Mitte April sind bereits einige der ICE-Teams fest am Planen für die nächste Saison. Allerdings stochern sie dabei mit der Stange im Nebel: Neben der Frage nach dem Modus sind auch das Punkte- und Legionärslimit im Spieljah 2021/22 noch offen.
Als ob es damit nicht genug wäre, wollen die Liga-Verantwortlichen auch noch eine Regelung bezüglich der Doppelstaatsbürgerschaften finden.
Ein Blick von LAOLA1-Scout Bernd Freimüller auf diese "Lex Bozen" – was ist populistisches Krakeelen und was Wahrheit?
Worum geht es?
Einigen Teams stößt die Anzahl der Doppel-Staatsbürger im Reihen des HC Bozen sauer auf. Mit Justin Fazio, Dylan DiPerna, Matteo Pietroniero, Nick Plastino, Domenic Alberga, Anthony Bardaro, Daniel Catenacci, Dustin Gazley, Stefano Giliati und Angelo Miceli sind zehn Spieler in Kanada oder den USA aufgewachsen. Pietroniero (zwei seiner Brüder spielen bereits länger in der AlpsHL) verfügt sogar über drei Staatsbürgerschaften: USA (per Geburtsrecht), Kanada und Italien.
Und die sind in Bozen alle eingebürgert worden?
Natürlich nicht, auch wenn einige Vereinsvertreter dies so andeuteten, ehe sie angesichts der Tatsachen leiser wurden. Bardaro etwa kam aus der AlpsHL zum HCB, Giliati spielte schon vor zehn Jahren erstmals in Bozen. Plastino absolvierte bereits in der Saison 2009/10(!) seine ersten Länderspiele für Italien.
Bei Dustin Gazley – dessen Zuname als einziger keine italienischen Wurzeln nahelegen würde – kamen wohlgemeinte Hinweise aus Salzburg, dass dieser schon bei seinem Gastspiel vor drei Jahren den italienischen Pass innehatte. Das half den Roten Bullen bezüglich der Punkteregelung natürlich nicht, lediglich bei Behördenwegen.
Aber was ist mit den anderen? Hat Bozen sie eingebürgert?
Wer schon länger im Eishockey dabei ist – zugegeben, das trifft für viele ICE-Manager und Vereinspräsidenten nicht zu - kennt die Gattung der Italo-Kanadier schon seit den 1980er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das italienische Nationalteam definierte sich lange über diese Doppelstaatsbürger, nur ab und an wollte man mit Südtiroler Auswahlen durchkommen. Ein neues Phänomen ist das also nur für Leute, die sich in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich damit beschäftigt haben. Der HCB bediente sich schon seit dem Liga-Eintritt auf diesem Markt, heuer lediglich verstärkt. DiPerna, Pietroniero, Plastino und Gazley kamen vor oder während der heurigen Saison.
Es gab also heuer keine neuen Regeln?
Doch, kurioserweise eine, die dem HCB solche Transfers schwermachen sollte. "In der Gham" – wie so oft bei Änderungen des ICE-Regulariums – wurde im letzten Sommer ein neuer Paragraf (Gamebook C/§ 2/4) eingeführt. Dieser legt fest, dass der zu Saisonbeginn festgelegte Punktewert eines Spielers für die ganze Saison gilt, sich also bei einer Einbürgerung nach Saisonstart nicht ändert.
Das ging krachend an der Realität vorbei: Es waren nämlich vor Jahren Szekesfehervar und vor allem Zagreb, die während einer Saison Spieler einbürgerten bzw. diese Verfahren zu Ende brachten. In Zagreb dauerte eine Einbürgerung knappe vier Wochen und das bei Spielern wie Geoff Waugh, Alan Letang, David Brine oder Michael Ouzas ohne jeglichen kroatischen Hintergrund. Das juckte damals keinen, Zagrebs Doppelstaatsbürger (in ähnlicher Zahl wie heute in Bozen) wurden ignoriert, da das Team im entscheidenden Moment immer brav abkackte. Außerdem wurde jede Kritik an den Gaunereien in Kroatien immer mit dem Hinweis auf die ach so tollen Outdoor-Games abgeschmettert.
