Die Colorado Avalanche sind in der NHL wieder im Kommen.
Nach einem schwierigen Saisonstart hat sich der Stanley-Cup-Sieger gefangen und gewann sechs der letzten sieben Spiele. Stets ein absoluter Schlüsselspieler: Center Mikko Rantanen.
LAOLA1-Experte Bernd Freimüller blickt vor dem LAOLA1-LIVE-Spiel zwischen den Colorado Avalanche und den St. Louis Blues (Samstag, ab 21:00 Uhr im LIVE-Stream>>> und im linearen TV-Programm von LAOLA1) auf die Karriere des NHL-Superstars:
Nachwuchszeit
Rantanen entsprang dem Nachwuchs von TPS Turku, einem Traditionsverein mit ausgezeichneter Nachwuchsausbildung. Er wuchs 20 Kilometer entfernt auf und weist im Gegensatz zu anderen aus Eishockeydynastien stammenden Cracks keinen familiären Eishockey-Hintergrund auf – sein Vater ist Tischler, seine Mutter Krankenschwester.
Wie in Finnland so üblich, splittete Rantanen die Jahre vor dem NHL-Draft zwischen U20 und Kampfmannschaft. Nach 37 Spielen im Jahr zuvor folgte dann ein Fulltime-Job in der Saison 14/15 in der Ersten mit 56 Spielen. TPS qualifizierte sich aber nicht für die Playoffs, diese bestritt er dann für die Junioren mit seinen einzigen Saisoneinsätzen. Als später 96er (29. Oktober) war er in seinem Draftjahr nicht mehr für das U18-Nationalteam spielberechtigt, absolvierte aber die erste von zwei U20-WMs.
Alles in allem also eine Karriere, die für viele finnische Top-Picks deckungsgleich ist – sie können in den Jahren vor dem Draft in den Nationalmannschaften, in den finnischen Nachwuchsligen und dann in der Liiga begutachtet werden. Aus der Mestis (zweithöchste Spielklasse) kommt so gut wie nie ein Spieler, schon gar nicht ein Topmann.
Der Draft 2015
Es zeichnete sich schon damals ab und bestätigte sich auch im Rückspiegel: Dieser Draft war ein hochqualitativer. Natürlich überstrahlte Connor McDavid alles, doch Spieler wie Jack Eichel, Dylan Strome, Mitch Marner, Noah Hanifin, Timo Meier, Mat Barzal, Kyle Connor oder Joel Eriksson Ek sind heute mindestens Team-, wenn nicht Liga-Stars.
Ein Re-Draft heute würde Rantanen weiter nach oben spülen, vielleicht sogar an Nr. 2 hinter McDavid. Warum wurde er damals "nur" an zehnter Stelle gezogen? Fragezeichen bestanden wegen seines Eislaufens und seiner Kraft – er war keineswegs klein, aber wie würde er sich in der NHL schlagen? Selbst die Tatsache, dass er eben schon zwei Jahre gegen Männer gespielt hatte, räumten diese Zweifel nicht ganz aus. Doch der Platz unter den Top-10 des Drafts war keine Überraschung.
Sein ersten NHL-Jahre
Rantanen unterzeichnete (wie fast alle hohen Picks) gleich seinen Entry-Level-Deal, schaffte es aus dem Camp auch gleich in die NHL. Doch nach sechs Spielen musste er ins Farmteam nach San Antonio, von dem er später nur noch für drei Spiele zurückkehren sollte. 3+6=9, das reichte punktgenau für einen Slide, sprich sein Vertrag verlängerte sich um ein Jahr. 60 Punkte in 52 AHL-Spielen sprachen für sich und der Auszeichnung als Liga-Top-Rookie. Dazu kam noch Gold mit der finnischen U20 bei der WM in Toronto.
Das Jahr darauf war er mit 75 Spielen fast schon ein NHL-Fulltimer, die vier AHL-Spiele sollten die letzten seiner Karriere bleiben. 38 Punkte waren ok, der Durchbruch gelang ihm eine Saison später mit 84 Punkten in 81 Spielen, die die Avalanche auch zum ersten Mal seit vier Jahren in die Playoffs führten.
Rantanens Fitness-Regime
Was passierte eigentlich mit den Problemen bezüglich Kraft und Eislaufen? Die gehen natürlich Hand in Hand, verschwinden aber nicht nur durch das Heranwachsen. Rantanen, der diese Mängel sehr wohl auch selbst realisierte, verbrachte seine Sommer in Power Skating Camps. Zweimal in der Woche arbeitete er an seine Drehungen, Antritten und seiner Balance.
