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Österreichs Torhüter-Dilemma: Wen Divis in der Pflicht sieht

Die Hauptprobleme sieht Österreichs einziger NHL-Torhüter im Nachwuchs. Warum er keinem Trainer Vorwürfe macht und heimische Goalies Chancen auch nutzen müssen.

Österreichs Torhüter-Dilemma: Wen Divis in der Pflicht sieht Foto: © GEPA

Über 21 Jahre ist es her, dass Reinhard Divis als erster Österreicher in der NHL zum Einsatz kam.

Bis heute ist die Eishockey-Legende zudem der einzige heimische Torhüter, der jemals in der stärksten Eishockey-Liga der Welt am Eis stand.

Ein "Nachfolger" ist bei weitem nicht in Sicht, nach dem Rücktritt von Bernhard Starkbaum umso weniger. Das Karriereende der jahrelangen Nummer eins im Eishockey-Nationalteam verschärfte die angespannte Lage am Tormann-Sektor nochmals.

Die Torhüter-Misere ist und bleibt wohl auch noch für längere Zeit ein Dauerthema, das polarisiert. Teamchef Roger Bader etwa betont gebetsmühlenartig, dass endlich Reaktionen folgen müssen, wenn Österreich seinen Status als A-Nation in Zukunft festigen will.

Für Divis, im ÖEHV-Team seit Jahren als Torhüter- und Video-Coach tätig, ist längst klar, wo angepackt werden muss.

Im LAOLA1-Interview nimmt der 48-jährige Wiener besonders die österreichischen Klubs in die Pflicht, erklärt, warum man keinem Trainer böse sein kann, nicht auf heimische Torhüter zu setzen und welche Unterschiede es zu seiner Profi-Zeit gibt.

LAOLA1: Teamchef Roger Bader hat nach der letzten WM auf die Torhüter-Thematik aufmerksam gemacht, in dem er sagte, dass Österreich nicht längerfristig eine A-Nation sein könne, wenn unsere Torhüter nicht die Nummer eins in der Liga seien. Stimmen Sie ihm zu?

"Ich mache keinem Trainer in der win2day ICE Hockey League den Vorwurf, dass er nicht die österreichischen Torhüter einsetzt."

Reinhard Divis

Reinhard Divis: Ich bin persönlich schon der Meinung, dass wir eine A-Nation sind. Wir haben echt eine gute Mannschaft, aber damit du regelmäßig Überraschungen vollbringen kannst, dafür brauchst du auf jeder Position Top-Leute. Leider haben wir nicht so eine große Auswahl in Österreich. Heuer hat David Madlener die Einser-Position in Feldkirch übernommen, aber sonst haben wir keinen einzigen Einser-Tormann. Wir haben nur Backup-Torhüter, die beschränkt Spiele bekommen. Das ist auf internationalem Niveau zu wenig, gerade ein Tormann lebt von Erfahrung und wenn er die Spiele in wichtigen Situationen nicht bekommt, wird es auf A-Niveau schwierig, dass er dort dementsprechend performt. Und A-Niveau ist NHL-Niveau. Wenn wir in Österreich, so wie jede kleine Nation, auf internationalem Niveau gewinnen oder bestehen möchten, dann muss der Torhüter der beste Spieler am Eis sein. Wenn er das nicht ist, wird es schwierig. Bei uns wird bei den Vereinen im Nachwuchs zu wenig gemacht. Es wird zwar immer wieder dem Verband die Schuld zugeschoben, aber der Verband arbeitet nicht jeden Tag mit den Spielern, das machen die Vereine. Wenn dort nicht dementsprechend in Torhütertrainer, Eiszeiten und sonstige Trainings, die die Torhüter brauchen, investiert wird, dann wird sich nichts ändern. Und aktuell sieht es leider Gottes nicht danach aus, als würde etwas gemacht werden.

LAOLA1: Das heißt, es muss einfach nur der Nachwuchs gefördert werden? Oder geht es nicht auch darum, dem Nachwuchs die nötigen Zwischenschritte auf dem Weg ins Profi-Eishockey zu schaffen, wie es beispielsweise in Deutschland der Fall ist?

