Der 1. Juli ist der Startschuss für die jährliche Free Agency in der NHL. Doch dieses Datum hat auch Auswirkungen auf die Kaderplanungen der europäischen Teams.
LAOLA1-Experte Bernd Freimüller mit einem Blick hinter die Kulissen:
Eishockeyfans konzentrieren sich natürlich auf die großen Namen der Free Agency, doch unter der Wasseroberfläche schwimmen auch viele kleinere Fische, die zwar nie diskutiert werden, das Transfergeschehen in Europa aber wesentlich mehr beeinflussen.
Der 1. Juli bzw. die Tage danach werden damit zur Weichenstellung für Teams, die noch den einen oder anderen Legionärsposten offen haben. In anderen Worten: Der HC Bozen setzt sich mit einem ganz anderen Markt auseinander als etwa der VSV, der seine Personalplanung schon vor Monaten beendet hat.
Auf dem Markt - und doch nicht
Ab etwa April werden in Europa Spieler aus der AHL angeboten. Einige dieser Spieler bekommen dann Angebote, nehmen sie auch an, doch ein großer Teil dieser Cracks sorgen eher für Frustration. Teams machen ihre Hausaufgaben, recherchieren, schauen Videos, bevor sie sich zu einem Angebot entschließen.
Oft kommt dann die Antwort: "Bleibt doch drüben." Wie kann das passieren, wenn sie doch angeboten werden?
Ein Ausloten des Marktes
Oft schaut man mal, was sich in Europa so tut, viele Spieler haben aber keine Ahnung von den Verhältnissen hier. Die erhofften hohen sechsstelligen Offerten - wenn es geht aus der Schweiz, die immer die Wunschdestination ist - bleiben aus, die AHL-Gehälter (stiegen in den letzten Jahren immens an) sind im Vergleich dazu doch nicht so schlecht.
Und selbst konkrete und gute Angebote können nur das Mittel zum Zweck sein: Red Bull Salzburg etwa musste vor Jahren erleben, dass Torhüter Richard Bachman den Vertragsentwurf annahm, ihm seinen alten Arbeitgeber Vancouver Canucks vorlegte und diese ihn innerhalb von Stunden matchten.
Sein europäischer Agent, der den Deal mit Salzburg eingeleitet hatte, war entsetzt und musste sich vielmals entschuldigen.
Zwei Agenten
Oft wird ein Spieler von zwei Agenten aus seiner Agentur vertreten - einer ist für Nordamerika zuständig, einer für Europa. Und da bestehen natürlich schon Interessenskonflikte.
Der Mann in Übersee ist am nordamerikanischen Gehalt beteiligt, der europäische Vertreter wird bei einem Transfer vom aufnehmenden Team entschädigt. Ein Zerren in zwei Richtungen ist da nur logisch.
Agenten als Trittbrettfahrer
Kommt auch öfters vor: Ein Spieler wird in Europa von einem Agenten angeboten, der gar nicht das Placet hat.
Es kam nicht nur einmal vor, dass der Spieler bei der ersten Kontaktaufnahme mit einem interessierten Vereinsvertreter sagte: "Ich kenne diesen Mann gar nicht, er vertritt mich nicht, bin an Europa nicht interessiert."
Das Aufgeben des NHL-Traums fällt schwer
Spieler sind wirklich an Europa interessiert, haben aber ihren Traum von der NHL immer noch im Hinterkopf - und das gilt sogar für ECHL-Cracks.
Das kann natürlich auch so kommen, bestes Beispiel dafür ist Alex Belzile: Der Center lehnte über Jahre Angebote aus Europa ab, bevor er mit 29 Jahren sein NHL-Debüt feierte und heute ein hochdotierter (ab 24/25 sogar mit Ein-Weg-Vertrag) Einspringer ist.
Dagegen stehen aber viele Spieler, die erleben, wie gut es ihnen in Europa geht und sich danach fragen, warum sie nicht schon früher gekommen sind.
Konkrete Namen aus der heurigen Transferzeit
Center Peter Abbandonato wurde heuer bereits zum zweiten Mal in Folge angeboten, obwohl er sogar das in Nordamerika einzigartige Privileg hatte, in seiner Heimatstadt Laval spielen zu können.
Der verlässliche AHL-Scorer Cole Schneider kam auf den Markt und dazu noch zu einem keineswegs überhöhten Preis. Interessenten gab es genug, der Spieler hörte sie sich zwar an, aber sein Desinteresse an Europa war schnell herauszuhören.
Beide Cracks kamen bei den Chicago Wolves unter, die seit heuer ein neues Trumpf-Ass sind. Als einziges AHL-Team sind sie unabhängig, schon zuvor unterwarfen sie sich nur sehr widerwillig den Direktiven einer NHL-Franchise.
Sie gelten als sehr professionell geführte Organisation, die die AHL-Spitzencracks anzieht und mit sehr hohen Gehältern aufwartet. Siege und nicht Talententwicklung waren immer schon die höchste Maxime in Rosemont. Kein Wunder, dass Abbandonato und Schneider dort unterkamen, die Hershey Bears oder Manitoba Moose wären auch ein Garant für hohe AHL-Gehälter.
Mehrere DEL-Teams, die sich für Übersee-Spieler finanziell weit aus dem Fenster lehnten, handelten sich Absagen ab, Ingolstadt dem Vernehmen nach gleich von zwei Cracks. Dazu kamen auch Spieler (Joe LaBate, Yanni Kaldis, Derek Barach), die trotz DEL-Interesses in der KHL Unterschlupf fanden. Die Absagen kamen hier schon weit vor dem 1. Juli, danach erfolgten lediglich die offiziellen Bestätigungen.
Zuwarten kann Vor- und Nachteile haben
Doch der Beginn der Free Agency bringt das Karussell nochmals in Schwung. Zwar fallen einige Spieler weg, dafür kommen andere auf den Markt, die vergeblich auf NHL- oder hochdotierte AHL-Angebote warteten.
Zach Senyshyn etwa wäre vor Wochen noch nicht für Europa und Schwenningen bereit gewesen, Michael Dal Colle (wiewohl schon in Europa in Turku tätig) musste sich seinen Traum von einer abermaligen NHL-Chance vorerst abschminken. Er kam jetzt bei den Iserlohn Roosters unter und muss dort beweisen, dass sein Leistungshöhepunkt nicht schon im Alter von 20 Jahren passierte.
Weitere Namen, die erst in den letzten Tagen auftauchten und in Europa unterkommen könnten: Die Defender David Farrance, Max Gildon oder Cavan Fitzgerald sowie die Angreifer Jack Dugan, Jarid Lukosevicius, Eduards Tralmaks, Greg Printz und Chase Pearson.
Der 1. Juli und die Wochen danach bringt also den europäischen Transfermarkt nochmals in Rollen. Darauf zu warten, kann seine Vorteile haben, neue Spieler werden angeboten, andere werden nervös und ihr Preis bewegt sich nach unten.
Allerdings ist das natürlich auch ein Ritt auf der Rasierklinge, schließlich beginnen mit Anfang August schon die Camps in Europa und Coaches sind nicht unbedingt begeistert, wenn sie ihr Aufgebot erst nach und nach vollkriegen.