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NHL-Draft 2020: Die Nachbarschaft von Marco Rossi

Bernd Freimüller nimmt die Konkurrenz unseres Eishockey-Talents unter die Lupe:

NHL-Draft 2020: Die Nachbarschaft von Marco Rossi Foto: © GEPA

Eines steht für Marco Rossi fest: Lange wird er nicht warten müssen, bis sein Name beim NHL-Draft 2020 aufgerufen wird. Die Frage ist nur, an welcher Stelle er gezogen wird - und das hängt auch von den Spielern ab, die in eine ähnliche Größenordnung wie der Vorarlberger fallen.

Wie haben sich seine Konkurrenten um die Top-Plätze heuer geschlagen? Ein Augenzeugenbericht von LAOLA1-Experte Bernd Freimüller:

Ohne es darauf anzulegen, habe ich heuer die Gelegenheit gehabt, so gut wie alle Kandidaten für die Top-10 im Draft live zu sehen. Alle - außer Rossi selbst, der nach seiner Absage für die U20-B-WM der einzige Spieler in dieser Gruppe ist, der sich nicht auf internationalem Parkett präsentierte.

Hier die Nachbarschaft, in der das österreichische Ausnahme-Talent angesiedelt ist (Reihenfolge danach, wie ich den Draft zum heutigen Zeitpunkt erwarten würde):

Alexis Lafreniere (CAN, LW, später 2001er-Jahrgang): Playmaking Winger mit exzellenten Puck-Skills und Hockey Sense. Kann jeden erwarteten und unerwarteten Pass spielen. Mehr Passgeber als Shooter, aber mit hartem und genauem Wrister. Startet im Powerplay (dort absolut tödlich) von der linken Halfwall, bewegt sich aber von dort zur Mitte. Bewies bei der Junioren-WM auch physisches Spiel. NHL-ready, könnte dort auch bald als Center auflaufen. Wird in seinem Draftjahr Start-Ziel-Sieg einfahren.

Live gesehen bei: Junioren-WM

Quinton Byfield (CAN, C, 2002): Ein Center, wie ihn sich jede Organisation gerne schnitzen würde: Groß, immense Reichweite, sanfte Hände und exzellente Beinarbeit. Kann Scheibe abschirmen und sie im richtigen Moment weiterleiten. Ausgezeichnete Arbeitsmoral in beide Richtungen. Hat alle Anlagen für einen Nummer-1-Center in der NHL. Wurde bei der Junioren-WM bald in die vierte Linie versetzt und fiel im Turnier kaum auf. Das wird bedeuten, dass er Lafreniere nicht überholen kann, mehr aber auch nicht.

Live gesehen bei: Hlinka-Gretzky-Cup, Junioren-WM

Cole Perfetti (CAN, LW, 2002): Der beste Sniper für den Draft. Weltklasse-Abschluss-Qualitäten. Sowohl bei Breakaways als auch im Powerplay (rechte Halfwall) eiskalt. Nicht groß, aber mit exzellenten Beinen, mit denen er sich vom Gegner absetzen kann, findet auch freien Raum mit Instinkt. Durchaus auch guter Passgeber, aber doch mehr Abschlussspieler. Hat Potenzial zum NHL-Goalgetter.

Live gesehen bei: Hlinka-Gretzky-Cup

Jamie Drysdale (CAN, D, 2002): In einem Draft, der heuer von Stürmern dominiert wird, ohne Zweifel der begabteste Defender. Nicht groß, aber leichtfüßig, immense Mobilität und Quickness in allen Richtungen. Keinerlei Panik in seinem Spiel, kann Scheibe unter Druck tragen oder schnell zu Mitspielern bringen. Dirigiert Powerplay von blauer Linie wie ein General, kann attackierende Gegner oder Shotblocker mühelos umgehen. Verteidigt mit aktivem Stock und Smarts. Moderner Defender, Mangel an Körpergröße wird ihn weder im Draft noch in der NHL zurückhalten.

Live gesehen bei: Hlinka-Gretzky-Cup, Junioren-WM

Alexis Lafreniere (rechts)
Foto: © getty

Tim Stützle (GER, LW/C, 2002): Weltklasse-Eisläufer, leichtfüßig und explosiv, kann Scheibe in die Offensivzone tragen und dort ausgezeichnete Plays machen. Sehr guter Passgeber. Mit ihm werde ich mich in einer eigenen Story noch auseinandersetzen. Hat seinen Status bei der Junioren-WM eher noch erhöht.

Live gesehen bei: CHL-Spiel in Wien, U20-Turnier im November, Junioren-WM

Alexander Holtz (SWE, RW, 2002): Wie Perfetti ein Abschlussspieler. Hat harten und genauen Schuss, in den er sich lehnt und der schnell und unvermutet kommt. Hat wie alle Goalgetter die Nase dafür, wo die Scheibe hinkommt, bewegt sich clever in und aus dem Slot. Hat bei Junioren-WM auch große Kämpferqualitäten bewiesen, blockte Schüsse in einem Spiel, das schon lange entschieden war. Bei CHL-Spiel von Djurgarden in Wien als Bumper auch mit sehr guten Passqualitäten. Alles andere als einseitiger Spieler.

