Seit knapp einem Monat ist die NHL-Saison 2023/24 in vollem Gange.
Österreichs Eishockey-Ass Marco Rossi durchlebt in der neuen Spielzeit seine bislang beste Phase in Nordamerika. Nach einigen schwierigen Jahren scheint der 22-Jährige endlich in der besten Eishockeyliga der Welt angekommen zu sein, und das obwohl die Minnesota Wild bislang nur bedingt überzeugen können.
LAOLA1-Experte Bernd Freimüller wagt nach elf absolvierten Spielen ein erstes Zwischenfazit:
Wie stehen die Wild derzeit da?
Elf Spiele, 10 Punkte, eine Serie von vier Niederlagen wurde erst mit dem 5:4-Shootout-Sieg gegen die Rangers (nach 0:3-Rückstand) gestoppt. Heute Nacht warten die New York Islanders, danach folgen weitere Auswärtsspiele gegen die Rangers und die Sabres.
Was sind die Gründe für den holprigen Start?
Wie so oft mehrere – sind die beiden Goalies Filip Gustavsson und Marc-Andre Fleury so schlecht, weil die Defensive vor ihnen porös ist oder sind sie der Hauptgrund für die Gegentorflut? 47 in elf Spiele ist der Höchstwert in der „echten“ NHL (also ohne die Sharks).
Klar – der Ausfall seit Saisonbeginn von Kapitän Jared Spurgeon schmerzt sehr, zu ihm gesellte sich vor kurzem noch Alex Goligoski. Brock Faber schlägt sich in seiner eigentlich ersten Saison hervorragend, auch AHL-Recall Dakota Mermis braucht sich nichts Schlechtes nachsagen zu lassen. Doch Spieler wie Jake Middleton oder Jon Merrill sind so zu hoch gereiht, der eigentlich solide Jonas Brodin bröckelt auch.
Natürlich beginnt die Defensive aber schon in der Offensive und da agierten vor allem die beiden Starstürmer Kirill Kaprizov und Mats Zuccarello (seine Verlängerung um zwei weitere Jahre beginnt immer mehr zu stinken) oft lässlich. Bei Kaprizov blitzt natürlich immer wieder sein immenses Talent auf, gleichzeitig lässt er aber seinen üblichen Drive öfters vermissen.
Zu den beiden verletzten Defendern gesellte sich auch noch Freddy Gaudreau sowie für kürzere Zeit Matt Boldy, der aber wieder zurück ist. Spurgeon steht auch kurz vor seinem Comeback, was ebenso Grund zum Optimismus gibt wie die weiter starken Darbietungen von Joel Eriksson Ek. Auch in der letzten Saison zeigten sich die Wild zu Beginn löchrig, ehe sie wieder zur ihrer gewohnt starken Defensivstruktur fanden.
Wie sieht´s finanziell aus?
Die Wild stellen weiterhin „Buchhalter-Porno“ dar, jede Kaderänderung hat Konsequenzen. Sowohl Spurgeon als auch Goligoski gingen auf „Long-Termin Injured Reserve“. Ohne in die Feinheiten dieser Regelung einzusteigen, bedeutet das vereinfacht, dass die Upper Cap um deren Gehälter überschritten werden darf. Allerdings nur, bis diese Spieler wieder fit sind.
Zusätzlicher Salary Space wird so keiner geschaffen und das Gröscherlzählen beginnt dann wieder, wenn die beiden Defender zurück sind. Da kann es auch wieder vorkommen, dass die Wild zu einem Emergency Recall greifen werden, was nach einem Spiel mit weniger als 20 Mann erlaubt ist und bereits Vinni Letteri aus Iowa nach oben spülte.
Aber großen Spielraum für Hilfe von außen hat Bill Guerin keinen, derzeit greift er bei Spielern wie Daemon Hunt, Jujhar Khaira oder Nick Petan auf einen Shuttle zwischen Minnesota und Iowa zurück.
Wie hat sich die Rolle von Marco Rossi entwickelt?
Sehr zum Besseren – einerseits durch starke Leistungen und Scorerpunkte, andrerseits durch die Niederlagen. Coach Dean Evason ist normalerweise kein großer Linienmixer und hielt auch lange an der Toplinie Kaprizov-Ryan Hartman-Zuccarello fest. Nach Boldys Rückkehr kam aber endlich Leben in die Bude, Rossi fand sich zuletzt zwischen Kaprizov (wo er spielt ist eigentlich die Toplinie) und seinem alten Iowa-Buddy Boldy wieder.
Schon zu Saisonbeginn war klar zu sehen, dass Rossi mit mehr Selbstvertrauen und Standkraft agierte. Man brauchte ihn nicht mehr zu suchen, er sprang ins Auge. Nicht nur bei seinen bisherigen fünf Toren war der Wandel zu sehen – er findet im Gegensatz zur letzten Saison offenes Eis, selbst wenn er von baumlangen Gegenspielern umringt ist. Der Puck findet ihn, er findet seine Mitspieler (schnelle Auffassungsgabe war immer eine seiner Stärken) und so kommt er dann auch zu „leichten“ Toren, wo ihn der Puck findet oder sein Schuss durch den gegnerischen Goalie (im Rangers-Spiel) kullert. Der Großteil seiner Schüsse und Tore entstehen aus dem Nahraum um das Tor herum, ein Bereich, den er letzte Saison kaum bespielen konnte.
Das sommerliche Skating- und Kraft-Training trägt augenscheinlich Früchte, es geht in der NHL immer darum, wie in einem überfüllten Aufzug auf kleinstem Raum ein Plätzchen zu finden und das geht auch so, wenn man diesen Raum als ersten findet und sich dann dort behauptet.
Kann Rossi die Calder Trophy gewinnen?
Derzeit hält er bei fünf Toren und zwei Assists in elf Spielen – eigentlich für ihn untypische Cy-Young-Zahlen, deren Relation sich sicher noch ändern werden. Kurioserweise die gleiche Stat Line wie bei Connor Bedard, das neue NHL-Wunderkind und natürlich im engsten Favoritenkreis bei der Wahl zum „Rookie der Saison“.
Doch hier galoppieren schon wieder die Pferde davon – viele, die Rossi die NHL-Tauglichkeit abgesprochen haben, heben ihn jetzt schon kurz nach Saisonbeginn auf ein Piedestal, die Karawane hat mit Juraj Slafkovsky und Lukas Reichel, die mit 19 bzw. 21 Jahren in ihren zweiten Saisonen Probleme haben, neue Opfer gefunden.
Rossis Nahziele sollten darin bestehen, mit seinen Kollegen die Wild wieder auf die Siegesstraße zu führen, egal mit wem an seiner Seite und in welcher Relation zu den anderen Centern Hartman und Eriksson Ek. Einige kleine Meilensteine hat er in den letzten Spielen zurückgelassen – das erste Spiel mit über 20 Minuten Eiszeit, den Move ins Top-PP-Unit und schließlich den Spot neben Kaprizov. Ziemlich viel in kürzester Zeit, die NHL lässt aber keinen Raum zum Reflektieren – heute Nacht warten schon die Islanders…