(Text wird unter dem Video fortgesetzt)
Der einzige Bozner Crack, der italienischen Boden ohne Pass betreten hatte, war im Sommer 2019 der jetzige Backup-Goalie Justin Fazio. Für ihn stand noch etwas Papierarbeit in Rom an. Erst als diese erledigt war, schrieb ihn HCB-Manager Dieter Knoll auf das Kaderblatt. Sein Punktewert (0) wurde erst dann schlagbar, wurde also keineswegs downgegradet. Die Regularien-Änderung des letzten Sommers ging also völlig ins Leere.
Wo kommen Doppelstaatsbürger her? Wieso gibt es so viele nur in Italien?
Da genügt eine kurze Google-Suche, um vier Gründen zu finden:
- Zwischen 1820 und 2004 emigrierten mehr als fünf Millionen Italiener in die USA. Da es aber im Eishockey mehr um Kanada geht: Bei der Volkszählung 2016 gaben fast fünf Prozent der dortigen Bevölkerung (= 1,6 Mio.) italienische Wurzeln an.
- Für die Anwartschaft auf einen italienischen Pass können die Wurzeln für Nordamerikaner mehrere Generationen zurückgehen, sind also keineswegs nur auf die Eltern beschränkt.
- Kanada und die USA lassen Doppelstaatsbürgerschaften zu.
- Italien lässt Doppelstaatsbürgerschaften zu.
Der letzte Punkt ist am wichtigsten und erklärt auch, warum es gerade in Österreich so wenig Doppelstaatsbürger gibt. Selbst Spieler wie J.P. Lamoureux, John Hughes oder Luka Gracnar, die sich das Recht auf einen rot-weiß-roten Pass durch Aufenthalt oder Heirat (fast) erworben hätten, zögern dann, ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufzugeben. Italiener kennen dieses Problem nicht.
Kein Wunder also, dass sich dieses Phänomen auch auf das kanadische Eishockey auswirkt. Wenn man von den knapp 600.000 in Kanada registrierten Spielern - lassen wir die USA einmal beiseite - dieselben fünf Prozent mit italienischen Wurzeln annimmt, ergibt das etwa 30.000 solcher Spieler. Nur logisch, dass es ein Leichtes ist, schon bei Besuchen von Eishallen in Toronto oder Montreal eine erkleckliche Anzahl von Cracks zu finden, die entweder einen italienischen Pass haben oder diesen beantragen können.
Also bürgert Bozen gar keine Spieler ein?
Natürlich nicht und diese lachhaften Behauptungen sind zuletzt auch wieder leiser geworden. Allerdings hat der HCB durch diesen Spielerpool natürlich einen Wettbewerbsvorteil, das Gleiche wird auch für Liga-Neuling HC Pustertal gelten. Dass die österreichischen ICE-Teams (von Fehervar und Bratislava hört man solche Klagen nicht) allerdings erst im achten (!) Jahr von Bozens Ligazugehörigkeit darauf kommen, spricht eher für den sprichwörtlichen Schlaf in der Pendeluhr. Außerdem: Wer wie heuer auf die Internationalität der Liga drängt, muss halt mit höchst unterschiedlichen Bedingungen (Spielermarkt bzw. Steuern) innerhalb der teilnehmenden Länder leben.
Was wollen die Teams dagegen tun?
Nun, der erste Vorschlag war, die Anzahl von Doppelstaatsbürger auf einen pro Team zu beschränken. Jetzt überlegt man, den Status als einheimischen Spieler den der Spielberechtigung für das jeweilige Nationalteam anzupassen.
Spieler müssen grundsätzlich 480 ununterbrochene Tage bei einem Landesverband gemeldet sein, um für dessen Nationalteam spielen zu können. Das heißt, Spieler, die frisch aus Übersee kommen, können erst gegen Mitte oder Ende ihrer zweiten Saison international antreten bzw. – wenn dieser Vorschlag umgesetzt wird – ohne Belastung des Importkontingents spielen.
Wie halten es andere Verbände mit solchen Doppelstaatsbürgern?
Grundsätzlich gilt überall: Der Pass bestimmt die Staatsbürgerschaft und damit die Spielberechtigung. Eine Diskussion wie hierzulande flammt in der DEL ab und zu auf, wenn Iserlohn bzw. Bremerhaven wieder einmal einen Spieler mit deutschen Wurzeln ausgegraben haben. Bei beiden Teams geht das wesentlich einfacher als beim Rest der Liga, doch die DEL maßt sich nicht an, eine Über-Behörde zu sein und deutsche Pässe zu ignorieren oder in zwei Gruppen zu unterteilen. In anderen Ligen wie etwa Finnland oder Schweden gibt es ohnehin keine Ausländerbeschränkung.