Divis: Das ist schwierig, weil wir nicht diese Anzahl an Spielern haben, geschweige denn die Strukturen, wie die Ligen aufgebaut sind. Aber bei uns muss ganz einfach im Nachwuchs angefangen werden. Ich betone immer wieder, wenn ich über dieses Thema zum Reden komme: Ich mache keinem Trainer in der win2day ICE Hockey League den Vorwurf, dass er nicht die österreichischen Torhüter einsetzt. Wenn man es ganz ehrlich analysiert, kenne ich keinen Trainer, der mit dem schlechteren Tormann ins Spiel geht und den besseren Torhüter auf der Bank lässt, weil der Trainer wird rausgeworfen, wenn er nicht gewinnt. Also kann ich keinem Trainer böse sein, dass die österreichischen Goalies nicht spielen. Aber ich kann sehr wohl die Manager in die Verantwortung nehmen, dass sie nicht darauf schauen, dass die Struktur geschaffen wird, damit sich der Trainer für einen Österreicher entscheiden kann. Diese haben wir nicht. Da sind die Vereine gefragt, dass im Nachwuchs ordentlich gearbeitet wird, dort genügend Eiszeit vorhanden ist, es genügend Torhüter-Trainer gibt und die Torhüter dort die Spiele bekommen. Dann ist der Sprung natürlich schon groß nach oben, aber ich kann die Torhüter trotzdem heranführen, indem ich ihnen ausgewählte Spiele gebe, damit sie sich entwickeln können. Wenn es ins Profi-Geschäft geht, nehme ich die Goalies selbst aber sehr wohl in die Pflicht, denn sie müssen einfach performen. Diese Diskrepanz in der Definition, was eine Chance ist, ist einfach groß. In Amerika hast du für ein Training eine Chance, wenn du diese nutzt, kriegst du ein zweites Training. Bei uns gibt es Torhüter, die fünf, zehn Spiele bekommen – dann müssen sie in diesen auch gut spielen. Wenn sie das nicht tun, dann sind sie fehl am Platz, da muss man ehrlich sein. Ist es fair? Nein, Eishockey ist nicht fair. Es hat sich jeder selbst ausgesucht, im Tor zu spielen. Und mit dem Druck muss der Spieler zurechtkommen. Wenn er mit dem Druck nicht zurechtkommt und in den wenigen Spielen, die er von Anfang an bekommt, nicht gut spielt, dann hat er den falschen Job. Da sind die Torhüter auch selbst gefragt, und ich bin nie ein Freund vom Jammern gewesen, dass ich keine Chance kriege. Eine Chance muss man sich auch verdienen. Aber es muss unten angefangen werden, dass dort aufgebaut und ordentlich trainiert wird. Da muss die Basis geschaffen werden, damit es überhaupt genügend Torhüter gibt, die in Frage kommen, es in die erste Mannschaft schaffen.

LAOLA1: Zusammengefasst: Sie sehen die Liga und die jeweiligen Klub-Manager in der Verantwortung, dass von klein auf eine Basis geschaffen wird, damit wir überhaupt genügend Torhüter ausbilden können?

Divis: Die Liga kann gar nichts machen, genauso wenig wie der Verband etwas unternehmen kann. Jeder Klub ist verantwortlich, dass Torhüter produziert werden. Natürlich kann die Liga und der Verband Regelungen einführen, dass beispielsweise die ausländischen Spieler reduziert werden, dann wird vielleicht auf einen ausländischen Goalie verzichtet. Oder der ausländische Torhüter zählt für zwei Legionäre, also wenn ich acht einsetzen darf, darf ich am Feld nur mehr sechs Ausländer haben. Dass man so die Vereine dazu zwingt, aber wenn ich das mache, muss vorher die Basis geschaffen werden, dass überhaupt genug österreichische Goalies vorhanden sind. Das ist natürlich schwierig. Zuerst muss angefangen werden, im Nachwuchs richtig zu arbeiten, dass dort auf die Torhüter geschaut wird – das wird meiner Meinung nach viel zu wenig gemacht.

"In Österreich werden alle Spieler, wenn sie jung sind, in den Himmel gelobt, haben aber noch nicht einmal richtig gespielt."

LAOLA1: Viele junge Torhüter gehen aktuell den Zwischenschritt in die Alps Hockey League, um dort ihre nächsten Schritte zu machen und Eiszeit zu bekommen. Sehen Sie die AlpsHL als gute Plattform, um sich weiterzuentwickeln?

Divis: Ja, absolut. Man braucht nur nach Klagenfurt oder Linz schauen. Wenn Klagenfurt vor Jahren nicht das Farmteam eingeführt hätte, dann wären sie vor ein paar Jahren nicht Meister geworden. Das war das Schöne damals, als das Spiel vorbei war und alle aufs Eis gehüpft sind, hat man nur österreichische Namen gelesen. Da sind Spieler gekommen, die bei anderen Vereinen angeblich zu schlecht waren. Die hat der KAC ins Farmteam aufgenommen, es gab viele Verletzte bei den Profis, der Trainer hat ihnen die Chance gegeben und die Spieler haben ihre Chance genutzt. Die Alps Hockey League ist sicher ein Schritt, um dieses Torhüter-Problem zu lösen. Da könnte ich auch überlegen zu sagen, dass keine ausländischen Torhüter erlaubt sind. Man muss leider Gottes über alles in Österreich nachdenken, Fakt ist aber, dass wir ein massives Torhüter-Problem und generell zu wenige Torhüter haben. Das müssen wir schleunigst versuchen zu ändern, denn von unseren drei Torhütern hat einer aufgehört, jetzt sind es nur mehr zwei. Für den Deutschland-Cup musste David Kickert absagen und wir hatten schon ein Problem, überhaupt drei Torhüter mitzubringen.

