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Gregor Biber: Wie viel Potenzial schlummert wirklich in ihm?

LAOLA1-Experte Bernd Freimüller nimmt die Stärken und das Potential des 18-Jährigen genauer unter die Lupe.

Gregor Biber: Wie viel Potenzial schlummert wirklich in ihm? Foto: © GEPA

Großes Finale bei der U20-1A-WM: Österreich genügt am Sonntag ein Punkt gegen Dänemark, der Showdown steigt um 12:30 (im LIVE-Ticker >>>).

Dabei natürlich wieder ein Schlüsselspieler für das ÖEHV-Team: Defender Gregor Biber. Ein Scouting-Report:

Karriere

Die Laufbahn von Biber ist schon jetzt mehr bemerkenswert: Vom 300-Einwohner-Dorf Krustetten über Krems (beides keine Eishockey-Metropolen) nach Rögle in Schweden, dann beim NHL-Draft im Juni von Utah in der vierten Runde gezogen (Wie Utah den österreichischen "Hulk" aus dem Hut gezogen hat >>>).

Seit dem Sommer dann ein weiterer Karriere-Step: Durch Verletzungen von der U20 in die Erste von Rögle befördert, gab er seinen Stammplatz bis zuletzt nicht mehr her. Im November kratzte seine Eiszeit zeitweise an der 20-Minuten-Marke, dazu kamen sein ersten beiden Scorerpunkte.

Die Utah-Scouts können jetzt schon auf stolz sein – ihre Einschätzung wurde von vielen anderen Organisationen nicht geteilt, sie haben ihn auch nur in Spielen in der schwedischen U20-Liga bzw. für Österreich bei den U18- und U20-Teams gesehen. Bibers Entwicklung nach dem Draft ist genau die, wovon Scouts bei einem Midround-Pick nur träumen können.

Seine Performance bei der U20-WM

Biber ist Assistant Captain und die klare Nr. 1 unter Österreichs Defendern, auch wenn Coach Philipp Pinter die Eiszeit auf sieben Cracks verteilt. Er ist allerdings erste Wahl im PP und PK, dazu steht er natürlich in allen Schlüsselphasen am Eis, was ihm eine Eiszeit von 20 – 23 Minuten einbringt. Ein (Powerplay-)Tor gegen Norwegen und drei Assists stehen für ihn zu Buche.

Einen Schockmoment hatte der großgewachsene Defender zu überstehen: Im Spiel gegen Norwegen wurde er ohne Scheibe in die Bande gecheckt, brauchte danach einige Zeit, sich wieder zu erholen. Er überstand diesen Zwischenfall allerdings mit einer leichten Knieprellung, auch einen hohen Stock ins Gesicht steckte er im Spiel gegen Ungarn ohne Probleme weg.

Nicht nur aufgrund dieser Warrior-Qualitäten bewies Biber, dass er in den acht Monaten seit der U18-WM wieder einen riesigen Sprung hingelegt hat. Völlig unvorstellbar, dass ÖEHV-Teamchef Roger Bader, der in Bled auch vor Ort ist, für die A-WM im Mai acht bessere Defender als Biber findet. Der Niederösterreicher wird auch in Stockholm bereits eine Führungsrolle einnehmen.

Interessant in Bled auch der Quervergleich zu Norwegens Stian Solberg, der im Juni von Anaheim an 23. Stelle gedraftet wurde. Nicht dass ich die beiden tauschen würde (Solberg hat auf jeden Fall einen besseren Schuss und definitive PP-Qualitäten) – der Abstand zwischen den beiden beim Draft hätte aber auf jeden Fall geringer ausfallen sollen.

Bibers Stärken und Schwächen

Eine U20-B-WM ist nicht unbedingt die optimale Plattform, das Potential eines Spielers zu bewerten. Es wird oft darauf vergessen, dass mindestens zehn Junioren-Teams höher angesiedelt sind und das, wie Österreich bei den A-Teilnahmen feststellen musste, mit schmerzlichem Abstand.

Das Niveau in Bled war aber ein durchgehend gutes, selbst die limitierten Ungarn scheiterten öfters nur an ihrer Platzpatronen-Offensive. Und die Refs segneten ein recht physisches Spiel ab, was bei früheren Turnieren auch schon anders war.

Bibers größte Stärke: Ein Ruhepuls von gefühlt 40. Wo andere Spieler unter Druck schnell nervös werden, verlangsamt sich das Spiel gleichsam für ihn. Egal ob die Scheibe frei ist, er sie erst losstochern muss oder sie sich in seinen Schuhen befindet – Biber verarbeitet sie schnell, kann sie unter Druck behaupten und weiterleiten.

Seine Situationseinschätzung ist überhaupt außergewöhnlich: Wann kann ich Scheibe und Gegner gleichzeitig spielen (daran scheitern die meisten Cracks)? Wann kann ich ihn wegpoken und wann kann ich einen Hit austeilen? Und wann lasse ich den Puck Puck sein, da ich mich gegen einen ankommenden Gegner schützen muss? Biber trifft hier fast immer die richtige Entscheidung...

Sein Körperspiel ist überhaupt überragend: Egal ob an der Bande oder als Open-Ice Hitter – seine Checks sind hart, punktgenau und einschüchternd. Dass er einen Gegner anvisiert und ins Leere fährt, kam hier nie vor, Bibers Timing ist überragend. Die Kaderangaben weisen ihn mit 6.3 Fuß/194 Pounds aus, das scheint realistisch zu sein. In ein oder zwei Jahren sollte er auf 200 Pfund kommen, seine Hits nochmals deftiger ausfallen.  Dabei zu berücksichtigen: Biber ist im August 2006 geboren, gehört gar nicht zu den älteren Spielern seines Draftjahrgangs und hat sogar noch eine U20-WM vor sich.

