Vinzenz Rohrer ist zurück in Europa.
Nach zwei Jahren bei den Ottawa 67's aus der Ontario Hockey League (OHL) hat der 19-jährige Vorarlberger im Sommer bei den ZSC Lions seinen ersten Profi-Vertrag unterzeichnet.
Zürich ist für die ÖEHV-Hoffnung kein Neuland, Rohrer spielte vor seinem Engagement in Kanada bereits mehrere Jahre im Nachwuchs des Schweizer Spitzenteams.
Der Start in die neue Saison der National League ist dem ZSC mit fünf Siegen aus sechs Spielen geglückt, zwei Tore konnte der junge Mann aus Rankweil, der im NHL-Draft 2022 von den Montreal Canadiens gewählt wurde, bereits erzielen.
Im LAOLA1-Interview spricht Rohrer über seine ersten Wochen im Männer-Eishockey, wie er ZSC-Spieler und -Staff beeindruck hat, die Zeit in Kanada, die Montreal Canadiens und das ÖEHV-Nationalteam.
LAOLA1: Du absolvierst in Zürich deine erste Profi-Saison, konntest in den ersten sechs Saisonspielen bereits zwei Tore erzielen. Wie bewertest du den Saisonstart?
Vinzenz Rohrer: Ziemlich positiv. Vor allem, wenn ich den Saisonstart mit der Vorbereitung vergleiche. In Spielen wie am vergangenen Dienstag in Bern (6:1-Sieg, Anm.) habe ich viele Chancen gehabt, auch viele kreiert. Grundsätzlich bin ich mit den ersten paar Spielen sehr zufrieden.
LAOLA1: Die vergangenen zwei Jahre hast du bei den Ottawa 67’s in der Ontario Hockey League (OHL), einer der drei großen Junioren-Ligen in Kanada, verbracht. Jetzt spielst du wieder auf einer größeren Eisfläche und vor allem gegen gestandene Profi-Spieler in einer der besten Ligen Europas. Liegen hier auch die größten Unterschiede?
Rohrer: Ja, natürlich. Auch die Zweikämpfe werden anders geführt, andere Aspekte des Spiels, wie beispielsweise das Tempo, sind auf einem anderen Level. Die Schweiz ist natürlich eine sehr gute Liga mit ziemlich guten Imports. Alles ist schneller, physischer und insgesamt eine Stufe höher einzuordnen.
LAOLA1: Wie ist dir der Umstieg gelungen? Gibt es Probleme, an denen du über den Saisonverlauf hinweg arbeiten musst?
Rohrer: Ich habe probiert, mir nicht zu viele Erwartungen zu setzen, sondern einfach mein Spiel zu spielen. Wenn man darauf schaut, woran ich noch arbeiten muss, sind es sicher die Zweikämpfe. Einfach stärker zu werden, mich mehr an den Zweikampf mit Männern zu gewöhnen. Insgesamt versuche ich aber das zu machen, was ich auch kann.
LAOLA1: Hast du im Sommer mit Blick auf dein erstes Jahr im Männer-Eishockey besonderen Wert auf die Physis gelegt, damit du für die höhere Intensität gewappnet bist?
Rohrer: Die Physis ist schon länger ein Punkt, an dem ich arbeite. Die kann man damit beeinflussen, wie man isst und trainiert. Auf der anderen Seite kommt die physische Stärke auch mit dem Alter. Im Sommer war es schon das wichtigste Thema für mich, daran zu arbeiten. Das wird es auch während der Saison bleiben. Aber es war nicht davon abhängig, ob ich jetzt Profi-Eishockey spiele oder ein weiteres Jahr in Ottawa gespielt hätte.
LAOLA1: Warum hast du dich überhaupt dafür entschieden, wieder nach Zürich zurück zu gehen, wo du einen Großteil deiner Nachwuchs-Jahre verbracht hast, und nicht noch ein drittes Jahr in Ottawa zu verbringen?