LAOLA1: Lässt sich das gesamte Problem und womöglich auch die aktuell vorhandene Qualität der heimischen Torhüter daran feststellen, dass im Gegensatz zu Ihrer Zeit oder wie vor einigen Jahren noch mit Bernhard Starkbaum kein einziger österreichischer Tormann in einer europäischen Top-Liga spielt?

Divis: Da denken wir viel zu weit. Wie können wir denken, dass unsere Goalies im Ausland spielen können, wenn ihnen das nicht einmal bei uns gelingt? Wir sollten zuerst einmal schauen, dass sie bei uns Fuß fassen, regelmäßig spielen und dann können sie den Schritt ins Ausland machen. Solange das nicht der Fall ist, brauchen wir über Österreicher, die im Ausland spielen, gar nicht nachdenken.

LAOLA1: David Kickert wurde vor mittlerweile zehn Jahren zugetraut, den Sprung ins Ausland zu schaffen, nur gelungen ist ihm dieser nie.

Divis: David Kickert hat wie viele Torhüter Potenzial gehabt, aber in Österreich werden alle Spieler, wenn sie jung sind, in den Himmel gelobt, haben aber noch nicht einmal richtig gespielt. Da sind wir wieder bei dem, was ich vorher gesagt habe: Er muss zuerst einmal bei uns gut spielen, dann kann er den nächsten Schritt machen. Ich kann bei einem Nachwuchs-Spieler, welcher er damals war, nach zwei, drei guten Spielen nicht über das Ausland oder gar die NHL reden. Lass ihn in Österreich einmal eine gute Saison spielen, dann kann ich weiter reden, aber bei uns werden diese Torhüter zu früh in den Himmel gelobt. Ich sage immer, lasst den jungen Bua in Ruhe. Er soll bei uns gut spielen, und wenn er dann gut genug ist, werden die ausländischen Klubs schon auf ihn aufmerksam werden. Wenn nicht, sind wir zumindest froh, dass er bei uns spielt. Ich glaube, dass ist generell ein österreichisches Problem und in allen Sportarten so. Wir fahren zum Beispiel zur Fußball-Europameisterschaft und sind schon Europameister. Lasst die Burschen in Ruhe! Nur weil er zwei Spiele gut gespielt hat, wechselt er nicht gleich nach Schweden oder in die NHL. Ich würde es ihm wünschen, aber wir müssen bei der Realität bleiben.

LAOLA1: Kann man das auch auf Florian Vorauer umlegen, der beim KAC zu Saisonbeginn von der Verletzung von Sebastian Dahm profitiert hat, in zehn Spielen zum Einsatz kam, in diesen gewiss nicht schlecht spielte, sich dann aber hinter Übergangslösung Christian Engstrand anstellen musste?

Divis: Ich würde gerne eine Gegenfrage stellen: Florian Vorauer hat in den zehn Spielen super gespielt. Welche Save Percentage hatte er?

LAOLA1: 88,8 Prozent.

Divis: Wenn Christian Engstrand oder Sebastian Dahm 88,8 Prozent haben, ist das dann ein guter Goalie?

LAOLA1: Rein auf die Zahlen bezogen, natürlich nicht.

Divis: Und dann wundert sich jeder Österreicher, warum der heimische Torhüter vom Trainer nicht das Vertrauen bekommt.

LAOLA1: Aber sollte nicht auch über die Zahlen hinaus geblickt und die jeweiligen Leistungen objektiv bewertet werden?