Einzig in der AlpsHL – unter gleicher Führung wie die ICE – gibt der italienische Verband die 480-Tage-Regel für seine Teams vor, da vor allem Asiago als sehr Italo-lastig galt. Die slowenischen und österreichischen Teams haben diese Regel nicht übernommen.
Fallstricke und Probleme
Der ICE-Sportausschuss soll mit einem tragbaren Konstrukt aufwarten, das dann von den Teams abgesegnet wird. Doch so einfach ist das nicht, darum zieht sich diese Frage schon seit Monaten.
Überraschend etwa, dass gerade die Vienna Capitals in dieser Sache in vorderster Front agieren. Immerhin war es deren Präsident Hans Schmid, der sich vor Jahren gegen eine Legionärskontingentierung ausgesprochen hat. Sein durchaus stichhaltiges Argument: "Ich will mich nicht gegen EU-Gesetze stemmen".
Durchaus richtig, diese Argumentation führte etwa in Deutschland und sogar im Nicht-EU-Staat Schweiz ("freier Zugang zum Arbeitsmarkt") dazu, dass die Legionärsbeschränkungen dort nur per "Gentlemen's Agreement" gelten und hierzulande die Punkteregelung als Kompromiss eingeführt wurde.
Das wirft die logische Frage auf: Zwischen In- und (EU)-Ausländern will man keine Unterscheidung treffen, zwischen Italienern und Italienern schon?
Äußerst haarig, aber es gibt ja im Sport fast nichts, was nicht schon einmal dagewesen wäre. Ältere Semester wie ich erinnern sich noch daran, wie in Österreich Austro-Kanadier Legionären gleichgestellt waren. Das endete dann auch schnell wieder, spätestens als Jeff Geiger (Gott hab ihn selig!) mit seinem österreichischen Pass im TV-Studio saß und sagte: "Ich lebe und arbeite hier, habe meinen Wehrdienst abgeleistet und im Eishockey sieht man mich als Ausländer an."
Aber auch wenn die Liga so tut, als ob es Doppelstaatsbürger nur in Italien gibt: Hat man auch an Spieler wie Niki Hartl (Deutschland, Österreich), Julian Kornelli (Deutschland, Österreich) oder Peter Hochkofler gedacht? Letzterer ist überhaupt ein interessanter Fall: Er hat einen italienischen und einen österreichischen Pass, spielt in Salzburg als Einheimischer. Würde er dann nächste Saison vier Punkte kosten? Denn für das österreichische Nationalteam ist er nicht spielberechtigt, er tritt international für Italien an.
Und wie sieht es mit den Eishockey-Österreichern aus? Spielern also, die aufgrund ihrer Tätigkeit im Nachwuchs Einheimischen gleichgestellt sind. Dominik Grafenthin (Graz) und Aljaz Predan (Salzburg) als zwei Beispiele sind nicht für Österreich spielberechtigt, punktemäßig aber als Österreicher behandelt. Will man diese Gruppe ernsthaft als Inländer belassen, Spieler mit Pässen für das jeweilige Land als Ausländer? Ist dieser absurde Aspekt überhaupt je ausdiskutiert worden?
Die ICE kann sich natürlich selbst alle möglichen Regularien verpassen, nach dem Gedanken: "Wo kein Kläger, da kein Richter". Und selbst wenn einmal ein Kläger auftaucht (wie bei "Chris Harand gegen die EBEL") bedeutet ein Gerichtsprozess nicht automatisch eine Niederlage. Nachdem Richter natürlich mit der Eishockey-Materie nicht vertraut sind, ist immer jeder Ausgang möglich.
Noch ist keine Entscheidung gefällt – über acht Jahre wurde dieses Thema nicht einmal diskutiert, jetzt soll es bis zur nächsten Saison umgesetzt werden, obwohl die Punktelisten schon längst an die Vereine ergangen sind. Die Liga ist jedenfalls gefordert, dass sie nicht ihre Version von "I haaß Kolaric. Du haaßt Kolaric. Wieso sogns zu dir Tschusch?" abliefert…