Live gesehen bei: CHL-Spiel in Wien, Junioren-WM

Anton Lundell (FIN, C, später 2001er): Versäumte Junioren-WM mit einer Ellbogenverletzung, ist aber der Scouting-Szene schon lange bekannt (letztes Jahr WM-Gold mit der U18 und U20). Sowohl im Sommer als auch im November mit dem finnischen U20-Team zu sehen. Seit zwei Jahren Stamm- und Schlüsselspieler bei HIFK Helsinki. Smarter Center mit sehr gutem Puck-Management – verteidigt Scheibe im Slot, kann Plays über kurze oder lange Distanzen machen. Gute Faceoff-Qualitäten. Etwas "buckeliger" Eisläufer, aber gute Agilität und Mobilität. Sieht Eis mit und ohne Scheibe gut. Solider Center mit ausgezeichnetem Zwei-Weg-Spiel und kaum Ausrutschern nach oben oder unten. Einzige, nicht unwichtige Frage: Wie groß ist sein Scoring-Potenzial in der NHL?

Live gesehen bei: Red Bull Salute

Quinton Byfield
Foto: © getty

Lucas Raymond (SWE, LW, 2002): Die Ansichten schwedischer Experten vor der Saison waren etwa 50/50: Die einen hatten Raymond vorne, die anderen Holtz. Tut sich heuer in der SHL bei Frölunda etwas schwer, was mich nach der Junioren-WM auch nicht verwundert: Körperlich ist er sicher derzeit der schwächste Spieler dieser Gruppe. Keineswegs ängstlich oder mit argen physischen Mängeln, nur halt mit Aufholbedarf. Wunderbare Hände und Beine, kann Gegner mit Dekes und schnellen Stops in die Garage schicken. Sehr gute Übersicht und Technik im Verkehr. Weniger purer Goalgetter als Holtz, aber mit sehr guter Schusstechnik. Zauberer mit Puck.

Hier sieht man auch, wie schwer Scout-Entscheidungen fallen können. Ginge es darum, über die NHL-Tauglichkeit für die nächste Saison zu befinden, würde wohl jeder Rossi (körperlich ausgereift, defensiv stark) vor Raymond anführen. Sieht das in fünf Jahren aber auch so aus?

Live gesehen bei: Junioren-WM

*Yaroslav Askarov (RUS, G, 2002): Ohne Zweifel der beste Goalie im heurigen Draft, bei den Scouts schon seit langer Zeit bekannt, da er als Underager immer die Nummer 1 war. Spielte eine sehr unebene Junioren-WM, zweimal vom Eis geholt und im Finale nur mehr Zuseher. Gegentore aus größeren Distanzen und bei wenig Verkehr, zeigte sich vor allem hoch (Fanghand) verwundbar. Hat normalerweise ausgezeichnete athletische Fähigkeiten, gute Beinarbeit und mentale Stärke in Schlüsselmomenten – kann Spiele alleine entscheiden.

Bekommt das Sternchen nicht wegen der Junioren-WM, sondern wegen seiner Position. Im letzten Jahrzehnt waren hohe Goalie-Picks verpönt, vor dem Ende der ersten Runde ging selten etwas. Erst Spencer Knight (13. Im letzten Draft) durchbrach diese Serie wieder. Askarov galt vor der Junioren-WM als möglicher Top-10-Pick – jetzt auch noch? Wohl nur bei einer Organisation, die bald einen Top-Mann braucht und diesen nicht intern findet. Askarovs Draft-Position ist von allen Kandidaten am schwersten vorauszusagen.

Anton Lundell
Foto: © getty

Live gesehen bei: Hlinka-Gretzky Cup, Junioren-WM

Außer Konkurrenz:

Hendrix Lapierre (CAN, C, 2002): War für mich nach dem Sommer der Spieler, der am ehesten mit Marco Rossi zu vergleichen wäre. Playmaker mit ausgezeichnetem Hockey Sense, der Puck folgt ihm wie der Hund dem Stöckchen. Sehr starke Beine, kann Gegner mit schnellen Drehungen verlieren. Sehr gute Handgelenke, Pässe und Schüsse kommen hart. Potenzial zum Top-Linien-Center in der NHL.

Nur: Hatte schon letzte Saison mit Gehirnerschütterungen zu kämpfen, heuer kamen noch zwei dazu. Spielte nur 19 Spiele in der QMJHL mit zwei Toren! Nicht nur ein Desaster für seinen Draftstatus, sondern für seine Zukunft allgemein. Langfristige Ausfälle im Draftjahr beeinflussen immer den Status, allerdings ist eine "normale" Verletzung nie so ein Grund zur Besorgnis wie dauerhafte Probleme wie bei Lapierre. Ein mutiges Team in der Mitte oder zum Ende der ersten Runde wird ihn draften und hoffen, dass er sich wieder völlig erholt. Ein baldiges Comeback würde ihm natürlich helfen.  

Live gesehen bei: Hlinka-Gretzky-Cup

Egal, wo sich Rossi in oder knapp hinter dieser Gruppe einfindet, eines steht fest: In einer derart noblen Nachbarschaft hat seit Thomas Vanek kein Österreicher mehr gewohnt...

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