Rohrer: Es war ein langer Entscheidungsprozess, der sicher über einen Monat gedauert hat. In dieser Zeit hatte ich viele Gespräche, weil ich die beste Entscheidung treffen wollte. Beide Seiten hatten ihre Vor- und Nachteile. Am Ende hat vor allem mein Bauchgefühl entschieden. Wenn ich ein Hauptargument hätte, dann wäre es wohl die neue Herausforderung. Man muss sich erst durchsetzen, es gibt mehr Konkurrenzkampf als wenn ich nochmal nach Ottawa gegangen wäre. Das hat mich am meisten gereizt.
LAOLA1: Bei den Lions bildest du die dritte Angriffslinie mit Derek Grant (33) und Reto Schäppi (32). Grant kann auf nicht weniger als 446 NHL-Spiele zurückblicken, Schäppi spielt seit seiner Junioren-Zeit in Zürich und ist ein absolutes Urgestein des Vereins. Was kannst du dir von ihnen abschauen?
Rohrer: Derek hat in der NHL schon so viel durchgemacht. Egal ob vor, während oder nach dem Spiel, er hat eine ziemliche Ruhe. Mich als jungen Spieler, der noch etwas nervöser ist, mehr Emotionen hat, kann er mit seiner Ruhe runterholen. Reto ist ein absoluter Profi. Alles, was er auf und neben dem Eis macht, sei es im Kraftraum, seine Routinen vor dem Spiel oder wie er auf seinen Körper schaut, kann man sich abschauen.
LAOLA1: Der ZSC ist generell ein sehr routiniertes Team, auch Denis Malgin oder Rudolfs Balcers haben bis vor Kurzem noch in der NHL gespielt.
Rohrer: Beide sind ziemlich offensive Spielertypen, da kann man eishockey-spezifisch schon viel mitnehmen. Alleine was Denis im Powerplay an der Halfwall macht, da kann man sich viel abschauen. Speziell bei Denis ist es neben dem Eis auch ähnlich wie bei Reto, das sind Vorzeigeathleten.
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LAOLA1: Wie würdest du dein Verhältnis zu Head Coach Marc Crawford beschreiben? Nach einem der letzten Spiele meintest du in einem TV-Interview, dass er dir großes Vertrauen entgegenbringt.
Rohrer: Es ist ein typisches Spieler-Trainer-Verhältnis, ich kenne ihn auch noch nicht allzu lange. Es muss aber ein gutes Verhältnis sein, wenn ich so viel Vertrauen erhalte. Das spüre ich auch in meinen fast täglichen Gesprächen mit ihm.
LAOLA1: Welches Feedback gibt er dir in diesen Gesprächen?
Rohrer: Das ist immer etwas abhängig. Er ist ein intensiver Coach, der seinen Emotionen freien Lauf lässt. Ich kriege weniger positives Feedback, er strahlt es mehr damit aus, dass er mich immer spielen lässt. Das Vertrauen, das ich von ihm bekomme, ist seine Art zu zeigen, dass ich meine Aufgaben wohl nicht so schlecht mache. Sonst würde ich nicht spielen. Aber es ist nicht so, dass ich auf die Bank komme und er sagt, dass das ein super Play war oder ich etwas gut gemacht habe.
LAOLA1: Ich habe zuletzt einen Bericht gelesen, dass die ZSC-Spieler und der Staff in der Vergangenheit offenbar ziemlich stolz auf ihre Tischtennis-Künste waren. Du dürftest als äußerst begabter Tennis-Spieler – auch diese Karriere stand einmal im Raum – sofort beeindruckt haben, oder?
Rohrer (lacht): Der Bericht ist schon ein Riesenthema in der Umkleide gewesen. In der Sommerzeit habe ich gegen ein paar Leute Tennis gespielt, da habe ich es mir schon irgendwo denken können, weil ich mein ganzes Leben schon Tennis spiele und auch in den Tennis-Unterricht gegangen bin. Wir haben im Kraftraum eine Tischtennis-Platte, da spielt man eben ab und zu einmal gegeneinander. Da weiß man, wer zu den Besten zählt und fordert sich gegenseitig immer wieder heraus.
LAOLA1: Wie positiv ist deine Bilanz?