Der bald sichtbare Unterschied: Wo er nach Checks früher durchgeschüttelt wurde, absorbierte er diese bald ohne Probleme. Dazu kamen Kraftkammer-Einheiten mit seinem Fitness Coach Hannu Rautala, sodass er innerhalb von wenigen Jahren seine Mankos fast völlig aufgeholt hatte. Rantanen hat auch das Glück, dass er von der Natur bevorzugt behandelt wurde und Muskelaufbau für ihn kein großes Problem darstellt. Es gibt auch Spieler, die können rund um die Uhr arbeiten, bleiben trotzdem "skinny".
Wer Rantanen heute spielen sieht, kann nicht glauben, dass er einst so großen Nachholbedarf hatte. Er steht wie ein Felsen auf dem Eis, wenn er sich vom Gegner wegdreht, kann ihm dieser unmöglich die Scheibe stibitzen – eine Jaromir-Jagr-ähnliche Spezialität. Allerdings ist er auch ein Stretching-Freak, kontert so die Gefahr, dass er zu einem Kühlschrank auf dem Eis wird.
Natürlich fliegt er mit seinen 193 Metern und 98 Kilo auch heute nicht leichtfüßig übers Eis, er ist stattdessen ein kraftvoller Skater. Das Gesamtpaket: Etwas, das man einen "Heavy Player" bezeichnet, allerdings mit sanften Händen und Abschlussqualitäten.
Rantanens Rolle bei den Avalanche
Selbst beim Stanley-Cup-Gewinn in der letzten Saison stand er etwas im Schatten von Nathan MacKinnon und dem Fred Astaire der blauen Linie, Cale Makar, war aber natürlich ein absoluter Schlüsselspieler und Regular-Season-Topscorer seines Teams.
Sein Wert für die Avalanche zeigte sich aber heuer zu Saisonbeginn: Nach Verletzungen von Kapitän Gabriel Landeskog, Valeri Nichushkin und MacKinnon hielt er das Boot lange über Wasser. Jetzt fehlen langfristig nur noch Landeskog und Darren Helm, die Verteidiger Bo Byram und Josh Manson stehen vor ihren Comebacks und Colorado orientiert sich mehr und mehr nach oben – als Vierter der Central Division fehlen zwar acht bzw. zehn Punkte auf die Winnipeg Jets und Dallas Stars, allerdings auch drei Spiele.
Rantanen, der derzeit als RW an der Seite von LW Nichushkin und C J. T. Compher spielt, steuert auf eine Rekordsaison zu, hält nach 47 Spielen bei 34 Toren und 26 Assists. Allerdings verletzte sich Nichushkin beim 3:5 gegen Anaheim am Knöchel.
Als Linksschütze kann Rantanen im Powerplay von der rechten Halfwall scoren, trifft aber auch aus anderen Lagen. Er verfügt über eine Fähigkeit, die nur wenige Weltklassespieler haben: Bei Pässen, die nicht genau kommen, geht er in die Knie und verlagert seine Hände den Schlägerschaft hinunter – wo andere Spieler hier die Scheibe annehmen müssen oder sie nur unkontrolliert spielen können, trifft er auf diese Art und Weise.
Seine körperlichen Fähigkeiten, seine Hände und sein Hockey Sense machen ihn zu einem NHL-Superstar, der aber in seiner Heimat ein niedrigeres Profil aufweist als früher etwa Mikko Koivu (ebenfalls aus Turku) oder der flamboyante Patrik Laine. Doch Rantanen, der alle drei Stürmerpositionen spielen kann, ist ohne Zweifel der beste finnische NHL-Spieler der Jetzt-Zeit.
Rantanens Kontrakt
Sein Entry-Level-Deal dauerte – wegen des oben erwähnten Slides um ein Jahr – vier Spielzeiten, danach schloss sich ab 2019 sein heutiger Vertrag an: Der läuft über sechs Jahre bis 2025 mit einem Gesamtvolumen von 55,5 Millionen Dollar, 40 Millionen davon werden mit Ende der Saison schon ausbezahlt sein –"front-loaded" ist hier der Fachbegriff. Sein jährlicher Cap Hit beträgt 9,25 Millionen.
Bei Ablauf des Vertrags im Jahre 2025 ist er natürlich ein UFA, zwei Jahre dieses Daseins erkauften sich die Avalanche mit dem langfristigen Vertrag. Er verbraucht heuer 11,2 % der Avalanche-Salary Cap, das ist der Topwert des Teams. Das ändert sich aber in der nächsten Saison, wo Nathan MacKinnon von 6,3 Millionen auf das Doppelte steigt.
Rantanens Vertrag ist der erste der Avalanche-Superstars, der ausläuft – Makar steht noch bis 2027, MacKinnon gar bis 2031 unter Vertrag. Die Avalanche und Rantanens Agent Petteri Lehto können ab 1. Juli 2024 über eine Verlängerung verhandeln und wenn die nächsten Jahre keine Verletzungen passieren, wird Colorado das auch schnell angehen – selbst in der NHL wachsen Komplettpakete wie Rantanen nicht auf den Bäumen…