Die Graz99ers haben nach einer wahren Seuchensaison einen großen Umbruch vollzogen.
Herbert Jerich übernahm das Präsidenten-Amt von Jochen Pildner-Steinburg, Philipp Pinter die sportliche Leitung und Harry Lange den Trainer-Posten. Außerdem wurde der Kader auf (fast) völlig neue Beine gestellt.
Die Erwartungen sind hoch, das Halbfinale das ausgegebene Ziel. Ob dieses erreicht werden kann, schätzt LAOLA1-Experte Bernd Freimüller in seiner Saisonvorschau ein:
Sommeraktivitäten
Alles neu in Graz, mit der elementarsten Änderung an der Klubspitze: Die Ära von Langzeit-Präsident Jochen Pildner-Steinburg ging nach unglaublichen 25 Jahren zu Ende.
An seine Stelle trat auf Vermittlung von GM Bernd Vollmann Herbert Jerich, Besitzer eines internationalen Logistikunternehmens. Der 46-Jährige brachte nicht nur den Ehrgeiz mit, die 99ers zu einem ICE-Spitzenteam zu machen, sondern auch die notwendigen Mittel, nicht nur bezüglich der Kaderzusammenstellung.
So kam mit Philipp Pinter der dringend nötige sportliche Leiter, Vollmann kann sich auf die wirtschaftlichen Belange konzentrieren, die selbst in den meist erfolglosen Vorjahren stets funktionierten.
Mit Harry Lange kehrte ein ehemaliger Spieler als Headcoach nach Graz zurück, der gebürtige Klagenfurter arbeitete sich in den letzten Jahren in Bad Nauheim die deutsche Trainerleiter bis zum Betreuerstab des DEB-Nationalteams hinauf.
Gegenüber dem Vorjahr blieb im Team kaum ein Stein auf dem anderen (alle Legionäre wurden gegangen), die 17 neuen Spieler bringen aber fast durchwegs Klasse mit.
Ausrufezeichen des Kaders
Man kann es vereinfachen: Der Starting Goalie, die ersten fünf Defender und neun Stürmer sind alles Legionäre oder aktuelle Nationalspieler. Damit ist erstmals seit langem für einen breiten einheimischen Kaderkern gesorgt und die Vorbereitung deutete darauf hin, dass Pinter auch bei den Imports gute Arbeit geleistet hat.
Klar muss das Ganze noch zusammenwachsen, in der Vorbereitung musste Lange auch zwei Wochen ohne seine Nationalspieler improvisieren. Doch Klasse findet sich immer schnell, bei mangelnder Qualität hilft auch kein elendslanges oder komplettes Camp.
Lukas Haudum war natürlich der Königstransfer des Sommers, er alleine bringt nicht nur einheimische Klasse aufs Eis, sondern auch der Organisation die notwendige Glaubwürdigkeit. Ihm folgten mit Manuel Ganahl ein Routinier als Graz-Heimkehrer, Kilian Zündel und Nico Brunner als Nationalteam-Defender sowie im Angriff Paul Huber als Netfront-Player, Lukas Kainz (ebenfalls ein Heimkehrer) sowie Tim Harnisch, zuletzt in Salzburg mit wenig Wertschätzung.
Dazu kommen mit Michael Kernberger, Jacob Pfeffer, Michael Schiechl und Sam Antonitsch Spieler mit jahrelanger ICE-Erfahrung, die zwar in der Depth Chart gegenüber den letzten (erfolglosen) Jahren nach unten rutschen werden, gemeinsam mit den Neuzugängen aber österreichische Tiefe ergeben.
Unter den Legionären ist natürlich Korbinian Holzer der größte Name. Wann kommt schon ein Deutscher nach Österreich und das mit einer Vita, die NHL-, AHL- und KHL-Einsätze sowie sieben WMs und zwei Olympische Turniere beinhaltet? Der 36-Jährige ist zwar keineswegs ein großer Offensivbringer, wird aber über die Saison mit einer Anzahl an Fehlern auskommen, die an den Fingern der Hand eines Sägewerksarbeiters zu zählen sind.
