Zum ersten Mal seit 2006 (Michael Grabner und Andi Nödl) sind die Diskussionen über den nächsten NHL-Draft in Österreich nicht nur akademischer Natur.
Im Schatten von Marco Rossi, der seinen Status als hoher Erstrundenpick mehr als festigen konnte, hat sich mit Thimo Nickl ein zweiter rot-weiß-roter Crack gut in Übersee eingelebt und seine Draft-Chancen deutlich gesteigert.
Wie aber so oft in Österreich: Spieler, die nicht das EBEL-Eis betreten, sind bei Fans und Medien vorerst völlig unbekannt. Nickl hat zwar schon jeweils zwei U18- und U20-Weltmeisterschaften hinter sich, doch diese werden ebenso fast ausschließlich von Eltern und Freundinnen gecovert wie die KAC-Heimspiele in der AlpsHL, wo der Defender bereits mit 15 Jahren erstmals spielte.
Was steckt in dem 17-jährigen Talent?
Der Spielertyp
Mein letzter von mehreren Reports stammt von der U18-C-WM im April 2019 in Ungarn: "Bester Defender im Turnier, könnte einem CHL-Team helfen. Groß, kann seinen Körper aber noch weiter ausfüllen. Schlaksige Figur, aber mit kontrollierten Bewegungen. Gute Beinarbeit, ruhig gegen Forechecker. Kann unter Druck abdrehen, findet D-Partner bzw. die Stürmer mit genauen Pässen. Agil und mobil."
Weiters habe ich notiert: "Überdurchschnittliches Spiel mit dem Puck. Spielt Point im PP. Wenn er schießt, dann schießt er gut, zu oft aber scheut er vor einem Schuss zurück. Kein physischer Spieler, aber gut entlang der Bande. Guter Stickchecker, kann Gegner kontrollieren."
Ein bestimmt positiver Report, mit der Einschränkung, dass er gegen Konkurrenten wie Japan oder Großbritannien verfasst wurde, gegen die Österreich antritt (oder gar verliert).
Nickl ist für mich die österreichische Variante vieler schwedischer Defender: Gute Reichweite und Beinarbeit anstelle von physischem Spiel, das ohnehin kaum mehr gefragt wird. Kein Puckrusher per se, aber er kann das Spiel schnell umdrehen und macht seine Punkte im Powerplay - der Typ eines modernen Zwei-Weg-Verteidigers.
Überraschend für mich, dass er im Fragebogen für Central Scouting ausgerechnet sein Eislaufen als Schwäche angab. Für mich ist es viel mehr eine Stärke. Allerdings braucht er wie fast alle jungen Spieler noch Explosivität sowie etwas mehr Muskelmasse, um auf Senioren-Niveau in den Zweikämpfen bestehen zu können.
Sein Körpertyp dürfte aber immer feingliedrig denn muskulös bleiben, was heute aber kein großes Problem mehr darstellt. "Egal, was ich esse, ich nehme kaum zu", sagte Nickl über eine Eigenart, die viele von uns gerne hätten.
Die derzeitigen Maße von 1,88 Metern und 80 kg bestätigen dies. Das eine oder andere Kilo sollte aber noch dazukommen. "Added leg strength" hilft ihm dann auch gegen kleinere und wendigere Spieler.
Die Karriere
Der gebürtige Klagenfurter kommt aus keiner Eishockey-Familie. Mutter und Vater sind Ärzte, einzig der Großvater war großer KAC-Fan. Nickl machte mit drei Jahren seine ersten Schritte am Eis. Danach durchlief er die KAC-Nachwuchsteams.
Mit 12 Jahren funktionierte ihn der damalige Nachwuchscoach Jiri David zum Defender um. Nicht unbedingt zu Nickls Freude: "Ich war damals eher am Toreschießen interessiert." Nickl war bald ein fixer Bestandteil der ÖEHV-Juniorenteams. Seine letzte U20-WM in Füssen fiel allerdings nach einer längeren Verletzungspause nur durchschnittlich aus.
In der Alps Hockey League passte er sich körperlich nach und nach an das Senioren-Eishockey an. In einer oft überforderten Truppe war sein Talent immer erkennbar, vor allem in der letzten Saison.
Im Dress der Kampfmannschaft sah ich ihn nur einmal – bei einem Vorbereitungsturnier in der Slowakei im Sommer 2018. Auf einem EBEL-Spielbericht schien er nie auf – die Voraussetzung für die EBEL-Ausbildungsentschädigung von 30.000 Euro fehlt damit, sollte er vor seinem 23. Geburtstag zu einem anderen Liga-Team wechseln.
Der Move nach Drummondville
Ohne seinen Planungen täglich nachzuforschen, sah es für mich in der letzten Saison lange danach aus, als ob Nickl auch heuer beim KAC spielen würde, schließlich steht auch noch sein Schulabschluss an. Erst vor der U18-WM hörte ich von seinem Interesse an einer Übersee-Karriere.
