Buffalo, First Niagara Center, 24. Juni 2016, 19:00 Uhr Ortszeit: Der 54. NHL-Draft beginnt. Höhepunkt und Jahres-Abschluss für hunderte Scouts, die über die an- und abwesenden Youngsters befinden.
Bernd Freimüller beobachtete als Scout der Atlanta Thrashers (seit 2011 Winnipeg Jets) über zehn Jahre lang nord- und osteuropäische Talente und blickt für LAOLA1 hinter die Kulissen des NHL-Drafts:
210 Draftpicks – oder mehr?
Grundsätzlich ist der Draft leicht überschaubar: 30 Teams haben je einen Pick in jeder Runde – das macht 210 Picks. Warum gibt es dann aber doch Drafts mit abweichenden Gesamtzahlen?
Ganz einfach: Sogenannte "Compensatory Picks". Die gibt es vor allem für Teams, die einen Erstrunden-Pick nicht unter Vertrag nehmen – das kann finanzielle oder einfach nur leistungsbedingte Gründe haben.
Nie sehr ruhmreich, aber dafür gibt es diese Entschädigung: Das Team erhält einen zusätzlichen Zweitrunden-Pick, die Stelle dafür hängt von der ursprünglichen Draftposition ab. Wird etwa der fünfte Draftpick nicht unter Vertrag genommen, erhält das Team den fünften Pick in der zweiten Runde, die anderen Teams rücken um eine Stelle zurück.
Spieler, die so in den Draft zurückgehen, können entweder nochmals gedraftet werden oder rutschen automatisch in den Status eines Free Agents – das hängt vom Alter ab. Beispiele für zweimal gedraftete Spieler: Gregor Baumgartner (1997 Montreal, 1999 Dallas) oder Andy Chiodo (2001 New York Islanders, 2003 Pittsburgh).
Es kommt auch vor, dass ein Team einen Spieler zweimal drafted, da konnte man sich beim ersten Mal nicht über einen Vertrag einigen. Klar, dass der Spieler dann beim zweiten Mal keine besseren Karten hat und sein Agent in Vertragsverhandlungen die Hosen runter lassen muss…
Draft in europäischer Hand
Auston Matthews, Patrik Laine und Jesse Puljujärvi – drei Europäer werden (in dieser Reihenfolge) auf den ersten drei Plätzen erwartet.
Moment: Matthews – der Topstar des US-Teams - ein Europäer? Natürlich nicht, nur die NHL führt in ihren Listen und Statistiken die Spieler nicht nach Herkunftsländern, sondern nach den Ligen, in denen sie in ihren Draftjahren gespielt haben. Das war im Falle von Matthews eben die Schweizer National League A, für Laine (Tappara Tampere) und Puljuvärvi (Kärpät Oulu) ihre finnischen Heimatvereine.
Interessant auch: Neben Jack Eichel (Nummer-2-Pick des Vorjahres) präsentierten sich auch Matthews (Testspiel mit den USA) und Puljujärvi (CHL-Spiel mit Kärpät) den Wiener Eishockeyfans im Frühjahr und Sommer 2015.
Wird Matthews zum Trendsetter?
Ich kann mich an keinen anderen nordamerikanischen Spieler erinnern, der sein Draftjahr in Europa verbrachte. Matthews entschied sich gegen die kanadische Juniorenliga sowie das amerikanische College-Hockey und spielte für die ZSC Lions. Selbst wenn sich die Maple Leafs überraschend für Laine und nicht für Matthews als Nummer-1-Pick entscheiden würden, hätte sich dieser Schachzug für Matthews ausgezahlt.
Denn dieser war keineswegs so risikolos wie er jetzt erscheint, immerhin musste sich der Center in einer der besten europäischen Ligen gegen Erwachsene durchsetzen. Das tat er mit Bravour, er gehörte zu den Top-Imports der NLA.
Werden sich jetzt auch andere nordamerikanische Talente für diesen Weg entscheiden? Noch gibt es keine Anzeichen dafür, doch reizvoll ist diese Alternative allemal: Der Draft-Status verschlechtert sich offenbar nicht und der Spieler wird auf gutem Niveau gefordert.
Angenehmer, wenn auch kaum diskutierter Nebeneffekt: Im Gegensatz zu gar keiner (College-) oder geringer (CHL-)Bezahlung konnte sich Matthews (und sein Agent) bereits vor dem Draft über guten Mammon freuen - man sprach von einem Gehalt von netto 500.000 US-Dollar.
Shooting-Star Patrik Laine
Einige Draft-Auguren führen Laine sogar vor Matthews. Der finnische Flügel machte im Laufe der Saison immer mehr Boden gut und überflügelte nicht nur seinen Landsmann Puljujärvi.
Überragende Playoffs und eine ebenso gute WM – für einen Spieler seines Alters war schon die Aufnahme in den Turnierkader ein Coup – machten ihn in der ganzen Eishockeywelt bekannt. Damit waren etwaige charakterliche Fragen – er bedrohte vor Jahren etwa einen Coach mit körperlicher Gewalt – schnell vergessen.