Vor allem entlang der Bande ist der 18-jährige eine Macht, spielt etwas, was im Scouting Jargon als "heavy game" bezeichnet wird. Er kann die Scheibe mit Muskelkraft oder seinem langen Stock freistochern und sie dann schnell weiterleiten. Dabei helfen ihm schnelle Drehungen, er hat die Gabe, dem Gegner schnell seinen Rücken zu zeigen, dadurch die Scheibe zu sichern. Dazu kommt eben seine Ruhe unter Druck: Ist die Bande zu oder ergeben sich keine Skating- oder Passwege, dreht er nochmals ab oder blockiert den Puck, sucht andere Outlets, begnügt sich auch öfters damit, die Scheibe mittels Lupfern oder der Bande ins Mitteldrittel zu befördern. Sein Risikomanagement ist exzellent, zeitweise wirkt er wie ein General, der die Lage aus erhabener Position überblickt. 

Auch bei der U20-WM beweist Biber sein Talent
Foto: © GEPA

Tun sich Wege auf, kann er die Scheibe auch aus der eigenen Zone tragen, einen Forechecker auch per Head Deke ausschalten, ist aber kein Pucktransporter per se.  Er lebt eher von seinem ersten Pass. In Bled kommt er natürlich auch im Powerplay zum Einsatz – im ersten Unit spielt Thomas Klassek am Point, Biber an der rechten Halfwall. Er ist von dort keineswegs ein Spieler für den One-Timer, orientiert sich im Zweifelsfall auch eher Richtung Blaue Linie, von wo er die Scheibe zu Klassek oder down low passt. Sein Tor gegen Norwegen war ein (haltbarer) flacher Schuss zwischen Bullykreis und blauer Linie. Insgesamt ist sein Schuss zwar kontrolliert und zielgenau, aber sicher keine große Waffe.

Insgesamt wird Bibers Karriere auf seinen Defensiv- und physischen Skills aufgebaut bleiben, Offensivbeiträge eher Bonuscharakter haben. 

Weitere Stärken

Biber kann nicht nur Hits austeilen, sondern auch absorbieren, wobei er nur selten die Balance verliert. Dazu kommt auch, dass seine Checks clean sind, er kaum Strafen bekommt. Die PIMs sind bei ihm keineswegs ein Indikator für ein etwaiges softes Spiel, er zeigt auch keinerlei Tendenzen zum Durchdrehen.

Biber spielt als Linksschütze auf der linken Seite, kann aber auch seine Off-Side gut bespielen. Er und Maxi Kirchebner (ein Righty) tauschen mitunter bei offensiven Faceoffs die Seiten, wodurch er sich dann auf der rechten Seite wiederfindet. Das Spiel auf der Off-Side, das in der defensiven Zone dazu führt, dass ein Defender an der Bande zur Backhand gezwungen ist, ist ein wichtiger Bonus.

Ebenfalls wichtig: Biber winkt wie alle guten Spieler nicht mit dem Stock in der Luft herum – sein Schläger ist fast immer am Eis, er kann damit Pässe und freie Pucks wegnehmen.

Für einen großen Spieler verfügt er über eine ausgezeichnete Beinarbeit. Vor allem seine Balance und seine Agilität auf engstem Raum ist exzellent. Wo man bei großgewachsenen Spielern im Juniorenbereich oft erst projizieren muss ("Muss in seinen Körper wachsen", "Muss seinen Körper erst ausfüllen"), ist Biber fast schon das Endprodukt seiner selbst, linkische Momente kommen so gut wie keine vor. Diese Beinarbeit, seine große Reichweite  und seine physisches Spiel machen ihn nicht nur zu einem Stopp-, sondern auch zu einem Umleitungschild für Gegner. Selbst schnelle und wuselige Angreifer kann er an der Bande halten oder sie bei Rushes hinter das Tor in ungefährliche Zonen lenken.

Sein Potential

Ein NHL-Scout sagte mir schon in Budapest bei der letzten U20-WM: "Groß, bewegt sich gut, spielt physisch – solche Leute können in der NHL spielen". Bis dahin ist noch ein langer Weg, aber ich kann mir gut vorstellen, dass sich so mancher Scout bei der B-WM fragte: "Wieso haben wir diesen Spieler nicht auf der Liste gehabt?"

Sollte jemand Biber heuer in der SHL gesehen haben, ihn aber zuvor nicht gekannt haben, könnte seine Einschätzung so lauten: "Ein etwas komischer Name für einen Schweden, aber ein typisches Beispiel für eine schwedischen Defender – groß, beweglich, smart, trocken, kann viel Eiszeit nehmen."

Utah war in Bled auch vor Ort und muss mit dem Gesehenen sowohl hier als auch in der SHL mehr als nur zufrieden sein.

. Bibers NHL-Rechte laufen erst im Sommer 2028 aus, daher ist von beiden Seiten keinerlei Eile angesagt. Ein oder zwei Saisonen mehr in der SHL würden ihm sicher guttun, bei einer ähnlichen Entwicklung wie in den letzten Monaten wird Bibers neue Agentur (wechselte von Patrick Pilloni "4Sports" und dem Schweizer Dani Giger) aber über kurz oder lang ein Angebot in ihrer Mailbox finden...


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