Fejes haben die 99ers zumindest drei Leute, die im überschaubar physischen ICE-Hockey für Zucht und Ordnung bzw. Provokation (Fejes) sorgen können. Allerdings sind Dodero und Moderer stets Kandidaten für dumme Strafen.
Im Gegensatz zu Vorzeiten wirft man in Graz nicht mehr gleich die Nerven weg, das sich ewig drehende Trainerkarussell ist mit Doug Mason zum Stillstand gekommen. Hält diese Ruhe auch jetzt, wo mit dem Essen (zwei Playoff-Teilnahmen) auch der Appetit nach mehr kommen könnte, die finanziellen Mittel wegen Corona aber begrenzt sind?
Das Problempotenzial
Überraschend früh gaben die 99ers bekannt, dass man sich mit Goalie Cristoper Nihlstorp nicht einigen konnte und der britische Nationalgoalie Ben Bowns sein Nachfolger werden würde. Überraschend deshalb, weil Nihlstorp mit Abstand der beste Goalie seit Sebastian Dahm war und er sich schließlich in Dänemark wiederfand. Bowns ist ein reflexstarker und "kämpfender" Goalie, der vom Stil her bei Fans und Presse sicher besser ankommen wird als der sparsam agierende Nihlstorp. Ich hätte allerdings Zweifel, dass Bowns einen vollwertigen Ersatz darstellt.
Sechs Defender stehen am Grazer Kaderblatt, dazu gehört schon Amadeus Egger, dem Mason (verständlicherweise) bisher nicht gerade großes Vertrauen schenkte – zahlenmäßig nicht die Welt. Was noch mehr ins Gewicht fällt: Kein einziger von ihnen ist ein Puckmover oder PP-Spezialist. Dodero kam letzte Saison in Überzahl vor dem Tor zum Einsatz. Wer soll (neben Oliver Setzinger, der ohnehin das Mädchen für alles ist) im Powerplay an der blauen Linie spielen bzw. bei 5-gegen-5 die Scheibe nach vorne tragen oder passen? Moderer, Altmann oder Kirschschläger sicher nicht und Philipp Lindners Spiel war immer schon ein Drahtseilakt. Die Gefahr droht, dass etwas ein Angreifer wie Fejes oft vergeblich auf Aufbaupässe warten wird…
Wo könnte nachgerüstet werden?
Die 99ers stellten ihr Team fast vollständig schon vor Corona zusammen - mit einer Kristallkugel hätte man vielleicht noch mehr Qualität für kleineres Geld finden können, vielleicht aber auch nur aktionistisch agiert. Jetzt ist die Kasse vorläufig leer. Unterschätze aber nie Masons Überredungskunst bzw. Jens Gustafssons Kenntnisse des schwedischen Markts. Ein spielstarker Defender täte noch gut, vielleicht findet Manager Bernd Vollmann ja im Bedarfsfall noch etwas Kleingeld unter den Sofakissen.
Der Ausblick
Die 99ers sind auch heuer wieder ein Playoff-Kandidat - Worte, die vor Jahren noch verwegen geklungen hätten. Ohne größere Verletzungen sollten sie um den Top-5-Strich herumwabern, Goalie und Defensive könnten aber für sie einen Platz in der Hoffnungsrunde bedeuten…