Vor allem die Entwicklung von Rossi gab Nickl den Anstoß zum Wechsel: "Ich habe etwa bei Marco Rossi gesehen, wie gut ihm der Move nach Nordamerika getan hat. Man kann sich hier doch mehr in den Fokus der Scouts spielen als in Österreich."
Der Wechsel ins französischsprachige Drummondville erfolgte dann im Doppelpack mit Vereinskollege Fabian Hochegger. Auch der schussstarke Flügel war in den letzten Jahren immer ein Hingucker beim KAC und den ÖEHV-Teams. Klar, dass die beiden Österreicher auch in Drummondville viel Zeit miteinander verbringen. Sie leben aber bei verschiedenen Gastfamilien.
In Drummondville – 100 Kilometer von Montreal entfernt und mit 70.000 Einwohnern Klagenfurt nicht unähnlich – lebte sich Nickl schnell auf und neben dem Eis ein, überstand das Camp mit 60 Cracks gut und kommt bei den Voltigeurs seit Saisonbeginn sowohl im Powerplay als auch im Penalty-Killing zum Einsatz.
Im PP hat sich lediglich seine Rolle im Laufe der Saison etwas geändert – von der linken Halfwall (näher für One-Timer) rückte er an die blaue Linie zurück. Eine Veränderung, die Nickl durchaus begrüßt: "Ich kann mich von dort in alle Richtungen bewegen und passen." Einen großen Unterschied zum europäischen Eishockey hat er (von der Größe der Eisfläche abgesehen) ebenfalls festgestellt: "Der Puck muss schnell vors Tor kommen, denn dort ist immer Verkehr."
Thimo Nickl hält bei vier Toren und 14 Assists
Die Voltigeurs stehen derzeit an dritter Stelle der West Conference – von 18 QMJHL-Teams schaffen 16 die Playoffs. Nicht nur angesichts dieser Aufteilung ist die Endrunde gesichert. Nickl hält aktuell nach 27 Spielen bei vier Toren - alle Treffer erzielte er im Powerplay - und 14 Assists.
Mit Flügel Dawson Mercer – wie Nickl ein später 2001er und damit erstmals draftberechtigt – steht ein absehbarer Erstrundenpick im Kader, womit die Voltigeurs natürlich noch mehr gecovert werden als ohnehin schon. Von Mercer, der aus Neufundland stammt, ist Nickl sichtlich angetan: "Ein toller Zwei-Weg-Spieler mit fabelhafter Einstellung, dazu noch ein wunderbarer Mensch".
Eine eventuelle NHL-Zukunft
Nickls Übergang ins nordamerikanische Eishockey gelang ihm gut, einige seiner österreichischen Vorgänger in der CHL waren um diese Jahreszeit schon wieder zuhause. Das ersparte mir auch eine kleinere Blamage – ich gab seinen Namen vor der Saison an Central Scouting weiter, damit er auch schon zu Beginn der Saison eventuell etwas Coverage bekommen würde. Das funktionierte auch sehr gut: Sein Standing in der Kategorie "C" wurde im November auf "B" geändert.
Das bedeutet, das Central Scouting ihn als eventuellen Mid-Round-Pick einstuft, was aber für die Teams keineswegs verpflichtend oder auch nur richtungsweisend ist. Eher ein Indikator: Bereits zwölf NHL-Teams nahmen zu ihm Kontakt auf. Das reichte von informellen Gesprächen bis zu Interviews mittels vorgegebener Fragen. Alles durch die regionalen QMJHL-Scouts.
In der zweiten Saisonhälfte kommen die Scouting-Kollegen aus den anderen Regionen für weitere Beobachtungen und eventuelle Gespräche. Nickl scheint auf jeden Fall auf dem NHL-Radar auf. Doch er ist nicht der einzige. Dasselbe gilt für Dutzende oder gar Hunderte anderer Cracks auch. Bei den "Crossover-Scoutings" im Laufe der Saison trennt sich die Spreu vom Weizen. Platzierungen am Draft-Wochenende können dann eher vorausgesagt werden.
Thimo Nickl sollte bei Junioren-WM in Minsk aufzeigen
Auch die Junioren-B-WM in Minsk wird für Nickl eine wichtige Rolle spielen, schließlich sehen ihm dort die europäischen Scouts auf die Kufen, die sonst keine Gelegenheit dazu haben.
Ich weiß nicht, wie ihre Underager-Reports bei den letzten zwei U20-Weltmeisterschaften ausgefallen sind (so sie welche angefertigt haben), aber ein "später 2001er-Jahrgang", der in der CHL spielt, wäre auch ohne Zuruf der nordamerikanischen Kollegen ein Pflichtreport, egal wie die Leistung in Minsk ausfällt.
Im Windschatten von Marco Rossi, dem natürlich das Hauptaugenmerk bezüglich des NHL-Drafts 2020 hierzulande gehört, hat sich Thimo Nickl in vergleichbarer Ruhe eine gute Ausgangsposition geschaffen.
Zwei oder gar mehrere Picks in einem Jahr – der eingebürgerte Senna Peeters (in Belgien geboren) ist ein totales "Wild Horse" - wären für das österreichische Eishockey schon so etwas wie ein Lotto-Sechser.