Divis: Das kann man. Ich bin ein Torhüter-Trainer, der nicht so viel Wert auf die Statistik legt und darauf achtet, wie die Tore passieren. Aber, und diese Diskussion hatte ich oft mit meinem Papa, die ist echt gut: Ich habe auf dem Niveau gespielt, war als junger Spieler ebenfalls in der Situation und sage nochmal, der Torhüter muss mit dem Druck zurechtkommen, sonst hat er den falschen Job. Der Mannschaft ist es egal, wer im Tor steht. Der Tormann muss halten, aber die Spieler leben von diesem Beruf, das ist ihre Existenz. Und wenn der Goalie nicht gut spielt, kann es sein, dass sie keinen Job kriegen. Ich war auch in Klagenfurt (als Tormann-Trainer von 2015 bis 2018, Anm.), da hätten wir Salzburg (im Viertelfinale 2015/16, Anm.) fast ausgeschalten. Wir haben in der Serie 3:2 geführt, dann kriegt der Tormann (Rene Swette, Anm.), muss ich leider so sagen, ein Tor von hinter der Torlinie und eines von der Roten Linie, wir verlieren 2:3 und scheiden aus. Wenn wir das Spiel gewonnen hätten, hätten wahrscheinlich fünf Spieler einen Vertrag für die nächste Saison erhalten. Stattdessen gab es Tabula Rasa, die Spieler wurden aussortiert. Ist es fair? Nein, aber Tormann zu sein, ist nicht fair. Das hat sich jeder selbst ausgesucht. Bei uns werden die österreichischen Goalies, wahrscheinlich ist es auch bei den Spielern so, nicht fair beurteilt, aber auf beiden Seiten nicht. Sie werden nicht fair beurteilt, weil sie vielleicht zu wenig Chancen bekommen, da gebe ich dir recht, aber sie werden auch in ihrer Leistung nicht fair beurteilt. Wenn der 'Starki' als arrivierter Goalie eine Fangquote von 88,8 Prozent hat, wird er genauso rausgeworfen. Aber bei einem jungen Spieler sind 88,8 Prozent gut? Das muss mir einer erklären. Man muss einfach in beide Richtungen ehrlich sein. Florian Vorauer spielt super, deshalb hat er auch die Chancen bekommen. Ich glaube auch, dass er Potenzial hat, aber er muss genauso performen. Er hat in zehn Spielen eine Chance bekommen. Als ich als gestandener Torhüter nach Amerika gekommen bin, habe ich im Training eine Chance erhalten. Wenn das Training gut war, hatte ich ein zweites Training und wenn ich zehnmal gut trainiert habe, habe ich in einem Spiel eine Chance bekommen. Wenn ich das Spiel genutzt habe, dann bekam ich ein zweites. Aber wenn ich meine Chancen bis dorthin nicht genutzt hätte, hätte ich nicht einmal ein zweites Training bekommen. Zehn Spiele zu spielen und zu sagen, man kriegt keine Chance – das stimmt einfach nicht. Da habe ich genug Chancen erhalten, aber ich muss sie auch nutzen. Ich will gar nicht darauf aufmerksam machen, dass im Profi-Bereich zu wenig auf die Torhüter geschaut wird. Da muss man fair nach Leistung beurteilen, natürlich nicht nur nach Statistiken, du musst auf das Gesamtpaket schauen. Aber im Nachwuchs muss man etwas machen.

LAOLA1: Wie war es früher zu Ihren Zeiten?

Divis: Da hast du einfach besser sein müssen. Da war die ganze Kultur anders, da hat niemand gejammert, dass man keine Chance kriegt. Bei mir war Claus Dalpiaz der Nationalteam-Torhüter und ich habe einfach versucht, ihm den Job wegzunehmen. Genauso war es auch bei den Feldspielern, auch damals hatten wir in unseren Ligen viele Ausländer. Da hast du eben besser sein müssen, damals war aber die mediale Aufmerksamkeit nicht so groß. Da hat man einfach geschaut, sich durchzusetzen.

LAOLA1: Abschließend: Nach dem Rücktritt von Bernhard Starkbaum befindet sich Österreich auf der Suche nach einer neuen Nummer eins. Wer hat aktuell die besten Karten?

Divis (lacht): Es hat derjenige die besten Karten, der am besten spielt. Ob das jetzt David Kickert, David Madlener oder jemand anderer, der aus dem Hut gezaubert wird, ist, ist egal. Ich halte nichts davon zu sagen, der Spieler ist der Einser-Goalie. Das ist eine Definition, aber in Wirklichkeit bist du der Stamm-Goalie, wenn du gut spielst. Das Eishockey-Geschäft ist ein Tages-Geschäft, mir bringt es nichts, wenn ich sage, der ist der Einser-Goalie, dann spielt er schlecht und ich werfe den anderen rein, der dann drei Matches hintereinander spielt. Das war ja bei der letzten WM auch der Fall, wir hatten David Kickert und den ‚Starki‘, dann hat der David angefangen, dann der ‚Starki‘, dann wieder der David und im Endeffekt war der ‚Starki‘ für uns der bessere und hat deshalb auch das Entscheidungsspiel bestritten. Dieses Label auf einen Spieler zu drücken, dass du der Einser-Goalie bist, von dem halte ich nichts. Wir sind im Profi-Sport, du spielst, wenn du gut spielst. Mir bringt es nichts, wenn ich der Einser-Goalie bin, aber nicht spiele, weil ich schlecht gespielt habe. Dann bin ich nicht der Einser-Goalie. Wir haben eine offene Situation. Wer gut spielt, wird spielen.


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