Doch eines steht fest: Laine gehört wie etwa Ilya Kovalchuk oder Erik Karlsson zu den Cracks, die bei aller Klasse durchaus nach ihrer eigenen Pfeife tanzen. Passt das zu den Jets, die bei ihren Spielern jede Art von nicht stromlinienförmiger Persönlichkeit (Evander Kane!) zu unterdrücken versuchen?
Der Aufschrei der Fans und Medien
Wieder wird es nach dem Draft heißen: Ein Team hat sich nicht an die Liste gehalten, einen Spieler zu hoch gedrafted. Andere Spieler werden wieder zu "Steals" gehyped, waren sie doch weit niedriger gelistet.
Alles natürlich der gleiche Blödsinn wie in den 53 Drafts zuvor: Es gibt keine allgemein gültigen Listen. Egal, ob die von NHL Central Scouting oder die von unabhängigen Scouting Services wie "Red Line Report", "ISS", "McKeen's" oder anderen Newcomern: Diese Rankings sind nette Spielereien für die Öffentlichkeit, NHL-Teams nehmen aber keinerlei Notiz davon.
Schließlich beschäftigen die NHL-Organisationen nicht Heerscharen von Scouts und rufen diese in tagelangen Meetings zusammen, um dann auf Meinungen von Außenstehenden zu setzen.
Wer wirklich zu hoch oder zu niedrig gedraftet wurde, stellt sich erst Jahre später heraus, da bleibt dann noch genug Zeit zu emotionalen Diskussionen.
Deutschland, Schweiz und Österreich – ein Draftjahr zum Vergessen?
Gut schaut es für die "DACH"-Länder heuer sicher nicht aus, vor allem Deutschland blickt auf eine miserable Saison zurück, schafften doch sowohl das U18- als auch das U20-Team nicht den Wiederaufstieg aus den B-Gruppen.
Einziger hochgehandelter Spieler war der Tölzer Tobias Eder, doch er spielte zwei eher durchschnittliche Turniere, bei denen er aber von knapp zuvor erlittenen Verletzungen beeinträchtigt war.
Auch die Schweiz wartete heuer mit einem sehr schwachen Jahrgang auf. Einzig der bullige Marco Miranda (GCK Lions) hat brauchbare Draft-Cchancen, sicher ist aber auch das nicht. Alle anderen Namen neben Eder und Miranda würden überraschen…
Und Österreich? Kann die zehnjährige Draft-Flaute seit Michi Grabner und Andreas Nödl im Jahre 2006 endlich gebrochen werden?
Es sieht nicht danach aus.
Die beiden Nachwuchs-Nationalteams in den B-Gruppen schnitten sehr unterschiedlich ab (U18: Abstieg, U20: Sehr guter zweiter Platz), doch beim Turnier in Wien drängten sich die österreichischen Cracks eher als Team, denn durch ihre individuellen Leistungen auf.
Lukas Haudum, wohl das größte Talent in den Jahrgängen 1996 und 1997 und zuletzt auch beim Senioren-Nationalteam dabei, geht bereits in seinen zweiten Draft, Mario Huber in seinen dritten – bei solchen Ausgangspositionen helfen nur absolut herausragende Leistungen.
Zwei interessante Namen
Der Innsbrucker Huber ist aber ein interessantes Beispiel für die nicht leicht zu verstehenden Draft-Regeln. Der körperlich starke Flügel wechselte vor der Saison von den Innsbrucker Haien in die QMJHL zu Victoriaville.
Seine Ausgangsposition für den Draft änderte sich dadurch: Spieler in Europa, die heuer ungedrafted bleiben und wie Huber 1996 geboren sind, sind auch im nächsten Jahr noch draft-berechtigt bzw. -verpflichtet. Spieler dieses Jahrgangs, die in Nordamerika tätig sind oder waren, werden nach dem Draft automatisch zu Free Agents, ein Jahr früher also als die Spieler in Europa.
Für Huber bedeutet das, dass ihn NHL-Teams gleich nach Ende des Drafts zu einem Development Camp im Juli einladen können – ein realistischeres Szenario für den kraftvollen Flügel als eine Erwähnung im Draft.
Die Aktien für österreichische Spieler stehen beim 54. Draft also nicht gut, trotzdem dürfte ein rot-weiß-rotes Team in Buffalo Erwähnung finden.
Der belgische Torhüter Wouter Peeters – 1998 geboren – spielte für das umherziehende Farmteam von Red Bull Salzburg. Seine guten Leistungen und seine Maße (1,93 m/93 kg) machten ihn für NHL-Scouts interessant. Bei Peeters letzten Saisonspielen – etwa bei den Junioren von Slavia Prag – fand sich ein Rattenschwanz von internationalen Scouts ein, um ihn nochmals zu begutachten.
In einem Draft-Jahr, das in punkto Qualität und Quantität bei Torhütern vieles zu wünschen übrig lässt, würde eine Berücksichtigung von Peeters (spielt nächste Saison für Jokerit Helsinki) im Draft nicht überraschen.