Neben Haudum versprechen die ligaintern geholten Nick Albano und Kevin Roy (beide aus Innsbruck) spielerische Beiträge, Rok Ticar wird weiter ein Passgeber par excellence sein. Dazu kommen mit Defender Frank Hora und Center Marcus Vela (beide aus der slowakischen Extraliga) zwei körperlich starke Cracks, die aber auch mit der Scheibe umgehen können.
Ebenfalls mit Größe ausgestattet: Trevor Gooch, der über eine gewaltige Reichweite verfügt und der aus Ingolstadt geholte Casey Bailey. Die 99ers verfügen über ein körperlich starkes Team (fünf Spieler über 200 Pfund) mit guten Händen und Beinen.
Goalie Jonas Gunnarsson fehlte es für eine Überseekarriere (nur 16 AHL-Spiele) etwas an Zentimetern, er präsentierte sich in der Vorbereitung als sachlich und mit gutem Winkelspiel ausgestatteter Goalie. Auch ein starkes Team wie die 99ers brauchen in engen Spielen einen soliden Rückhalt...
Fragezeichen des Kaders
Mit Vela, Ticar und Schiechl (in einer defensiven und PK-Rolle) stehen drei gelernte und zuletzt auch in dieser Funktion zum Einsatz gekommene Center zur Verfügung. Trevor Gooch - in Ljubljana durchgehend am Flügel verwendet - wird den vierten Platz vorläufig einmal ausfüllen. Bei Bedarf stehen Kainz, Haudum und mit Abstrichen Roy und Bailey auch noch für die Pivot-Rolle parat.
Kein Fragezeichen, eher ein Kuriosum: Wo alle Teams rechtsschießende Defender (zumindest solche mit Puckskills) suchen, stehen diese in Graz im Übermaß zur Verfügung. Mit Holzer, Hora und Albano schießen alle drei neuen Legionäre rechts, das gilt auch für Zündel und Nachwuchstalent Paul Reiner. Nur Kernberger, Pfeffer und Brunner schießen links.
Ein derartiger Überhang kommt bei den meisten Teams eher umgekehrt vor, ich habe schon Abwehrformationen ohne oder nur mit einem Rechtsschützen erlebt. Zumindest einer dieser Spieler muss auf seiner Off Side spielen, Holzer sollte aber auch damit ohne Problem zurechtkommen. Umgekehrt sind von den Angreifern nur Bailey und Vela (neben Clemens Krainz) Rechtsschützen, was aber für rechtsseitige Faceoffs in entscheidenden Phasen reichen sollte.
Die letzte Saison war die schlechteste seit 2006/07, der letzte Platz und gerade sechs Siege nach 60 Minuten sprechen da Bände. Natürlich könnte nach den Sommeraktivitäten ein zehnter Platz nicht als Erfolg verkauft werden, aber kann ein komplett neues Team wirklich auf Anhieb funktionieren (siehe derzeit LASK)?
Wahrscheinlich nur, wenn sowohl klubintern als auch unter den Fans (die über die Jahre eine erstaunliche Leidensfähigkeit an den Tag legten) weder einzelne Siege noch Niederlagen überbewertet werden.
Hier könnte nachgerüstet werden
Trotz der großen Transferaktivitäten blieb am Ende sogar noch ein Legionärsplatz unbesetzt, der Tryout-Vertrag des AlpsHL-Mannes Daniil Kulintsev wurde nicht verlängert. Diese offene Stelle ergibt noch Optionen bei Verletzungen oder vor den Playoffs...
Ausblick
Die Grazer Fans sollten sich auf eine Saison einstellen, in der ihnen die Treue der letzten Jahre vergolten wird (neue Zuseher sind natürlich ebenso herzlich willkommen). Es wird wohl kaum ein Spiel in der Saison geben, in das die 99ers als krasser Außenseiter gehen werden...