Rohrer: Schon ziemlich positiv, weil ich den Tennis-Background habe und der auf das Tischtennis reflektiert. Irgendwo muss das auch sein, weil die anderen Spieler wohl nicht wie ich im Tennis-Unterricht waren. Da habe ich schon den Druck, dass ich eigentlich gewinnen muss.
"Natürlich war es etwas komisch, ich hatte einen kompletten Gedächtnisverlust. So etwas hat man selbst noch nie erlebt."
LAOLA1: Wir haben deine vergangenen zwei Jahre in Ottawa bereits erwähnt. Was hast du aus dieser Zeit mitgenommen?
Rohrer: Für mich persönlich waren das wahrscheinlich die zwei coolsten Jahre in meinem Leben. Ich habe viele Freundschaften und Beziehungen geknüpft, viele Erinnerungen gesammelt. Wenn ich zwei Jahre zurückgehe, würde ich es genau so wieder machen. Das hat meine Entscheidung bestimmt auch schwieriger gemacht, weil die zwei Jahre so cool waren. Coach Dave Cameron ist fast schon ein Vorbild für mich. Ich kann nur Positives über die Zeit in Ottawa sagen.
LAOLA1: Dave Cameron ist in Österreich durch seine Zeit bei den Vienna Capitals (Head Coach von 2018 bis 2021, Anm.) bekannt. In der Öffentlichkeit wurde er als strenger Trainer wahrgenommen, doch gegenüber seiner Mannschaft als nahbar und offenherzig. Wie hast du die Arbeit mit ihm empfunden?
Rohrer: Es war für mich wahrscheinlich die beste Coaching-Erfahrung, die ich bisher hatte. In unserem zweiten Jahr wurde er als "CHL-Coach of the Year" ausgezeichnet, das sagt schon viel über ihn aus. Er will dir Dinge mehr über Handlungen beibringen als zu sagen, du sollst das oder das machen. Ich habe in diesen zwei Jahren sehr viel von ihm gelernt.
LAOLA1: Im vergangenen Jänner hast du eine Schrecksekunde erlebt, als du nach einem unglücklich verlaufenen Check aus großer Höhe mit dem Nacken und Rücken voran auf dem Eis gelandet bist. Du musstest mit der Trage vom Eis gebracht werden, wenige Stunden später gab es zum Glück Entwarnung und du bist verhältnismäßig glimpflich davongekommen. Wie hast du diese Situation verarbeitet, vor allem mental?
Rohrer: Natürlich war es etwas komisch, ich hatte einen kompletten Gedächtnisverlust. So etwas hat man selbst noch nie erlebt. Grundsätzlich war es einfach eine Verletzung, die nicht muskulär ist, sondern mit der Gehirnerschütterung psychisch war. Ich habe zwei Wochen nicht gespielt, bin wieder zurückgekommen und habe an ein paar Sachen, wie meinen Augen, arbeiten müssen. Wie bei jeder Verletzung habe ich einfach probiert, mich zurück zu kämpfen und wieder an mein vorheriges Leistungsniveau anzuknüpfen.
LAOLA1: Wie geht man nach so einer Verletzung in ein Training oder Spiel hinein, wenn man weiß, dass solche Situationen jederzeit wieder passieren können? Wie kann man das ausblenden?
Rohrer: Grundsätzlich weiß man im Eishockey, dass mit jedem Zweikampf etwas passieren kann. Das ist ein Berufsrisiko. Bei mir ist das zuvor nie eingetroffen, aber sicher sind die ersten paar Trainings und Spiele unterbewusst anders gewesen. Aber wenn du mich jetzt fragst, hat das keinen Impact mehr darauf, wie ich spiele. In der Zeit nach der Verletzung gab es sicher Unterschiede.
LAOLA1: Hast oder hattest du irgendwelche Nachwehen?
Rohrer: Bei solchen Sachen ist das oft schwer zu sagen, was wirklich bleibend ist. Wenn du dir den Fuß brichst, kannst du dir das anschauen, ihn röntgen, etc. Dann weißt du ziemlich gut, wo ist dein Fortschritt, wie war es vor der Verletzung, hast du Schmerzen oder nicht? Ich kann schon sagen, dass ich mit meinen Augen nach der Verletzung ein paar Probleme hatte. Sonst ist es schwer zu sagen, inwieweit es mich beeinflusst hat. Ich spüre jetzt nichts, auch zwei Wochen nach dem Aufprall habe ich nichts gespürt. Aber wenn du so ein Erlebnis hattest, ist es immer irgendwo abgespeichert.
LAOLA1: Kommen wir zu erfreulicheren Dingen: Du wurdest beim NHL-Draft 2022 in der dritten Runde von den Montreal Canadiens gewählt, warst wie letztes Jahr auch heuer wieder beim Prospect Camp im Juli dabei. Wie oft meldet sich die Franchise bei dir?
Rohrer: Wir haben immer wieder Kontakt, telefonieren miteinander. Da werde ich gefragt, wie es bei mir läuft, was ich von meinen Spielen halte, etc. Während der Saison wird der Kontakt sicher intensiver.
LAOLA1: Hat Montreal bei deiner Entscheidungsfindung im Sommer mitgeholfen?
Rohrer: Da habe ich natürlich auch mit ihnen gesprochen, sie haben mir aber freie Hand gelassen und gesagt, dass beide Optionen gute Entscheidungen wären.
LAOLA1: Welches Gefühl wird dir bei den Gesprächen vermittelt? Ich nehme an, beim Prospect Camp vergangenen Juli wird der Staff an dich herangetreten sein.
Rohrer: Wir hatten ein Exit-Meeting, dort haben wir besprochen, wie die Woche verlaufen ist und wie man sich das nächste Jahr vorstellt. Es ist oft ziemlich eishockey-spezifisch, aber ein guter Austausch.
LAOLA1: Wurde angedacht, dich heuer zum Development Camp (13. bis 18. September, Anm.) einzuladen oder wurde klar kommuniziert, dass du dich auf die Vorbereitung in Zürich fokussieren sollst?
Rohrer: Die Einladung wäre schon da gewesen, wie auch im letzten Jahr, wo ich dann allerdings verletzt war (Gesichtsverletzung, Anm.). Aber sie haben schon gesagt, dass ich mich auf die Vorbereitung in Zürich konzentrieren soll, damit ich viel spiele und einen fixen Platz im Kader habe. Dann wäre es natürlich nicht ideal gewesen, am Ende der Vorbereitung bzw. zu Saisonbeginn zwei bis drei Wochen weg zu sein.
LAOLA1: Dadurch, dass du nun wieder in Europa spielst, ist natürlich auch das Nationalteam ein Thema. Hast du von Teamchef Roger Bader bereits einen Anruf erhalten?
Rohrer: Er hat mich in Zell am See besucht, wo ich mit Zürich mein Camp hatte. Dort haben wir gemeinsam einen Kaffee getrunken und lange geredet.
LAOLA1: Wurde dir eine Einberufung zu einem der nächsten Camps in Aussicht gestellt?
Rohrer: Das ist schwierig zu beantworten. Eishockey ist ein Leistungssport, entsprechend kommt es darauf an, wie gut ich in der Schweiz performe. Es ist schwer, ein Versprechen abzugeben.
LAOLA1: Aber hat Roger Bader dir das Gefühl gegeben, dich einberufen zu wollen?
Rohrer: Natürlich ist das Gefühl schon da, dass ich einberufen werde. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum wir uns getroffen haben. Es ist irgendwo im Raum, kommt aber auf meine Leistungen an.
LAOLA1: Österreich bestreitet 2024 zum dritten Mal in Folge eine A-Weltmeisterschaft. Sind die Titelkämpfe in Prag ein Ziel von dir?
Rohrer: Klar! Jeder will bei einer Weltmeisterschaft mitmachen, da sagt niemand Nein. Es ist aber noch so weit in der Zukunft und ungewiss, wo ich dann stehen werde. Ich muss mich erst einmal im Männer-Eishockey beweisen. Aber wenn ich gut spiele, werde ich vielleicht einberufen. Wenn nicht, dann eben nicht. Das kommt auf mich selbst an.